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Wie geht Erinnerungskultur ohne Zeitzeugen?

Dass Überlebende der Scho'ah Deutschland besuchen, ist nicht selbstverständlich. In Düsseldorf haben mehrere Zeitzeugen aus Israel mit Politikern, Schülern und Interessierten über Möglichkeiten der Erinnerungskultur gesprochen.
Überlebende des Holocaust mit ihren Enkeln zu Besuch im Landtag NRW

DÜSSELDORF (inn) – Überlebende des Holocaust und ihre Enkel aus Israel haben am Freitag im Düsseldorfer Landtag über die Erinnerungskultur und Antisemitismus gesprochen. Dabei ging es unter anderem um Wege der Erinnerung an die Scho’ah, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt.

Ins Leben gerufen wurde das Zeitzeugenprojekt „Überleben und Zukunft“ vom Verein Brücke Düsseldorf-Haifa e.V. Es findet im Rahmen des 12. landesweiten „Gebetstages NRW für Israel“ statt.

Landtagspräsident André Kuper betonte in seiner Begrüßungsrede: „Es ist für uns hier in Deutschland alles andere als eine Selbstverständlichkeit, dass Überlebende der Scho’ah aus Israel zurückkommen, hierher in das Land der Täter, um mit uns über die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus zu sprechen.“ Für dieses Zeichen sei er sehr dankbar.

Die Begegnung mit den Zeitzeugen war dem Landtagspräsidenten so wichtig, dass er seinen Ägyptenurlaub unterbrach und extra für den Termin zurück nach Düsseldorf flog.

Die Zeugen der Zeitzeugen

Im Rahmen des Zeitzeugenprojektes wurde darüber gesprochen wie Erinnerung aussehen könnte, wenn die Generation der Zeitzeugen nicht mehr da ist. Kuper zitierte in diesem Zusammenhang den 2016 verstorbenen Holocaust-Überlebenden und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel: „Wer einem Zeitzeugen begegnet und zugehört hat, wird selbst zum Zeugen.“ Dieser Satz sei wahr, sagte Kuper. Er verwies auf das Schulprojekt „Zweitzeugen“. Dabei geben Menschen, die mit Zeitzeugen gesprochen haben, das Gehörte und Dokumentierte weiter.

Israelfreundschaft lebendig halten

Zudem sei es wichtig, die Stätten der nationalsozialistischen Verbrechen zu erhalten, als stille Orte der Erinnerung und der Trauer um die Opfer. Als dritte Möglichkeit der Erinnerung nannte Kuper die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel. Es gelte darauf zu achten, dass diese lebendig bleibe. Der Landtagspräsident verwies auf die zahlreichen Partnerschaften zwischen Schulen und Städten und die Möglichkeit eines freiwilligen sozialen Jahres in Israel. Den Jugendlichen legte er ans Herz, diese als selbstverständliches Angebot der deutsch-israelischen Freundschaft zu nutzen.

Johannes Engelhardt vom Verein Brücke Düsseldorf-Haifa e.V. erinnerte daran, dass auf den Tag genau vor 18 Jahren der frühere Bundespräsident und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, vor der Knesset in Jerusalem gesprochen hat. Engelhardt zitierte aus der Knessetrede und wandte sich damit vor allem an die anwesenden Holocaust-Überlebenden: „Im Angesicht des Volkes Israel verneige ich mich in Demut vor den Ermordeten, die keine Gräber haben, an denen ich sie um Vergebung bitten könnte. Ich bitte um Vergebung für das, was Deutsche getan haben, für mich und meine Generation, um unserer Kinder und Kindeskinder willen, deren Zukunft ich an der Seite der Kinder Israels sehen möchte.“

Johannes Engelhardt zitierte aus der Knessetrede des ehemaligen Bundespräsidenten Rau. Links neben ihm Landtagspräsident Kuper Foto: Israelnetz/Dana Nowak
Johannes Engelhardt zitierte aus der Knessetrede des ehemaligen Bundespräsidenten Rau. Links neben ihm Landtagspräsident Kuper

Erinnerungskultur an Schulen

Einen Einblick darin, wie Erinnerungskultur an israelischen Schulen geschieht, gab Michelle Evensteijn aus Aschkelon. Die 13-Jährige berichtete davon, dass in jeder Schule in Israel in der 9. oder 10. Klasse eine Reise nach Polen auf dem Programm steht. Dort besuchen die Schüler das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz und sprechen mit Überlebenden der Scho’ah. Die Reise müssen die Schüler selbst bezahlen. An den Schulen gebe es zudem regelmäßig Gedenkveranstaltungen und Gespräche mit Überlebenden.

Michelle hat sich über die Möglichkeit gefreut, Deutschland kennenzulernen Foto: Israelnetz/Dana Nowak
Michelle hat sich über die Möglichkeit gefreut, Deutschland kennenzulernen

Die Schülerin ist mit ihrer Großmutter Aleksandra Smolkina in Deutschland. Deren Eltern wurden in einem Ghetto erschossen. Es ist ihr dritter Besuch in der Bundesrepublik. Die Großmutter habe von sich aus mit ihr über die Erlebnisse während der Scho’ah gesprochen, erzählt Michelle gegenüber Israelnetz. Trotzdem habe sie keine Angst davor gehabt, nach Deutschland zu kommen. Sie habe sich über die Möglichkeit gefreut und wollte das Land unbedingt kennenlernen.

Persönliche Freundschaften pflegen

Stefan Zahnsinger, ein Besucher aus Solingen, betonte, die offiziellen Termine zum Gedenken in Deutschland seien wichtig. Es sei jedoch ein Unterschied, ob bei einer Veranstaltung Fakten vermittelt würden oder man Menschen treffe, die persönlich erzählen können. Zahnsinger berichtete von einer Begebenheit während seines ersten Besuches in Israel vor etwa 30 Jahren. Mit einem Freund habe er damals in einem Café gesessen, die Sonne und den Urlaub genossen. Da habe ihm plötzlich jemand auf die Schulter getippt. „Ich drehte mich um und sah einen alten Mann. Er krempelte seinen Hemdsärmel auf und zeigte mir seine Nummer. Mir wurde heiß und kalt. Dieser Mann hat mir folgende Worte gesagt: ‚Ihr seid zu jung, um Schuld zu haben, aber ihr habt eine Verantwortung. Vergesst uns nicht!’“

Er habe diesen Mann und Israel nicht vergessen und wolle daran erinnern, welche Verantwortung die Deutschen haben. „Termine und Gedenken sind wichtig, aber Freundschaften sind vielleicht noch viel wichtiger“, ergänzte Zahnsinger

Weiterbildung in Yad Vashem

Der Landtagsabgeordnete Olaf Lehne (CDU) betonte, „wir alle haben die Verpflichtung, dass sich so etwas, wie es im Dritten Reich gegeben hat, nicht wiederholen darf. Dazu gehört, dass wir das, was geschehen ist, so aufbereiten, dass für jeden erkennbar ist, wie fürchterlich das war, was in Deutschland passiert ist.“ Es freue ihn, dass er seit 2005 daran mitwirken dürfe, dass Staatsanwälte, Richter und Polizeibeamte aus Deutschland in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an entsprechendem Unterricht teilnehmen können und erfahren, was Israel zu bieten habe, sagte Lehne. Der Abgeordnete ist Vorstand und Mitglied des Freundeskreises Yad Vashem Deutschland.

Gehört dem Freundeskreis Yad Vashem Deutschland an: der Landtagsabgeordnete Olaf Lehn (l.) Foto: Israelnetz/Dana Nowak
Gehört dem Freundeskreis Yad Vashem Deutschland an: der Landtagsabgeordnete Olaf Lehn (l.)

Das Gesprächsforum fand im Zusammenhang mit dem „Gebetstag NRW für Israel“ statt. Dieser begann am Freitagabend im Düsseldorfer Freien Christlichen Gymnasium und dauert bis zum Sonntagvormittag an. Mehr Informationen dazu gibt es unter www.nrw-fuer-israel.de. Die Schirmherrschaft für den Gebetstag liegt bei Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel.

Von: Dana Nowak

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