Der kanadisch-israelische Filmemacher und Rabbiner Raphael Shore und die syrisch-libanesische Aktivistin Rawan Osman unterhalten sich über die Frage „Warum hassen die Menschen Juden?“. Die Reise der beiden unterschiedlichen Protagonisten zu ihrer Antwort auf diese Frage wird umrahmt von tiefen Analysen der jüdischen Geschichte und Expertenaussagen. Am Ende steht die Erkenntnis: Antisemiten hassen die Juden nicht für ihre schlechten, sondern für ihre guten Seiten.
Raphael Shore
Die Frage nach dem Warum beschäftigt Raphael Shore schon seit seiner Studienzeit vor 40 Jahren. Vor dem 7. Oktober begann er die Arbeit an seinem Buch „Wer hat Angst vor dem großen bösen Juden?“. Es behandelt dasselbe Thema. Shore veröffentlichte das Buch am 7. Oktober 2024, genau ein Jahr nach dem Massaker. Von der Dokumentation „Tragisches Erwachen: Ein neuer Blick auf den ältesten Hass“ ist bislang nur der Trailer frei zugänglich.
Shore lässt in seinem Film Antisemiten wie Adolf Hitler zu Wort kommen und ihren Judenhass erklären. Er ist überzeugt: „Wenn wir verstehen, warum sie uns hassen, werden wir lernen, uns selbst zu lieben.“
Rawan Osman
Rawan Osman ist in Syrien geboren und im Libanon aufgewachsen. Später lebte sie eine Zeit lang in Saudi-Arabien und Katar. Nach eigener Aussage hasste sie die Juden. „In den Medien, in den Nachrichten, in der Zeitung sendeten sie dieselbe Botschaft: Die Juden sind unsere Feinde. Mir wurde gesagt, der Holocaust sei eine Lüge“, berichtet Osman zu Beginn der Dokumentation.
Als junge Erwachsene zog Osman nach Frankreich. Dort traf zu zum ersten Mal in ihrem Leben Juden. Ihre anfängliche Panik verwandelte sich in so großes Interesse, dass sie begann, das Judentum zu studieren: „Das Lesen dieser Geschichte änderte meine Meinung und ich war wütend. Denn der Jude ist nicht mein Feind.“ Schnell setzte sich Osman zum Ziel, ihre neugewonnenen Erkenntnisse und Liebe zum jüdischen Volk an andere und vor allem an Araber weiterzugeben.
Dazu gründete sie das Forum „ArabsAsk“. Es ist an die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg angebunden, wo Osman derzeit studiert. „Das Leben in Europa, insbesondere das Jahrzehnt, das ich in Deutschland verbrachte, machte mich zu einer der lautstärksten Unterstützerinnen des jüdischen Staates. Wer hätte das gedacht?“
Hitlers Verachtung jüdischer Werte
Der neue Ansatz von „Tragic Awakening“ liegt darin, die Gründe für den Antisemitismus auf eine Weise zu beleuchten, die eine positive Bewertung zulässt. „Hitler glaubte, dass die Ideen von Humanität, Liebe, Gleichheit und Demokratie das Ende der Menschheit bedeuten würden, wenn sie sich durchsetzten“, sagt Shore im Film. Die Juden mit ihrer Ethik und ihren lebensbejahenden Idealen stellten demnach eine direkte Bedrohung für Hitlers Sozialdarwinismus dar.
Hitler habe die Juden als spirituelle Bedrohung betrachtet, die den Menschen „gefährliche Denkweisen“ einpflanzten, sagt Shore. „Die Nazi-Revolution war eine Rebellion gegen das, was als ethische Grundlagen der westlichen Zivilisation akzeptiert worden war, und das waren im Kern jüdische Ideen.“
Ermutigender Antisemitismus
„Wir werden in dem Glauben erzogen, dass die Menschen Juden aus religiösen, sozialen oder politischen Gründen hassen“, sagt Rabbi Shore. Viele Juden suchten als Konsequenz davon die Schuld am Antisemitismus bei sich selbst oder dem jüdischen Staat. Eine weitere Erklärung für Antisemitismus sei das Bild vom Sündenbock: Die Menschheit wälze die Verantwortung für eigenes Versagen oder sogar Naturkatastrophen auf die Juden ab.
Aber es gebe einen dritten Grund, „etwas an den Juden, das sie wirklich hassen“. Und zwar die jüdische Berufung, der Welt Werte, Ordnung und Gotteserkenntnis zu bringen. „Die Werte, die wir von Gott haben, der Wert des Lebens, des Friedens, der Gleichberechtigung, der proaktiven sozialen Verantwortung, der allgemeinen Bildung, all das kommt vom jüdischen Volk. Im Laufe von 2.000 Jahren hat die Welt diese Ideen unter dem Einfluss des Judentums und der jüdisch-christlichen Werte übernommen“, ruft Shore in Erinnerung.
Seine Sichtweise soll Juden ermutigen: Sie werden nicht gehasst, weil sie Schlechtes, sondern weil sie Gutes vollbracht haben.
7. Oktober und jüdischer Staat
Dieses Prinzip gilt auch für den jüdischen Staat, ungeachtet all seiner Unvollkommenheit. Umgeben von Diktaturen und Theokratien stelle der demokratische Staat mit seiner freien Gesellschaft eine Bedrohung für diese Regime dar. Deshalb wollten sie Israel zerstören.
Für Shore und Osman wirkte der 7. Oktober 2023 als neuer Antrieb, Wahrheiten über Juden und Antisemitismus ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Dabei haben sie die jüdische und die nicht-jüdische Welt gleichermaßen vor Augen. „Wenn ich mich selbst zusammen mit Rabbi Shore auf der großen Leinwand sehe“, sagt Osman in einem Interview, „habe ich das Gefühl, dass es noch zu meinen Lebzeiten Frieden zwischen Israel, dem Libanon und Syrien geben könnte.“
Geistliche Komponente
Unaufdringlich, aber deutlich hat der Film auch eine geistliche Komponente. Er erkennt an, dass Antisemitismus ohne diese Komponente nicht zu erklären ist. „Solange Juden der Welt eine tiefgründige spirituelle Botschaft bringen, wird es Widerstand geben“, erklärt Shore. „Dieser Widerstand ist Antisemitismus.“
Maßgeblich an der Filmproduktion ist die Aseret-Bewegung beteiligt, die im Zentrum ihres Wirkens die universelle Bedeutung der Zehn Gebote propagiert. Auch Osman erkannte, dass die jahrelange Beschäftigung mit dem Judentum sie universellen Wahrheiten und Gott näherbrachte. Sie trägt sich mit dem Gedanken, zum Judentum zu konvertieren.
8 Antworten
Woher kommt der Antisemitismus? Antisemitismus kommt von links. 2 Beispiele: 1. 1881. Im Parteiorgan Der Sozialdemokrat wurden demonstrativ antijüdische Passagen der Frühschrift von Karl Marx Zur Judenfrage nachgedruckt. 2. 1892 illustrierte das sozialdemokratische Witzblatt Der Wahre Jacob wiederholt die Parole „Wider Junker und Juden!“
@Albert
Einspruch! Links kann den zwar auch, aber die Grundursache ist die Ablehnung Gottes. Und als Kirche die Juden als Gottesmörder verurteilt hatte,
sah man nicht mehr den gekreuzigten Juden und sich selbst mit seiner Schuld, die das Opfer Jesu notwendig machte.
Zitat oben: Er ist überzeugt: „Wenn wir verstehen, warum sie uns hassen, werden wir lernen, uns selbst zu lieben.“
Ich finde diese Aussage problematisch, unausgegoren. Als ob es Gründe für Judenhass oder gegen Selbstliebe gäbe, wenn Juden diesen Hass nicht verstünden. Und wieso sollte man erst diesen Hass verstehen, um sich dann selbst lieben zu LERNEN? Also wirklich…
Auch die Religion ist weder plausibler Grund noch Anlaß. Jede Religion nimmt für sich in Anspruch, die allein richtige zu sein, Diskussionen sind da wirklich müßig.
Antisemitismus ist in der heutigen Zeit, inder jeder Zugang zu Bildung hat, lediglich eine Form von Geistesgestörtheit. Ich glaube übrigens nicht, dass Bildung da weiter hilft. Goebbels war promovierter Germanist, andere waren und sind es auch. Die pal. Studenten an deutschen Unis bekommen das Beste an Bildung, daran liegt es also nicht.
Wer einem ungebildeten, indoktriniertem Antisemiten einen Uni-Abschluss ermöglicht, ´“bekommt“ einen gebildeten Antisemiten mit tausendfacher Reichweite.
Ich gebe Ihnen da völlig Recht , auch gerade, was die – vergebliche – Hoffnung auf Verbesserung durch Bildung angeht. Ich habe für mich eine recht simple Sehensweise entwickelt : ein Antisemit ist einer, der meinem Mann an den Kragen will. Da ist es mir völlig wurscht, ob er von rechts, von links, von der Mitte, von oben oder von unten kommt, ob er Christ, Moslem, Buddist oder Atheist ist, weiss, schwarz oder sonstwas. Ich will ihn nicht „verstehen“, ich will, dass er bekämpft wird.
Der Artikel ist für mich hochinteressant, nachdem ich mich Jahrzehnte mit der Shoah auseinander gesetzt habe und versucht habe zu verstehen, wie die Shoah möglich würde, weshalb es diesen jahrtausendalten Antisemitismus gibt, warum er immer noch vllt mehr den je, weltweit existiert.
Eine fortwährende Tragödie des jüdischen Volkes, die bei den betroffenen Menschen, dem jüdischen Volk, mehr oder weniger ein Schuldbewußtsein bewußt oder unbewusst auslöst. Das typische Verhalten von Opfer: „Es muß an mir liegen, ich bin selber schuld.“
Ich teile den Kommentar von „Flügelpfeil“.
Eine scheinbar „moralisch einwandfreie Person“ löst bei manchen Menschen etwas aus. Sie fühlen sich provoziert, haben selbst eine Minderwertigkeit, sind neidisch und eifersüchtig, weil es da jemand gibt, der Erfolg hat, kreativ ist….
Letztlich ist für mich der Antisemitismus auch eun „Kampf“ gegen Gott. Das jüdische Volk, als die „leiblichen“ Geschwister Jesu und Miteigentümer im Hause Gottes, stellen bewußt und/oder unbewusst etwas „göttliches“ dar. Das ist etwas, was die „Welt“ nicht haben will, daß ist etwas störendes im „Schlamm und Schmutz“ bzw. im vielfältigen Sündenfall dieser Welt, wo viele gerne, wie zu allen Zeiten selbst „Gott“ sein möchten.
Den Antisemitismus wie im Artikel oben beschrieben, „zu verstehen“ könnte wirklich ein Stück „Befreiung“ von der vielen Selbstzweifeln und Schuldgefühlen jüdischer Personen sein. So verstehe ich die Antwort des Rabbiners.
Ich hoffe, daß meine Worte verständlich sind und nicht zu Mißverständnissen führen.
Den Film würde ich sehr gerne sehen.
@otto
Das Zitat mit dem Hass verstehen und sich selbst lieben zu können, erklärt sich weiter unten im Text.
Es bedeutet, dass man als Jude davon absehen kann, an sich selbst schlechtes als Grund für den Antisemitismus der einem begegnet, zu suchen, um geliebt zu werden. Denn die anderen hassen das am Judentum was gut ist und es auszeichnet. Also kann man das Gute endlich ohne aber anerkennen und sich selbst endlich lieben. Denn die anderen liegen in ihrem Hass verkehrt.
Zumindest habe ich es so verstanden.
Als Christin sehe ich als den tiefen Ursprung des Antisemitismus tatsächlich eine Ablehnung Gottes. Denn Israel ist und bleibt „Gottes Augapfel“ und ein heiliges Volk. Was nicht heißt fehlerlos, wie kein Mensch.
Danke für den Filmtipp!
Ich überlege gerade, ob es nicht möglich ist, den auch mal in unserer Gemeinde zu zeigen. Ob der nicht generell in Gemeinden gezeigt werden sollte. Er sollte überall gezeigt werden.
Ich denke, das wäre wirklich mal sinnvoll.
Ja, die Quintessenz dieser filmischen Inszenierung trifft den antisemitischen Nagel auf den Kopf, obwohl es mir lieber wäre, dieser Nagel würde sich so aus menschlichen Herzen so herauszulösen, wie es bei Rawan Osman als ein leuchtendes Beispiel gelang. Ich bin dankbar für diesen Kommentar, der uns wieder einmal die Grundwahrheiten deutlich vor Augen führt .