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„Wir alle sind anfällig für Antisemitismus“

Auf einer Tagung warnt der Antisemitismusbeauftragte Michael Blume vor den Gefahren von Antisemitismus. Außerdem plädiert er für einen neuen Umgang von Christen mit dem Judentum. In einer anschließenden Podiumsdiskussion beraten die Teilnehmer über Maßnahmen gegen Antisemitismus.
Der Antisemitismusbeauftragte in Baden-Württemberg, Michael Blume, warnt vor Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft

Keiner ist vor Antisemitismus gefeit. Das sagte der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, am Sonntag auf der Tagung „Antisemitismus heute“ im Gästezentrum Schönblick, in Schwäbisch Gmünd. Der Grund für diese Annahme liege in der Natur unserer menschlichen Psyche. Gerade die Corona-Krise zeige dies sehr deutlich. Der Religionswissenschaftler beobachte aktuell an vielen Stellen das Phänomen des „blunting“ (Verdrängung). Viele Menschen würden ihre Ängste verdrängen und stattdessen Schuldige suchen. Die Schuld falle entweder auf die Medien, die Politik oder Juden. Historisch gesehen könne dies bei jeder großen Gesundheitskrise beobachtet werden, auch während der verschieden Pestwellen im Mittelalter.

Ebenso wie jeder zum Antisemiten werden kann, könne auch jeder ins Fadenkreuz des Antisemitismus geraten, erklärte Blume. Er selbst erlebe in seinem Alltag als Antisemitismusbeauftragter immer wieder Anfeindung. Menschen, die an Verschwörungen glaubten, fänden immer einen Ansatzpunkt für ihre Ideologie. Dabei könne sich Antisemitismus gegen Juden oder andere richten.

„Israel nicht nur endzeitlich betrachten“

In der Geschichte hätten neue Medien für die Verbreitung von Antisemitismus immer eine große Rolle gespielt, sagte Blume. So habe der Buchdruck Martin Luthers Antisemitismus befördert oder der Rundfunk die Propaganda der Nationalsozialisten. Das Internet reihe sich in dieser Aufzählung ein. Im Netz gehe der Blick vom Lokalen auf das große Ganze. Damit gehe auch die Annahme einher, dass „die da oben“ an allem Schuld seien.

Blume sagte weiter, dass Antisemitismus aus allen Teilen der Gesellschaft herauskomme. Die sogenannte Querfront aus Linken im Öko-Outfit, Leuten mit Reichskriegsflaggen oder Unternehmern aus der bürgerlichen Mitte, die weder rechts noch links sein wollen, transportiert gleichermaßen Antisemitismus. Auch in christlichen Kreisen könne er Antisemitismus beobachten. Blume kritisierte Christen, die Israel ausschließlich im Kontext einer apokalyptischen und endzeitlichen Schlacht sehen und daher Israels Friedensabkommen mit seinen arabischen Nachbarn negativ gegenüber stehen. „Wer Israel für seine eigenen Phantasien von Krieg und Gewalt benutzt, ist kein echter Freund Israels“, sagte Blume.

Maßnahmen gegen Antisemitismus

In einer anschließenden Podiumsdiskussion berieten die Teilnehmer über Strategien zur Bekämpfung von Antisemitismus. Blume stellte darin den Nutzen der gängigen Holocaustpädagogik für Schüler mit Migrationshintergrund in Frage. Nur über die Vergangenheit und Gedenkstätten erreiche man die Jugendlichen nicht. Vielmehr brauche es Begegnungen mit lebenden Juden. Antisemitismus könne erst dann überwunden werden, wenn Juden mit Nichtjuden in Frieden und Gleichberechtigung zusammenlebten. Gottfried Bühler von der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem (ICEJ) stimmte seinem Vorredner zu. Vor allem die Begegnung mit Überlebenden des Holocausts spielt für ihn eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Antisemitismus.

Der Antisemitismusbeauftragte in Baden-Württemberg, Michael Blume (rechts) neben Vladimir Pikman Foto: Israelnetz/Martin Schlorke
Der Antisemitismusbeauftragte in Baden-Württemberg, Michael Blume (rechts) neben Vladimir Pikman
(v.l.) Thorsten Trautwein, Anatoli Uschomirski und Gottfried Bühler während der Podiumsdiskussion Foto: Israelnetz/Martin Schlorke
(v.l.) Thorsten Trautwein, Anatoli Uschomirski und Gottfried Bühler während der Podiumsdiskussion

Der Schuldekan Thorsten Trautwein brach dennoch eine Lanze für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Politische Projekte seien viel mehr als nur ein Feigenblatt. Die Grundhaltung sei anerkennenswert. Dem widersprach der Leiter des Evangeliumsdienstes „Beit Sar Shalom“, Vladimir Pikman. Er höre seit 25 Jahren die gleichen Aussagen aus der Politik. Dennoch sei keine Besserung in Sicht. Eine Veränderung müsse aus der Gesellschaft herauskommen. Außerdem plädierte er dafür, die deutsch-jüdische Geschichte nicht nur auf den Holocaust zu reduzieren. Vielmehr sollten „die positiven Dinge“ in der gemeinsamen Geschichte betont werden. Dem stimmte der messianisch-jüdische Autor Anatoli Uschomirski zu. Deutsche und Juden würden sich aber zu wenig kennen. Das müsse geändert werden.

Mehr Israel in den Kirchen

An die Kirchen gerichtet forderte Bühler, das Thema Israel und Juden nicht nur am Israelsonntag anzusprechen, sondern regelmäßig auf die Kanzel zu bringen. Den Israelsonntag begeht die Evangelische Kirche in Deutschland am 10. Sonntag nach Trinitatis, dieses Jahr war er am 16. August. Pikman betonte, dass Jesus „100 Prozent Gott, 100 Prozent Mensch und 100 Prozent Jude“ sei. Dem schloss sich Blume an und forderte daher das Thema Judentum ins Pflichtprogramm einer jeden theologischen Ausbildung aufzunehmen.

Einigkeit herrschte unter den Diskutanten beim Thema Auswanderung jüdischer Mitbürger. Das könne nicht die Lösung im Kampf gegen Antisemitismus sein, sondern würde zum Sieg des Bösen führen, sagte Blume.

Den Antisemitismuskongress vom 20. bis 22. September im Gästezentrum Schönblick in Schwäbisch Gmünd besuchen inklusive der geladenen Gäste rund 280 Menschen. Die Christliche Medieninitiative pro, zu der auch das Christliche Medienmagazin pro und Israelnetz gehören, ist einer der Mitorganisatoren.

Von: Martin Schlorke

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3 Antworten

  1. Menschen mit Intelligenz und Bildung, die sich mit dem Judentum, seiner Kultur, Historie und Religion beschäftigt haben, sind immun gegen Antisemitismus.

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  2. Zum Thema „Auswanderung“: Wird diese „einmütig“ abgelehnt, wären Juden implizit gezwungen, unter teilweise nicht mehr zu ertragenden Umständen zu leben. Sollen sie sich für den „Kampf gegen Antisemitismus“ hiesiger Organisationen opfern, wenngleich der Judenhass nicht ab-, sondern zunimmt? Dass die o.g. Gesprächsteilnehmer sich gegen eine Emigration aussprechen ist verständlich, wollen sie doch ihre Anstrengungen gegen Antisemitismus nicht in Abrede stellen bzw. deren vielfache Erfolglosigkeit eingestehen.

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  3. Es ist eine politische und theologische Irrlehre, die Minderheitenpolitik des Staates Israel mit Judentum zu identifizieren. Wir sollten auf Martin Buber hören, der seit den 20-er Jahren (!) für friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Arabern in Palästina eintrat. Die jüdische Shoa-Überlebende Esther Bejarano hat im Juni 2018 am Ende eines Briefes an mich geschrieben: Antisemitismus und jeglicher Rassismus muß bekämpft werden. Leider werde ich auch als Antisemitin beschimpft, weil ich gegen die schreckliche Politik in Israel bin. Leider äußert sich unsere Regierung nicht gegen die dortigen menschenverachtenden Zustände.

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