Der Forscher Tony Burke von der York University hat für die Fachzeitschrift „Biblical Archaeology“ die unterschiedlichen außerbiblischen Evangelientraditionen zusammengestellt. Die erste Krippenszene, wie man sie heute in jedem Heim und jeder Kirche sieht, stamme demnach von St. Franziskus von Assisi um 1223. Dieser harmonisierte die von Lukas beschriebene Geburt Jesu in einem Stall, besucht von Hirten im Beisein eines Engels und den Besuch der „Weisen aus dem Morgenland“, wie sie bei Matthäus dargestellt wird. Ein Stern leitete die Weisen zu dem Haus in Bethlehem, wo sich Maria mit dem Kindlein befand. Das geschah bekanntlich, nachdem sie König Herodes nach dem neugeborenen „König der Juden“ befragt hatten. Laut Burke hätten diese Magier oder Könige Jesus zu seinem zweiten Geburtstag besucht.
Die Hebamme und die Geburt aus dem Ohr
In ost-orthodoxen Darstellungen wird eine Hebamme gezeigt, wie sie Maria beim Baden des Kindes hilft. In dem Protevangelium wird berichtet, wie Josef den Stall oder die Höhle verlassen habe, um in Bethlehem eine Hebamme zu suchen, als bei Maria die Wehen einsetzen.
Als sie sich wieder der Höhle näherten, habe sie eine helle Wolke eingehüllt. Ein großes Licht habe sich entfaltet und das Jesuskind enthüllt. Mit dieser Legende wurde dargestellt, dass Jesus auf „unnatürliche Weise“ zur Welt kam, also ohne die Hilfe einer Hebamme. Das gilt auch als „Beweis“, dass Maria eine „Jungfrau“ geblieben ist, selbst nach der Geburt ihres Kindes.
Ein ähnliches Motiv gibt es in einer mittelalterlichen jüdischen Parodie auf das Neue Testament. Da behaupten Rabbiner: „Wo der Samen hineingeht, kommt das Kind heraus.“ Gemäß dieser Logik sei Maria geschwängert worden durch Worte des Heiligen Geistes in ihr Ohr. Also müsse Jesus durch das Ohr geboren worden sein. So sei Maria nach der Geburt eine Jungfrau geblieben.
Ochs und Esel statt Ziege und Schaf
Befremdlich wirken die obligatorischen Ochs und Esel in der Krippe, die auf den Knien das Jesuskind anbeten. Typischer für Bethlehem wären Ziegen und Schafe gewesen. Aber Ochs und Esel erfüllen die Prophezeiung aus dem biblischen Buch Jesaja 1,3.
Seit dem 4. Jahrhundert lieferten die Kirchenväter eine weitere Interpretation, weshalb die beiden als „dumm“ geltenden Tiere Eingang in die Ikonographie der Weihnachtsgeschichte fanden: Der Ochse steht für das Volk Israel und ist manchmal mit einem Joch dargestellt, welches das jüdische Gesetz symbolisiert, und der Esel steht für die Heiden.
Zwölf Magier aus China, tausende Soldaten und Pilze von einem Stern
Eine wichtige Rolle spielen auch die „Magier“. Meist werden sie wie persische Könige in goldenen Gewändern dargestellt. Das Matthäusevangelium erwähnt nur „Magier aus dem Osten“ und nennt nicht deren Anzahl. Verschiedene apokryphe Werke, darunter die „Offenbarung der Magier“, wissen von zwölf Magiern, die im April nach Bethlehem kamen und nicht im Dezember. Sie seien aus einem Land Namens „Shir“ gekommen. Damit könnte China gemeint sein.
Das armenische „Kinderevangelium“ erwähnt drei Könige, begleitet von zwölf Kommandeuren und jeweils 1.000 Soldaten. Gemäß dem arabischen Evangelium „Das Leben der gesegneten Jungfrau“ hätten die Magier eine Windel des Jesus-Kindes mitgenommen, wegen ihrer Wunderwirkung, und laut der „Offenbarung der Magier“ Pilze mitgebracht, die sie von einem Stern erhalten hatten. Laut der Legende des Aphroditianus seien sie mit einem Gemälde der Maria und des Kindes heimgekehrt. Diese Geschichten hätten keinen Eingang in die Krippendarstellungen gefunden, aber eine Rolle in der mittelalterlichen Kunst und Literatur gespielt.
Von: Ulrich W. Sahm