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Zimmer mit Aussicht

Quarantäne ist in Israel angesichts der Corona-Krise allgegenwärtig. Besonders betroffen sind Menschen, die trotz der Beschränkungen aus dem Ausland einreisen wollen. Ein Erfahrungsbericht
Zwei Wochen in Quarantäne: Dirk Poppendieker beobachtet ein beeindruckendes Farbspiel über den jordanischen Bergen

„Bei der Einreise nach Israel hat sich die Person direkt in eine staatliche Isolationseinrichtung zu begeben, und zwar für eine Dauer von 14 Tagen.“ Der letzte Satz auf meiner Einreisegenehmigung, ausgestellt am 25. April 2020 vom israelischen Außenministerium, ist unmissverständlich: Ich muss für zwei Wochen in vorsorgliche Corona-Quarantäne. Was seit einigen Tage durch die Medien geistert, soll nun für mich Realität werden. Ich bin gespannt, was da auf mich zukommen wird.

Dabei waren schon die letzten Monate alles andere als normal. Seit Mitte März kommt das öffentliche Leben in Israel mehr oder weniger zum Erliegen: Touristen müssen das Land verlassen, Schulen, Märkte, Restaurants und Geschäfte bleiben geschlossen (außer Supermärkte, Apotheken und Banken), der Flugverkehr wird fast komplett eingestellt, sogar der Tempelberg und die Grabeskirche werden geschlossen. Man darf sich nur noch 100 Meter von der Wohnung entfernen. Und dann kommt irgendwann der totale Lockdown: Ein Land steht still.

Seit fünf Jahren lebe und arbeite ich in Israel. Die letzten Wochen vor dem Osterfest verbringe ich im „Home Office“ in meiner Wohnung in Jerusalem. Dann kommt von der Deutschen Botschaft der Hinweis, dass es noch eine Ausreisemöglichkeit mit einem Flug über Minsk nach Berlin gibt. Ich suche erst einmal Minsk auf der Landkarte und buche dann kurz entschlossen ein Ticket, um Ostern mit der Familie in Deutschland zu verbringen. Für eine Wiedereinreise nach Israel ist nun eine Sondergenehmigung notwendig, in der ich mich verpflichten muss, in ein sogenanntes Quarantäne-Hotel zu gehen.

Im Hotelzimmer eingesperrt

Von Deutschland zurück nach Israel. Als ich gegen Mitternacht am Flughafen Ben-Gurion in Tel Aviv ankomme, merke ich sofort, dass alles anders läuft als sonst. Direkt nach dem Aussteigen aus der Maschine werden alle Passagiere vom Militär einzeln befragt, die Körpertemperatur wird überprüft, Namen werden mit Listen abgeglichen. Wir werden in Gruppen von etwa 20 Personen aufgeteilt und zum Gepäckband geführt. Ein Offizier erklärt uns, dass wir nun mit Bussen in ein Quarantäne-Hotel nach Ein Bokek am Toten Meer gebracht werden.

Im Bus höre ich um mich herum hebräische, arabische, russische Wortfetzen, irgendwo weiter hinten auch Deutsch. Dann geht es los, zwei Stunden mit hohem Tempo durch die dunkle Nacht. Als wir in Ein Bokek aussteigen, empfangen uns wieder Uniformierte in Schutzanzügen. Die Hotellobby ist mit Schutzwänden abgetrennt, am Eingang gibt es Handdesinfektion, Handschuhe, Trinkwasser und unsere Zimmerkarten. Alles scheint gut vorbereitet zu sein. Ein Offizier teilt uns mit, dass wir die nächsten 14 Tage unsere Zimmer nicht verlassen dürfen. Essen werde vor die Zimmertür gestellt, wer sich krank fühlt, solle die Rezeption anrufen. Na prima – das kann ja heiter werden. Als ich mich um 3 Uhr morgens auf dem Hotelflur von meinen drei mitreisenden Arbeitskollegen verabschiede, hört sich das schon seltsam an: „Wir sehen uns dann in zwei Wochen.“ In der kurzen Nacht träume ich wirres Zeug, das mich an Szenarien aus düsteren Filmen erinnert.

Kein Zimmerservice

Als ich morgens den Vorhang aufziehe, erwartet mich eine tolle Aussicht: Swimmingpool, Palmen, Strand, das Tote Meer und dahinter das jordanische Bergland. Wie im Urlaub. Das Hotelzimmer sieht aus, wie Hotelzimmer eben aussehen. Es gibt einen Heißwasserkocher, einen Kühlschrank, einen kleinen Balkon. Eher ungewöhnlich sind der Stapel Handtücher, eine Rolle Müllsäcke, Spülmittel und Putzlappen. Dank Google-Übersetzer kann ich auch das hebräische Infoblatt verstehen: Es gibt keinen Zimmerservice, frische Bettwäsche wird donnerstags vor die Tür gelegt, die benutzte Bettwäsche bitte in Säcke packen und – wie auch den Müll – vor die Tür legen. Ich öffne die Tür und finde mein Frühstück – für uns wurde ja Vollpension gebucht.

Kein persönlicher Kontakt: Die Mahlzeiten werden vor die Tür gestellt Foto: Dirk Poppendieker
Kein persönlicher Kontakt: Die Mahlzeiten werden vor die Tür gestellt

Was nimmt man mit, wenn man zwei Wochen in einem Zimmer eingesperrt wird? Meine Vorbereitungen waren da eher einfach: Meine Arbeitsmaterialien fürs Home Office und für Video-Meetings habe ich sowieso dabei, außerdem habe ich noch eine Tube Waschmittel, löslichen Kaffee und genug Lesestoff eingepackt. Mental stelle ich mich auf einen geregelten Arbeitstag ein, der große Wandfernseher bleibt ausgesteckt. Mit meinen drei Arbeitskollegen richte ich schnell die WhatsApp-Gruppe „Quarantäne“ ein – und dann kann sie losgehen, die Quarantäne-Zeit.

Wie persönlich darf ich eigentlich in so einem Quarantäne-Bericht für unbekannte Leser sein? Werde ich mich in zwei Wochen „Stubenarrest“ in einen merkwürdigen Waldschrat verwandeln, ohne es selbst zu merken? Verliert man irgendwie den Bezug zur Normalität in der Außenwelt? Soll ich schreiben, dass ich an manchen Tagen 1,2 Kilometer im Zimmer gelaufen bin?

Relativ schnell merke ich, dass die Isolation nicht spurlos an einem vorübergeht, sowohl mental als auch körperlich. Als Kollegen merken wir, wie unterschiedlich wir damit umgehen und wie das die eigene Stimmung beeinflusst. Zwei Wochen ohne große Bewegung, nur auf dem Stuhl sitzen oder auf dem Bett liegen, wie soll das gehen? Mit wie vielen zusätzlichen Kilos werde ich das Zimmer verlassen?

Sonnenaufgang bewundern und Morgengymnastik

Ich setze mir einen festen Tagesablauf: Um 5.30 Uhr stehe ich auf, genieße auf dem Balkon die Ruhe und den Vogelgesang und schaue mir den Sonnenaufgang über den jordanischen Bergen an. Meiner Frau und einem Freund sende ich jeden Morgen einen besonderen WhatsApp-Gruß. Dann wird es mir schnell zu warm auf dem Balkon. In der nächsten halben Stunde sind YouTube-Übungen zum Dehnen und Bewegen angesagt. Das habe ich vorher noch nie gemacht. Aber ich muss sagen, es tut mir ausgesprochen gut und wird zu einer Gewohnheit, die ich nicht mehr missen möchte.

Nach dem Frühstück kommt die Arbeitszeit und so geht es mit Pausen durch bis zum späten Nachmittag. Am Abend wird die Internet-Verbindung oft so schwach (Hochbetrieb im Hotel-WLAN), dass für mich Lesezeit angesagt ist und mein Tag nicht so spät endet.

Auch tagsüber ist der Blick aus dem Fenster beeindruckend Foto: Dirk Poppendieker
Auch tagsüber ist der Blick aus dem Fenster beeindruckend

Ich gewöhne mir an, dass ich jeden Tag mindestens drei Liter Wasser trinke (ich bin ja immer in der Nähe der Toilette) und dass ich von dem reichhaltigen Essen viel zurück vor die Tür stelle, also wegwerfe, auch wenn das eigentlich komplett gegen meine Erziehung geht.

Nach der ersten Woche merke ich, dass der tägliche Thunfisch mit Oliven eigentlich ganz gut zum Frühstück schmeckt, dass ich mich auf die Isolation einstelle und bisher noch nicht mit mir selbst rede. Für mich ist es dabei hilfreich zu wissen, dass meine Kollegen in der Nähe sind und wir gemeinsam durch diese Zeit gehen.

Wiedersehen mit den Kollegen: 45 Minuten Freigang

Alle paar Tage bekomme ich einen Anruf von Nurit, der freundlichen Frau vom israelischen Heimatfrontkommando. Sie fragt mich, ob alles in Ordnung sei und ob ich Krankheitssymptome hätte. Nachdem in den Medien berichtet wird, dass es in Quarantäne-Hotels zu Suizidversuchen gekommen ist, häufen sich die Anrufe von Nurit. In der zweiten Woche überrascht sie mich mit einer Einladung zu einem Fitness-Zoom-Meeting mit Coach Daniel für alle „Quarantäne-Gäste“.

Zwei Tage danach kommt mein persönliches Highlight: Ich habe 45 Minuten Freigang im Hof und werde dabei meine Kollegen treffen! Ich ertappe mich dabei, dass ich mich wie ein kleines Kind darauf freue und aufgeregt bin. Nach einem großen Hallo auf dem Hof laufen wir – mit sozialer Distanz und unter den Augen der Uniformierten – immer im Kreis. Ich muss an Gefängnisszenen aus irgendwelchen amerikanischen Spielfilmen denken. Es fühlt sich tatsächlich komisch an, wieder unter Menschen zu sein. Zurück im Zimmer meine ich Erleichterung zu verspüren, wieder in normaler Umgebung zu sein.

Dann kommt der letzte Anruf von Nurit: Nach 14 Tagen geht morgen die Quarantäne für mich zu Ende, und ein Bus wird mich nach Jerusalem bringen. Ich werde fast etwas sentimental bei dem Gedanken, „mein Zimmer“ nun endgültig zu verlassen. Sollte ich später vielleicht mit meiner Frau einmal einen Kurzurlaub hier im Zimmer 241 buchen? Oder kommt nur ein Schrat auf so einen Gedanken?

Kann Einsamkeit auch gut sein?

Auf der Busfahrt hinauf nach Jerusalem lasse ich die Gedanken schweifen: Wann werde ich jemals wieder so viel Zeit mit mir allein verbringen müssen? Und diese Landschaft am Toten Meer: Wie unterschiedlich und vielfältig können doch die Farben, das Wetter- und Wolkenspiel, die Stimmungen sein. Und was für biblische Personen waren hier nicht schon alle unterwegs: Abraham und Lot, Rahab und Josua, Elia und Elisa, David und Johannes. Sie alle sind hier dem Gott Israels begegnet. In den vergangenen Tagen habe ich ein Buch mit frühen Pilgerberichten aus dem Heiligen Land gelesen. Was war diese Region doch über die Jahrhunderte hindurch Sehnsuchtsort vieler Menschen. Und wie hat Gott in der Geschichte nicht oft die Einsamkeit von Menschen genutzt, um ihnen besonders zu begegnen. Kann Einsamkeit auch gut sein?

Mit einem Bus fuhr Dirk Poppendieker zum Quarantäne-Hotel – und dann auch nach Jerusalem Foto: Dirk Poppendieker
Mit einem Bus fuhr Dirk Poppendieker zum Quarantäne-Hotel – und dann auch nach Jerusalem

Am Zentralen Busbahnhof in Jerusalem werde ich jäh aus meinen Gedanken gerissen und in die Gegenwart zurückgeholt. Ich steige aus und stehe plötzlich wieder mitten im lauten Menschengetümmel. Ich muss erst einmal tief durchatmen. Ich traue mich nicht, mit dem Bus nach Hause zu fahren, zum Glück holt mich eine Bekannte ab. War ich wirklich so lange weg …?

PS: Am letzten Tag meiner Isolation hat die israelische Regierung beschlossen, die Quarantäne-Regelung für Einreisende ab sofort aufzuheben. Die Kosten der Quarantäne wurden komplett vom Staat Israel getragen.

Von: Dirk Poppendieker

Der Autor ist stellvertretender Leiter der deutschen Auslandsschule „Schmidt-Schule“ in Jerusalem.

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