Die nahöstlichen Gesellschaften, schreibt Wergin, seien in den vergangenen Jahren erheblich konservativer und muslimischer geworden. Besonders in Ägypten sei nach der Revolution eine Tendenz hin zur Ablehnung Israels und des Westens zu beobachten: "Der Sturm auf die israelische Botschaft in Kairo vor einigen Wochen zeigt, dass eine Bewegung, die anfangs begrüßenswert frei vom alten Hass aus Israel und Amerika war, in Teilen zu den altbewährten Feindbildern zurückkehrt, die nun von der Türkei neu angefacht werden." Gerade auch an der Gewalt gegen die koptischen Christen in Ägypten lasse sich erkennen, "welche Schwierigkeiten nahöstliche Gesellschaften haben, mit der ethnischen und religiösen Vielfalt ihrer Bevölkerung umzugehen". Auf die Kopten habe es nicht nur zahlreiche Anschläge gegeben, die Christen würden auch in den Medien unfair dargestellt und vom staatlichen Sicherheitsapparat unzureichend geschützt. Bei den jüngsten Ausschreitungen am Sonntag sei die erste Gewalt von organisierten Schlägern ausgegangen, welche die Kopten angegriffen hätten und möglicherweise noch dem alten Regime anhingen. Die Reaktion des Militärs sei unangemessen ausgefallen und habe eher mehr Chaos erzeugt, so Wergin: "Denn je mehr Unruhe und Gewalt es in Ägypten gibt, desto eher werden viele wieder nach dem starken und autoritären Staat rufen."
Auch in Libyen zeige sich, "wie tief die antisemitische Konditionierung arabischer Gesellschaften geht". 1967 habe Staatschef Muammar al-Gaddafi jüdische Bürger aus dem Land gejagt. Im Frühjahr 2011 sei einer dieser Juden, der in Rom lebende David Gerbi, in sein Heimatland zurückgekehrt, um sich den Rebellen anzuschließen. Als er nun aber versuchte, in der seit 1967 geschlossenen Synagoge von Tripolis Schutt wegzuräumen und zu beten, hätten wütende Demonstranten beabsichtigt, ihn erneut aus dem Land zu vertreiben. Sie hätten sogar auf Hebräisch geschriebene Plakate hochgehalten, auf denen zu lesen war, dass für Juden kein Platz in Libyen sei. Gerbi habe das Land wieder verlassen.
Modernisierer contra Dunkelmänner
Gleichwohl weist Wergin in seinem Text darauf hin, dass "die arabischen Gesellschaften erst am Anfang einer wahrscheinlich noch turbulenter werdenden Auseinandersetzung mit den eigenen Dämonen und inneren Widersprüchen" stünden. Viele autokratische Herrscher und auch die Muslimbrüder in Ägypten forderten eine scharfe Abgrenzung vom christlich-säkularen Westen, der in ihren Augen die muslimische Welt bedränge und benachteilige. Die christlichen Minderheiten in der arabischen Welt spielten in diesem Weltbild die Rolle "als fünfte Kolonne des Westens, dessen Aufgabe es angeblich ist – ähnlich wie der jüdisch-westlichen Vorposten Israel -, den Islam zu unterwandern". "Die jungen Rebellen", schließt der Autor, "welche die treibende Kraft im ‚arabischen Frühling‘ waren, wollten ihre Gesellschaften von den alten Obsessionen befreien. Die Frage ist, ob sich die Modernisierer diesmal schon gegen die Dunkelmänner durchsetzen können."