Zunächst die Fakten: Israel befürchtet das Schlimmste, falls der Iran eine Atombombe und die notwendigen Trägersysteme (Raketen) besitzt, um das "zionistische Regime von der Weltkarte zu löschen". Die Kombination ideologisch motivierter Absicht, Israel zu vernichten, und praktischer Versuche, die ultimative Waffe zu erlangen, bestimmten Israels diplomatische Bemühungen, die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen aufzufordern. Indem israelische Politiker das Thema bei jeder Gelegenheit und Kontakten mit dem Ausland auf die Tagesordnung setzten, war klar, dass Israel nie glaubte, die vom Iran ausgehende Gefahr alleine meistern zu können.
Die Amerikaner haben schon vor über zehn Jahren Israels Befürchtungen verstanden. Die Europäer reagierten darauf mit großer Verspätung, unter anderem nach "Drohungen" des US-Vizepräsidenten Dick Cheney, die "unberechenbaren" Israelis nicht zügeln zu können. So entstand der Eindruck, als ob nicht der Iran eine Bedrohung für den Weltfrieden darstellt, sondern eher Israels Reaktion darauf. Teilweise wird bis heute Israels vermeintliches Säbelrasseln für bare Münze gehalten, während die Drohungen des Iran als "Rhetorik" abgetan und dessen Atomprogramm bestritten oder verniedlicht werden. Das änderte sich spürbar erst mit dem Weggang von Muhammad el-Baradei von der Spitze der Internationalen Atombehörde IAEA mit Hauptsitz in Wien.
Tatsache ist, dass der Iran die Lehre aus der israelischen Zerstörung des irakischen Reaktors Osirak 1981 bei Bagdad gezogen hat. Teheran verteilte seine Atomanlagen über das ganze Land, teilweise in unzerstörbare unterirdische Bunker und an geheime Orte. Wie der geheime mit der Beobachtung des Iran beauftragte Offizier der israelischen Armee in einem Interview mit diesem Korrespondenten verriet, gebe es keine Gewissheit, alle relevanten iranischen Atomanlagen auf einen Schlag zerstören zu können. Ein unvollständiger Schlag könne den Iran animieren, an geheimen Orten die Produktion einer Atombombe zu forcieren.
Feindliche Flugzonen würden Angriff erschweren
Ob Israel tatsächlich einen wirksamen Militärschlag durchführen kann, ist allein wegen der Geografie mehr als fraglich. Israelische Kampfflugzeuge müssten die Türkei, Syrien, Jordanien, den Irak oder Saudi-Arabien überfliegen, also feindliche Flugzonen. Wegen der Entfernungen und der zahlreichen Ziele im Iran müssten sehr viele Kampfflugzeuge eingesetzt und im Fluge aufgetankt werden, um heil wieder zurückzukehren. Hinzu kommen politische Bedenken wie amerikanischer Widerspruch oder Reaktionen arabischer "Freunde" des Iran, etwa der mit 10.000 Raketen aufgerüsteten Hisbollah im Libanon. Wie realistisch ein israelischer Schlag ist, können deshalb wohl nur die israelischen Verantwortlichen selber beurteilen.
Andererseits droht der Iran mit einer Schließung der Straße von Hormus, also jener Meerenge, durch die ein erheblicher Teil des Weltbedarfs an Erdöl nach Japan, Europa, Australien und in andere Länder per Tanker transportiert wird. Aus gutem Grund haben die Amerikaner drei Flugzeugträger in Richtung Persischem Golf gelenkt. Auf jenen Flugzeugträgern sind die gleichen Kampfflugzeuge mit identischen bunkerbrechenden Bomben und vielleicht gar Atombomben stationiert, über die auch Israel verfügt.
Befürworter eines Militärschlags schweigen
In israelischen Medien läuft tatsächlich seit Wochen eine Debatte über einen möglichen Militärschlag gegen Iran. Ex-Generale und Ex-Geheimdienstchefs melden sich zu Wort und warnen vor verheerenden Folgen für die "Stabilität" des ohnehin instabilen Nahen Osten.
Ein Kommentator bemerkte, dass sich bisher nur Gegner eines israelischen Militärschlags zu Wort gemeldet hätten, aber noch kein Befürworter. Die verantwortlichen Politiker schweigen, zumal ein "Überraschungsschlag" nur selten vorher öffentlich diskutiert wird.
Das offizielle Israel befürwortet scharfe Sanktionen gegen den Iran, wie sie jetzt beschlossen worden sind. Es forderte von den USA und der EU diplomatische Schritte, um den Iran von seinem Atomprogramm abzubringen. Militärische Drohungen wurden nur mit der ominösen Formel ausgesprochen, wie man sie auch in Washington und Paris hören kann: "Alle Optionen liegen auf dem Tisch".
Grundsätzlich nimmt Israel wegen schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit die Auslöschungsdrohungen des Iran sehr ernst. Die sechs Millionen Juden Israels wollen keinen zweiten Holocaust hinnehmen.
Deshalb hat Israel zusammen mit den USA für viele Milliarden Dollar die Arrow-Abwehrrakete gegen feindliche ballistische Raketen entwickelt. So ist Israel heute gegen feindliche Raketenangriffe besser geschützt als jedes andere Land der Welt, als Europa, die arabischen Staaten oder amerikanische Stützpunkte in der Region. Denn Patriotraketen, die in Polen und anderswo zum Schutz gegen eine mögliche iranische Bedrohung aufgestellt werden sollten, haben sich während des Golfkriegs von 1991 gegen irakische Scudraketen als unzuverlässig erwiesen. Im Falle einer anfliegenden Rakete mit atomarem Sprengkopf kann und will sich jedoch niemand einen Fehltreffer leisten. Das winzige Israel schon gar nicht.
Israelischer Alleingang wäre unlogisch
Tatsache ist freilich auch, dass arabische Länder, darunter Saudi-Arabien, die Golfstaaten und Ägypten, aufrüsten, aus Angst vor dem Iran als atomarer Hegemonialmacht. Ebenso fällt auf, dass die USA in jüngster Zeit mit ihren Flugzeugträgern militärisch aktiv geworden sind. Es ist deshalb kaum anzunehmen, dass Israel einen logistisch schwierigen und politisch problematischen Alleingang wagen würde, solange mit Sanktionen und arabischer Aufrüstung alles versucht wird, den Iran umzustimmen.