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Woran die deutsche Debatte über den israelisch-palästinensischen Konflikt krankt

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist Thema vieler Debatten in Deutschland. Auch wer noch nicht vor Ort war, sieht sich als Experten. Die Teilnehmer eines Webseminars mahnen zum Realismus.
Von Israelnetz

BERLIN (inn) – In Deutschland gibt es 80 Millionen „Experten für den Nahostkonflikt“, von denen die meisten allerdings weder in Israel waren noch Hebräisch oder Arabisch sprechen. Dies haben gleich zwei der drei Diskussionsteilnehmer eines Webseminars bemängelt, das sich am Mittwochabend mit der Frage beschäftigte: „Israel und Palästina: Wie kann man sachlich über den Konflikt sprechen?“ Veranstalter war die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Der ehemalige Chefkorrespondent im ARD-Studio Tel Aviv, Richard C. Schneider, stellte den Begriff „Nahostkonflikt“ in Frage: Es gebe viele Konflikte im Nahen Osten, der israelisch-palästinensische sei nur einer davon. Er verwies auf den früheren US-Außenminister John Kerry, der behauptet hatte, eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes würde Ruhe im Nahen Osten schaffen. Doch die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten, der Krieg in Syrien oder Kämpfe gegen Muslimbrüder wären dadurch nicht aus der Welt geschafft.

Der Journalist betonte, dass Israelis und Palästinenser vor Ort logischerweise viel mehr über den Konflikt wüssten als die Menschen in Deutschland. Denn sie seien darin verstrickt. Die deutsche Debatte über Israel sei hingegen dort „überhaupt nicht von Belang“. Entscheidend seien die Lebensrealitäten. „Die pseudointellektuellen Diskussionen in Deutschland sind so abgehoben, dass sie nicht verstehen, warum das in Israel keine Rolle spielt.“

Nicht in den Medien: Solidarität in Jaffa

Natürlich machten Israelis und Palästinenser Erfahrungen von Gewalt, und Menschen aus beiden Gruppen beteiligten sich auch an gewaltsamen Aktionen. Doch beide Gesellschaften seien komplex. Juden und Araber hätten „im Alltag gelernt, miteinander zu leben, ohne sich groß zu stören“. Das sei nicht immer konfliktfrei, räumte Schneider ein. So kam es etwa im Mai 2021 während der Militäroperation „Wächter der Mauern“ in gemischten Städten zu massiver Gewalt zwischen Angehörigen der beiden Gruppen, teilweise mit tödlichem Ausgang. Darüber hätten auch deutsche Medien berichtet.

Auch in seiner Stadt Jaffa machte der Journalist eine entsprechende Erfahrung: „In einer Nacht wurden in meiner Straße alle Autos abgefackelt.“ Sein Fahrzeug sei verschont geblieben, weil es in der Garage stand. Doch die jüdischen, christlichen und muslimischen Bewohner in der Straße hätten mit Solidarität reagiert: Eine WhatsApp-Gruppe wurde gegründet. Wenn ein Jude in einer Gegend unterwegs war, in der arabische Angriffe zu befürchten waren, boten ihm Araber Begleitschutz an. Umgekehrt halfen Juden arabischen Nachbarn, die ein Gebiet aufsuchen wollten, in dem Araber nicht gern gesehen sind.

Noch eine Beobachtung teilte Schneider mit den Seminarteilnehmern: „Ich gehe selbstverständlich in einen Laden, da ist eine Verkäuferin mit Hidschab, und mich stört das überhaupt nicht.“ Vieles in Deutschland sei „so absurd“, merkte der jüdische Journalist an und fragte an die Adresse der „Experten“ gerichtet: „Über welches Land redet ihr? Über welche Menschen redet ihr? Ihr habt doch keine Ahnung.“

Soziologin sieht „Schuldabwehrantisemitismus“

Julia Bernstein brachte die selbsternannten Nahostexperten ins Spiel. Die Soziologin hat die Professur für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der „Frankfurt University of Applied Science“ inne. Sie ist Autorin der Studie „Antisemitismus an Schulen in Deutschland: Befunde – Analysen – Handlungsoptionen“. In dem Gespräch regte sie an, die Frage zu stellen: „Was hat das mit mir zu tun? Mit kollektiver Identität?“

Bernstein beobachtet in der deutschen Gesellschaft einen „Schuldabwehrantisemitismus“. In der Studie gaben fast 70 Prozent der Befragten an, ihre Vorfahren seien während der Scho’ah keine Täter gewesen. Ein Drittel geht davon aus, dass die Vorfahren Opfer der NS-Verfolgung waren. Und 18 Prozent sagten gar, ihre Verwandten hätten Juden gerettet. „Dann wären alle 500.000 gerettet worden“, wandte die Wissenschaftlerin ein. Es gebe eine eklatantes Unwissen über Judentum und Scho’ah.

Vom richtigen Umgang mit Emotionen

Der Programmmanager der Friedrich-Naumann-Stiftung, Christoph Giesa, moderierte das Gespräch. Er wandte sich mit der Frage an Bernstein, mit welchem Handwerkszeug Schulen der häufig emotionalisierten Debatte in Deutschland entgegenwirken könne. Die Soziologin erwiderte, eine Entemotionalisierung sei nicht der richtige Weg. Die Realität werde nicht zu einem Labor. Wichtig sei es vielmehr, ein Bewusstsein für eigene Emotionen zu entwickeln.

Wenn eine Lehrkraft im Unterricht mit monotoner Stimme über Juden spreche, die vergast wurden, und dazu Zahlen und Statistiken nenne, erlebten Schüler das als todlangweilig. Sie hätten keine Lust, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es werde auf eine falsche Weise entemotionalisiert, sagte die Soziologin. Ein konkretes Beispiel hingegen könne prägend sein für die eigene Emotion der Kinder. Lehrer müssten auch vermitteln, dass die jüdische Minderheit allgemein für alle Probleme verantwortlich gemacht worden sei.

Heute sei Religion nicht mehr populär. Also werde Juden die Nationalität abgesprochen. „Man redet nicht über Israel, sondern doch über Juden.“ Ein Jude, der zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS stehe, sei in diesem Narrativ ein guter Jude, stellte Bernstein fest.

Bei Lehrkräften vermisst die Wissenschaftlerin eine angemessene Reaktion auf israelbezogenen Antisemitismus. Sie tolerierten oft entsprechende Äußerungen und wunderten sich dann, wenn die Lage eskaliere und in Gewalt ausarte. Dabei müsse eine Asymmetrie thematisiert werden: „Keine Juden in Deutschland greifen Moscheen an oder Frauen mit Kopftuch.“ Von Muslimen gingen solche Gewaltakte hingegen aus. Deutlich werden müsse aber auch, dass nicht Muslime allgemein für Antisemitismus verantwortlich sind.

Gefühl der Ungerechtigkeit projiziert

Auch der Historiker Tom Würdemann kritisierte die Neigung, die Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten von außen zu beurteilen. Er arbeitet in zwei Forschungsgruppen am Zentrum für transkulturelle Studien und der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg zu arabisch-jüdischer Verflechtungsgeschichte und State Building im Nahen Osten.

Würdemann befasst sich viel mit Antisemitismus bei Muslimen. Da werde oft jedes Gefühl von Ungerechtigkeit projiziert: Zionisten seien aus ihrer Sicht schuld daran, dass sie im Alltag Rassismus erlebten. Wichtig sei es, die Komplexität des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu vermitteln. Dazu seien in der Pädagogik Ruhe und Empathie nötig.

Das beste Rezept für die muslimische Gemeinschaft ist aus Sicht des Historikers mit syrischen Wurzeln, den Konflikt möglichst ausgewogen darzustellen. Das Bewusstsein müsse geschaffen werden, dass es sich um einen von vielen Konflikten handelt. Die historische Wurzel sei eben nicht eine Verschwörung gegen Muslime.

In diesem Zusammenhang weist Würdemann gern darauf hin, dass Juden in Deutschland Angehörige in Israel haben. „Die haben keine Lust auf Raketen, die auf ihre Familie abgeschossen werden.“ Um Muslimen die Geschichte der Scho’ah plausibel zu machen, könne der Genozid an den Uiguren in China als Beispiel dienen – mit der Frage, welchen Zugang Chinesen in 70 Jahren dazu haben sollten.

Schneider: Vergangenheitsbewältigung gescheitert

Schneider sieht die Debatten in Deutschland über den Konflikt als Stellvertreterdiskussion für etwas anderes. So hätten 99,9 Prozent der Israelis die Auseinandersetzung über die documenta und den globalen Süden nicht wahrgenommen. „Es geht nur um Deutschland, nicht um den Nahen Osten.“ Er selbst diskutiere lieber in Jaffa oder Ramallah mit Palästinensern darüber als mit Menschen in Deutschland. Sie seien dann vielleicht nicht einer Meinung, aber der Konflikt bestimme den Alltag der Gesprächspartner.

Dass die Debatten so realitätsfern sind, führt der Sohn von Scho’ah-Überlebenden aus Ungarn darauf zurück, dass die sogenannte „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland schiefgegangen sei. Es gehe nicht um den israelisch-palästinensischen Konflikt, sondern um die Frage: „Wo ist der Antisemit in mir? Wo ist der Rassist in mir?“ Das müsse aufgearbeitet werden, forderte Schneider in dem Webtalk. (eh)

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8 Antworten

  1. Leider ist das Thema viel zu kurz gegriffen, da der Antisemitismus nicht erst durch den Holocaust entstand und die Repressionen gegen die Juden in Palästina nicht erst mit der Einwanderung nach dem Holocaust.
    Bereits unter der osmanischen Herrschaft gab es immer wieder Angriffe und Pogrome gegen die Juden dort, also lange bevor dort überhaupt wieder ein israelischer Staat entstand oder man sich über Besatzung beklagen konnte.

    1517 – die Angriffe auf Hebron und Safed
    1660 – die Zerstörung von Tiberias und Safed
    1834 – das Hebron-Massaker
    1838 – der Angriff auf Safed
    1886 – die arabischen Angriffe auf Petach Tikva

    Die Angriffe auf einzelne Juden, die dort seit über 2000 Jahren lebten sind nicht mal gezählt.
    Es ist der Herrschaftsanspruch von Moslems, die niemanden dulden, der sich ihnen nicht unterstellt, der dort immer wieder für Unruhen sorgt.

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  2. Jede Debatte um Israel, die nicht berücksichtigt, dass Israel Gottes Eigentumsvolk ist, greift zu kurz!
    Gottes Wort ist das Kursbuch für Israel und die Nationen.

    L.G. Martin

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    1. Und wenn es den gar nicht gibt? Man sollte bei seinen politischen Erwägungen schon auf diesem Planeten bleiben.

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  3. Richtig, selbst welche, die noch nie in Israel waren, spielen sich als Experten auf.
    Touristen die in Israel waren und einen Pal- Araber zum Guide haben, hören Unwahrheiten, besonders in Bethlehem, wo sie dann ihre Pal- Bücher den Touristen andrehen.
    Richtig ist auch, dass schon lange, wie Sky schrieb, vor dem Holocaust Antisemitismus gab.
    OT
    Jetzt, siehe Newsletter IN, füttert Putin Abbas. Abbas nimmt vom z.Zt schlimmsten Schlächter gegen ein Volk, die Ukraine.

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    1. @ Maria
      Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas sagte heute bei seinem Treffen mit Putin diese Worte: „Wir wollen nicht, dass Amerika das palästinensische Problem allein löst, wir können den USA nicht trauen und Russland ist eine bedeutende Kraft“.
      Abbas hat wohl vergessen, dass Amerkia Monat für Monat Mio.$ an die Palästinenser überweist und Russland nada – nix.

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  4. „Auch der Historiker Tom Würdemann kritisierte die Neigung, die Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten von außen zu beurteilen. “
    Ganau das trifft auf die deutschen und EU Politiker zu. In kaum einer Erklärung fehlen die formelhaften Worthülsen/Forderungen an/über Israel. Herr Borrell, tut sich m.E. da besonders hervor. Aktuell in seinen Erklärungen zum wiederbelebten Treffen EU-Israel, voll mit Forderungen und Vorwürfen an Israel

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  5. Abbas dreht sich wie der Wind in all seinen Lügen. Es geht ihm nur um möglichst viel abzukassieren.
    Leider, ja leider, wollen es UN, EU und BRD nicht sehen. Sein Ziel ist es, an Israel vorbei einen Staat zu gründen, d.h. andere sollen ihn für ihn gründen.
    Das Böse steht hoch im Kurs.
    Sei lieb gegrüßt. Shabbat Shalom

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