BERLIN (inn) – Die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem hat am Donnerstag eine Frau aus Bayern posthum als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Sie hatte kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen ungarischen Juden beherbergt und vor den Nationalsozialisten versteckt. Der Gerettete ist heute 98 Jahre alt und lebt in Frankreich. Die Verleihung übernahm die Botschaft des Staates Israel in Berlin, die Auszeichnung nahmen die Kinder der Retterin entgegen.
Der Jude, André Revai, wurde 1923 in Budapest geboren. Im April 1944 begann für ihn die Zwangsarbeit, Ende des Jahres wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. In einem Nebenlager mussten die Häftlinge eine Höhle für eine unterirdische Fabrik graben, die Treibstoff für Flugzeuge herstellen sollte. Dank des Berges waren sie wenigstens vor den Luftangriffen geschützt.
Weil sich im April 1945 die alliierten Truppen dem Lager näherten, wurden Andor Revai, wie er damals hieß, und seine Leidensgenossen auf einen Todesmarsch Richtung des Konzentrationslagers Flossenbürg geschickt. Nach einer Woche ergab sich für den jungen Ungarn bei einer Rast in der Nähe von Arzberg in der Oberpfalz die Gelegenheit zur Flucht. Er versteckte sich im Wald vor den Hitlerjungen, die nach entlaufenen Juden suchten. Doch sie fanden ihn nicht.
Die erste Nacht verbrachte er in einer Fabrik, in der sich russische und polnische Zwangsarbeiter um ihn kümmerten. Sie versorgten ihn mit einem provisorischen Schlafplatz und mit Zivilkleidung. Auch eine Kopfbedeckung gaben sie ihm, damit er die kurzgeschorenen Haare verbergen konnte. Sie warnten ihn davor, seine jüdische Identität preiszugeben.
Der Polizei entgangen
Am 15. April ging er weiter und wurde von Polizisten aufgegriffen. Der ehemalige Häftling behauptete, er habe in einer ausgebombten Fabrik in Weimar gearbeitet. Nun wolle er in seine ungarische Heimat zurückkehren. Sie glaubten ihm und ließen ihn gehen.
Revai war völlig erschöpft und ausgemergelt, wog nur noch 37 Kilogramm. In diesem Zustand begegnete er Elise Conrad, einer Deutschen Jahrgang 1906. Sie lebte mit ihrem Mann und drei Kindern in Röthenbach im Raum Nürnberg. Als sie ihn zu einer Mahlzeit nach Hause einlud, erzählte er ihr, dass er ein ungarischer Jude auf der Flucht war. Sie nahm ihn trotzdem mit und gab ihm Waschutensilien. Dann durfte er auf dem Dachboden übernachten.
Am nächsten Morgen konnte der Flüchtling nicht mehr laufen. Seine Wohltäterin versteckte ihn für den Rest des Krieges vor der Außenwelt – und auch vor dem Nachbarn, der unter demselben Dach wohnte. Am 30. April befreiten die Amerikaner das Gebiet. Zwei Tage später sorgte Conrad dafür, dass ihr Schützling in ein Krankenhaus kam. Nachdem er sich von den Strapazen der Haft erholt hatte, ging er nach Frankreich.
Kontakt zu Retterin wieder aufgenommen
Von dort nahm Revai 1960 und noch einmal 1994 Kontakt zu Elise Conrad auf. Nach ihrem Tod korrespondierte er eine Zeitlang mit ihrer Enkelin. Der Gedanke, sie bei Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ vorzuschlagen, kam ihm erst spät. Er wollte damit seine Dankbarkeit für die Rettung ausdrücken – und dachte, er hätte dies schon lange tun sollen. Am 31. Oktober wurde sie als „Gerechte“ anerkannt. Nun ist auch die Urkunde in den Händen der Kinder, wie die israelische Botschaft mitteilte.
Der Titel „Gerechter unter den Völkern“ ist die höchste Auszeichnung des jüdischen Volkes. Er wird ausschließlich an Nichtjuden vergeben, die sich an der Rettung verfolgter Juden beteiligt haben. (eh)