Wer in diesen Tagen dem Israel-Museum einen Besuch abstattet, kann mit vorheriger Anmeldung eine virtuelle Reise in die berühmte Synagoge von Aleppo unternehmen. Mithilfe einer Virtual-Reality-Brille (VR) kann der Besucher die gesamte Synagoge in Nordsyrien durchwandern. Seit dem 5. Jahrhundert diente sie Juden als Gebetsstätte und wurde nach mehrmaliger Zerstörung im 9. Jahrhundert zur Synagoge ausgebaut.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war sie das geistliche Zentrum der jüdischen Gemeinde in Aleppo. Am 1. Dezember 1947, wenige Tage nach der Verkündigung des Teilungsplanes der Vereinten Nationen für Palästina, wurde die Synagoge von Aleppo von der Stadtbevölkerung in Brand gesetzt und geplündert.
Die Ausstellung in Jerusalem erzählt eine Begebenheit aus dem ungewöhnlichen Leben einer Jüdin: Sarah Schamma war 1908 in Aleppo geboren und 1932 ins Mandatsgebiet Palästina ausgewandert. Sie heiratete, bekam einen Sohn, reiste mehrmals zurück nach Aleppo und ließ sich schließlich scheiden.
In der Synagoge schwanden die Sorgen
In einem kleinen Heft, das ebenfalls im Museum ausgestellt ist, notierte sie auf Französisch: „In meiner Jugend und bis zum heutigen Tag, war mir die Synagoge lieb und heilig, so wie sie es den meisten Juden in Syrien und anderswo war. Jedes Mal, wenn ich sie besuchte, verschwanden meine Sorgen und ich fühlte mich erhaben. Für mich war sie ein Ort des Trostes.“
Der Besucher mit der VR-Brille begegnet Sarah in dem geräumigen Gebäude, nur wenige Tage vor dem Brand. In ihrem Heft steht weiter: „Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat, nach Aleppo zu reisen und Fotos von der Synagoge zu machen, nur wenige Tage, bevor sie von den Muslimen in Brand gesetzt wurde.“
Zu jener Zeit war Schamma ein weiteres Mal nach Aleppo gereist. Mit der Brille erspäht der Besucher die engagierte Frau und den von ihr engagierten armenischen Fotografen. 50 Fotos lässt sie diesen schießen und lässt ihn von Zeit zu Zeit an ihren Erinnerungen teilhaben.
Über die Synagoge schreibt Schamma später: „Es war furchtbar, sie abgebrannt zu sehen und ich schmiss mich in untröstlicher Trauer auf ihre Ruinen.“ In dem Notizbuch findet sich auch der Satz: „Mein letzter Besuch der Synagoge und meine Fotos werden ein unvergessliches Souvenir sein, das uns an unsere herrliche Vergangenheit erinnert.“
Misstrauen führte zur Rettung der Bilder
Nach dem Brand der Synagoge erkennt der Armenier die historische Bedeutung der Aufnahmen und fordert Schamma auf, ihm die Negative zurückzugeben. Andernfalls würde er sie als zionistische Spionin verleumden. Schamma erkennt die Gefahr, vertröstet ihn auf den nächsten Tag und nutzt die Zeit, die Negative einzupacken sowie eine Torarolle aus der zerstörten Synagoge zu retten. Mithilfe muslimischer Freunde fährt sie nach Beirut und nimm von dort den letzten Flieger nach Palästina.
Durch Schammas Sohn bekam die Dokumentarfilmerin Judith Manassen Ramon Zugang zu den 50 Originalen. Diese nahm sie als Grundlage für den virtuellen Spaziergang durch die Synagoge: „Es wäre leicht gewesen, einen bunten und schrillen VR-Film zu gestalten. Doch wir wollten Sarah und dem Original treu bleiben. Deshalb entschieden mein Kollege und ich, die Synagoge so zu zeigen, wie Sarah sie im November gesehen hat – wir entschieden uns für Schwarz-Weiß-Aufnahmen, denn es war ein regnerischer Tag.“
Kuratorin Revital Hovav erklärt: „Der Standort dieser Ausstellung innerhalb des großen Museums ist nicht zufällig gewählt. Die Synagoge von Aleppo ordnet sich ein in die ‚Synagogenroute‘. Hier sind vier originalgetreu nachgebaute Synagogen von drei Kontinenten ausgestellt. Die Synagogen stammen aus Italien, Deutschland, Indien und Suriname. Sie zeigen die Vielfalt jüdischen Lebens auf der ganzen Welt. Die Synagoge von Aleppo und damit von Syrien erweitert diese Ausstellung um einen wichtigen Teil.“
Die virtuelle Synagoge sei vorerst für anderthalb Jahre geplant, erklärt Hovav. Doch sie möchte nicht ausschließen, dass sie Besuchern den besonderen Blick nach Aleppo auch längerfristig möglich machen. „Schließlich ist sie nicht nur wegen ihrer Größe und Geschichte besonders. Es handelt sich auch um eine ‚Sommersynagoge‘, bei der es einen Hof gibt, in dem die Gläubigen zum Gebet zusammenkommen. Und schließlich war sie über Jahrhunderte Hort für die berühmte Kater Aram Zova, die berühmte Abschrift der Tora aus dem 10. Jahrhundert. Doch das ist eine andere Geschichte, die im Schrein des Buches zu sehen ist.“ (mh)