In diesem Jahr gedenken Juden in aller Welt des bedeutenden Bibel- und Talmudkommentators Raschi, der vor 900 Jahren im französischen Troyes (Champagne) starb. Am 5. August jährt sich sein Todestag nach dem jüdischen Kalender.
Raschi ist ein Akronym für Rabbi Schlomo Ben Jitzhak. Er wurde 1040 in Troyes geboren. Nach jüdischer Überlieferung hatte sein Vater bereits vorher eine Prophezeiung erhalten, nach der sein Sohn die Welt mit seiner Weisheit erleuchten würde. Zudem wird erzählt, Raschis Mutter sei während der Schwangerschaft in Worms gewesen. Als sie gerade in einer Gasse neben der Synagoge stand, kam ein Pferdefuhrwerk vorbei. Der Kutscher machte keine Anstalten, ihr Platz zu machen. Da betete sie in ihrer Not zu Gott. Die Mauer der Synagoge wich zur Seite, und sie konnte in die Lücke treten. Dadurch wurde sie vor einem Unfall bewahrt. Die Steine des Bauwerks waren also weicher als das Herz des Kutschers. Bis heute ist in der Außenwand der Raschi-Synagoge eine Einbuchtung zu sehen.
Um das Jahr 1060 studierte Raschi in Mainz und Worms, die zusammen mit Speyer im Mittelalter wichtige Zentren der jüdischen Gelehrsamkeit waren. Anschließend gründete er in Troyes ein Lehrhaus (Jeschiva), das er aus den Erträgen seiner eigenen Weinberge unterhielt. Diese hatte er von seinen Eltern geerbt. Die Jeschiva wurde auch von christlichen Mönchen besucht. Mit den Gelehrten an den rheinischen Akademien blieb er in Briefkontakt.
Raschi kommentierte die Hebräische Bibel und einen großen Teil des Babylonischen Talmud – das Werk wurde von seinen Schülern vollendet. Die Raschi-Auslegung zur Torah wurde 1475 als erstes hebräisches Buch überhaupt gedruckt. Es gibt mehr als 200 Kommentare dazu. Ein geflügeltes Wort lautet: „Jeder gebildete Jude weiß, dass man mit Raschi anfangen muss, um in die Welt der Bibel einzutreten“.
Auch die Talmud-Auslegung fand schnell Verbreitung. Sie gilt als der Kommentar schlechthin und findet sich in jeder Ausgabe an den Seitenrändern. Dabei ist sie in einer besonderen hebräischen Schrift gedruckt, die als „Raschi-Schrift“ bezeichnet wird.
Bei der Bibel-Auslegung folgte Raschi der klassischen rabbinischen Tradition. Oft stützt er sich auf aramäische Bibelübersetzungen (Targumim), die oft erklärende Zusätze enthalten, oder auf rabbinische Kommentare (Midraschim). Allerdings nennt er seine Quellen nicht. Eine wichtige Rolle spielen philologische Erläuterungen. Dafür übersetzte er mitunter hebräische Ausdrücke in europäische Sprachen wie Französisch, Deutsch oder Slowenisch. Die Kommentare sind wegen der altfranzösischen Wörter auch eine wichtige Quelle für die Romanistik.
Aus Raschis Privatleben ist nicht viel bekannt. Als er nach Worms kam, war er bereits verheiratet. Er hatte drei Töchter, deren Ehemänner seine wichtigsten Schüler wurden. Unter seinen Enkeln waren mehrere wichtige jüdische Lehrer. Im Jahr 1096 hörte Raschi von den antisemitischen Übergriffen an den deutschen Stätten seines Studiums im Rahmen des ersten Kreuzzuges. Dadurch wurde eine Epoche des friedlichen Zusammenlebens von Juden und Christen in dieser Gegend beendet.
Raschi starb am 13. Juli 1105 in Troyes. Nach dem jüdischen Kalender war es der 29. Tammus, der in diesem Jahr auf den 5. August fällt. Das ganze Jahr 2005 wird von Juden als Raschi-Jahr begangen. Dazu gibt es zahlreiche Veranstaltungen in Worms und Troyes. Raschis Grab ist allerdings verschollen.