Unmittelbar nach Einsetzen der russischen Angriffe auf die Ukraine war Israel mit humanitären Hilfsleistungen zur Stelle. In dieser Hinsicht zeigte sich das Land solidarisch mit den kriegsgeprüften ukrainischen Bürgern. Ansonsten war die Regierung unter Premier Naftali Bennett (Jamina) und Außenminister Jair Lapid (Jesch Atid) bis zur Abwahl im November 2022 auf einen Zickzack-Kurs bedacht: Israels Außenminister Lapid verurteilte wiederholt die russische Invasion der Ukraine, Premierminister Bennett ruderte jedes Mal zurück, um Moskau nicht zu sehr zu verärgern. Für diese Politik hagelte es in Israel wie auch auf der internationalen Bühne Kritik.
Auf Kurs bleibend
Als im Herbst 2022 der Iran an der russischen Front gegen die Ukraine auftauchte, schreckte Israel auf. Dass Russland iranische Drohnen in der Ukraine zum Einsatz brachte, wertete Israel als bedeutende Veränderung nicht nur an diesem Kriegsschauplatz. Dieser weitere Vorstoß des Erzfeindes Iran, der dem jüdischen Staat die Auslöschung seiner Existenz androht, erachtete es als grundlegende Verschiebung geopolitischer Konstellationen.
Dennoch blieben Bennett und Lapid bei den Prinzipien des von ihnen eingeschlagenen Kurses: Israel wird keine Waffen an die Ukraine liefern, ist aber bereit, die Lieferung von Verteidigungssystemen zu erwägen. Stillschweigend half Israel dennoch, aber lediglich mit nachrichtendienstlichen Informationen zur Abwehr der Angriffe von iranischen Drohnen.
Positive Reaktionen aus der Ukraine und aus Russland
Während dieser Monate schwieg der an der Spitze der parlamentarischen Opposition stehende Ex-Premier Benjamin Netanjahu (Likud) beharrlich in Sachen Ukraine-Russland. Auch zum Bennett-Lapid-Kurs wahrte er Schweigen. Das war ungewöhnlich, weil er ansonsten fast jede Aussage und Entscheidung der Veränderungskoalition unter Leitung dieser beiden Politiker negativ kommentierte. Im Wahlkampf meldete sich Netanjahu erstmals zum Thema zu Wort. Er kritisierte den Bennett-Lapid-Kurs, hielt sich aber in Sachen Waffenlieferungen bedeckt, obschon er sie nicht kategorisch ausschloss.
Als das Wahlergebnis in Aussicht stellte, dass Netanjahu wieder Israels Premier wird, kamen positive Reaktionen sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij war mit Forderungen zur Stelle, denen er jetzt bessere Chancen einräumte.
Die Russen hingegen schien nicht zu interessieren, dass Israel sich in dem Konflikt auf die ukrainische Seite schlagen könnte. Vielmehr drang aus dem russischen Ausschuss für Außenpolitik Wohlgefallen, dass in Israel wieder ein Mann an die Macht komme, der „Russlands Weltanschauung“ teile und genau wie Moskau unbeirrt ausschließlich die eigenen Interessen verfolge.
Überraschungsbesuch
Die erste Reise eines israelischen Regierungsvertreters in die Ukraine nach Ausbruch des Krieges wurde nicht wegen politischer Erwägungen zum Überraschungsbesuch. Der Reiseplan von Israels neuem Außenminister Eli Cohen (Likud) wurde aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. Sein Besuch war ein deutliches Zeichen. Die Offerten, die er der Ukraine machte, untermauern das zusätzlich. Außenminister Cohen sicherte zu, „dass Israel das Niveau der Unterstützung ausweiten wird (…).“
In seiner Antrittsrede Ende Dezember 2022 hatte er angekündigt, dass unter seiner Leitung „weniger über den Krieg geredet wird“. Viele deuteten das als Ankündigung einer Annäherung an die Ukraine. Cohen bekundete allerdings kurz darauf, zuerst den Kontakt zum russischen und erst nachfolgend zum ukrainischen Amtskollegen zu suchen. Sein erster Auslandsbesuch zeigt, dass in dieser Sache nicht er, sondern Premier Netanjahu die Richtung vorgibt.
Zu dem Zeitpunkt schien Netanjahu allerdings selbst noch nicht über die bevorzugte Richtung sicher gewesen zu sein. Er betonte seine Bereitschaft, „unter den richtigen Bedingungen“ als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland zu fungieren, redete zeitgleich aber von möglichen Waffenlieferungen an die Ukraine.
Inzwischen scheint er darauf bedacht zu sein, nicht nur deutliche, sondern überdies handfeste Signale abzusetzen. Es ist nicht mehr die Rede davon, dass die Lieferung eines Frühwarnsystems erwogen wird, denn Israel hat in Kiew durch seinen Außenminister zugesichert: Israel wird ein solches System, zugeschnitten auf ukrainische Bedürfnisse, entwickeln. Das ist eine Stellungnahme, für Israel allerdings mehr als eine Positionierung in einem Konflikt zwischen zwei Parteien. Doch zunächst brachte der dennoch seichte israelische Vorstoß Konsequenzen an einer ganz anderen Front.
Russland zieht die Daumenschrauben an
Kaum war Israels Außenminister auf der Heimreise, da brachte Moskau seine Verärgerung auf subtile, aber dennoch unverhohlene Weise zum Ausdruck. Schon im August 2022 verstand es der Kreml, an ungeahnten Fronten die Daumenschrauben ansetzen zu können, die nach Cohens Ukraine-Besuch urplötzlich angezogen wurden. Die staatlich-israelische „Jewish Agency for Israel“ ist zur Abwickelung der Einwanderung von Juden nach Israel instrumental; so auch in Russland.
Wenige Monate nach Beginn der russischen Ukraine-Offensive leitete Moskau aus heiterem Himmel ein Gerichtsverfahren gegen diese israelische Institution ein. In dieser Zeit gab es hektische Aktivitäten wegen der wachsenden Zahl von Einwanderungsanträgen russischer Juden. Nach dreißig Jahren der Tätigkeiten in Russland wurde der Jewish Agency vorgeworfen, gegen geltendes russisches Recht zu verstoßen, weil Daten über russische Staatsbürger gesammelt und nach Israel weitergeleitet werden.
Israel bereitete das große Sorgen, doch der Prozess in Moskau wurde von den Russen in keiner Weise vorangetrieben. Somit schien weniger brenzlig, dass schon in naher Zukunft für Russlands Juden erneut der Eiserne Vorhang fallen könnte.
Am Tag nach Cohens Ukraine-Besuch wurde bei dem Gerichtsverfahren gegen die Jewish Agency dann erstmals ein anderer Ton angeschlagen. Plötzlich ging es nicht mehr um technische Aspekte. Die klageführende Seite ging unvermittelt zur Verhandlung von bedeutsamen inhaltlichen Aspekten über. Und anstatt wie bisher Sitzungen in größeren zeitlichen Abständen anzusetzen, gab die Prozessleitung einen weiteren Verhandlungstermin zu diesen Inhalten innerhalb weniger Tage bekannt. Richter und Kläger scheinen sich einig: Den Verteidigern der vor Gericht gezerrten Jewish Agency soll möglichst wenig Vorbereitungszeit bleiben.
Tektonische Bewegungen mit Schmetterlingseffekt
Noch bevor der Prozess fortgesetzt wurde, führte Israel einen Angriff gegen iranische Ziele in Syrien aus. Das Wohlwollen der Russen in dieser Angelegenheit war einer der wichtigen Beweggründe für das israelische Leisetreten in Sachen Ukraine-Konflikt. Doch schlichtweg alles rund um diesen jüngsten Angriff Israels auf syrischem Hoheitsgebiet, der zweifelsfrei grundlegend mit Russland koordiniert wurde, war ungewöhnlich. Selten riskiert Israel, dass Menschen, erst recht unbeteiligte Zivilisten, zu Schaden kommen. Laut syrischen Angaben kamen dieses Mal fünf Menschen ums Leben, 15 wurden verletzt.
Ungewöhnlich war auch, dass sich Syrien ausführlich zum Angriff äußerte und mit Beschreibungen ins kleinste Detail ging. Das hat es bislang im Zusammenhang mit israelischen Angriffen nicht gegeben. Israelische Experten stellten in den Raum, dass Syrien die Hebelwirkung, die ihm der Ukraine-Besuch von Cohen verschaffte, gezielt verstärken wollten, um sich vor Israels Haustür die russische Rückendeckung zu sichern.
Das ereignete sich nur kurz nach Abschluss der Münchener Sicherheitskonferenz, auf der im Westen Ernüchterung über die Haltung Chinas im Ukraine-Konflikt eingekehrt war. Für Israel war das abzusehen, schließlich besuchte der höchste Repräsentant des neuen Bündnispartners an Russlands Seite, der iranische Präsident Ibrahim Raisi, das „Reich der Mitte“ in der Woche zuvor.
Ein erfahrener Politiker, der etwas wagt
Israels Premier Netanjahu wird sich in nächster Zeit kaum mit seinem „guten Freund“ Wladimir Putin rühmen, so wie er das 2019 im Rahmen eines Wahlkampfposters tat. Dafür ist Putin viel zu nah an den Iran herangerückt. Netanjahu gilt auf der internationalen Bühne nicht nur als erfahrender Politiker, sondern auch als Mann, der etwas wagt.
In Israel gab es keine Begeisterungsausbrüche, als er sich in Zeiten, in denen das Land mit einer innenpolitisch unruhigen Phase ringt, um Israels Beziehungen zu Saudi-Arabien kümmerte. Dennoch ließ Netanjahu es sich am Vorabend weiterer Anti-Regierungsproteste in Israel nicht nehmen, von einem „diplomatischen Quantensprung“ bei den israelisch-saudischen Beziehungen zu reden. Natürlich fügte er hinzu, dass dies umso bedeutender sein, weil der Quantensprung mit dem Kampf gegen den Iran in Verbindung steht.
Bedenkt man, dass fast zeitgleich Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde bekanntgaben, im Iran 84 Prozent angereichertes Uran entdeckt zu haben, könnte eine deutlichere Positionierung Israels an der Seite der Ukraine nur ein weiterer schlichtweg anstehender Schritt infolge von geopolitischen Verschiebungen sein; einmal ganz abgesehen davon, dass sich Israel schon früher mit Russland – im Zeitalter der UdSSR – entzweit hat und den Blockwechsel, der damit letztlich in Gang gesetzt wurde, bislang immer gepriesen hat.
Antje C. Naujoks studierte Politologie an der FU Berlin und an der Hebräischen Universität Jerusalem. Die freischaffende Übersetzerin lebt seit fast 35 Jahren in Israel, davon ein Jahrzehnt in Be‘er Scheva.
2 Antworten
Warum muss man sich den zur Ukraine bekennen? Wo sind wir eigentlich angekommen? Ist die Ukraine und Herr Selenskij etwa der Messias?
Das sicher nicht und juden in ukraine ging auch nicht immer gut. Nur wenn wir betrachen das russland mit dem iran enger rückt, ist das fur israel auch nicht gut. Ich wurde sagen das in dieser Situation mus mal ukraine helfen und russland schwechen. Verschwindet russland aius Syrien wird auch iran schwächer. Russen haben israel belogen in dem sie versichert haben das iraner nicht auf die grenfze zu israel kommen.