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Weibliche Architektur für die Sache des Zionismus

Die berufliche Laufbahn von Genia Averbuch kann sich sehen lassen. Die Architektin entwarf mehrere bekannte Bauwerke in Tel Aviv.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Die Einwanderungswellen aus Europa – nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 – brachten talentierte jüdische Architekten in das Britische Mandatsgebiet Palästina, darunter auch zahlreiche begabte Frauen. Vier der einflussreichsten Architektinnen jener Zeit waren Lotte Cohen, Elsa Gidoni-Mandelstamm, Judith Stolzer-Segall und Genia (Eugenie) Averbuch.

Genia Averbuch wurde 1909 in Smila im damaligen Russischen Reich geboren, heute liegt ihr Geburtsort in der Ukraine. Als sie zwei Jahre alt war, wanderten ihre Eltern nach Palästina aus und ließ sich in der jungen Küstenstadt Tel Aviv nieder, gegründet 1909 und in seinen Anfängen ein Vorort der Hafenstadt Jaffa.

Genias Vater, Se‘ev Averbuch, war der erste Apotheker Tel Avivs. Ihre Mutter Zvia war Bildhauerin. Genia Averbuch verbrachte ihre gesamte Kindheit in Tel Aviv, wo sie das Herzlia-Gymnasium besuchte, die erste hebräische Oberschule weltweit.

Studium in Rom und Brüssel

Nach Schulabschluss zog es sie 1926 als 17-Jährige nach Italien, um in Rom Architektur an der „Scuola Superiore di Architettura“, der Höheren Schule für Architektur, zu studieren. Hier traf Genia auf weitere junge Architektur-Studenten aus Palästina. Nach zwei Jahren in der italienischen Hauptstadt setzte sie ihr Studium in Belgien fort, wo sie 1930 erfolgreich mit dem Architekturdiplom von der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Brüssel abschloss.

Unmittelbar danach kehrte Genia nach Palästina zurück und startete ihre beachtliche berufliche Laufbahn. In Tel Aviv eröffnete sie zunächst mit dem renommierten Architekten Schlomo Ginsburg (1906–1976), genannt Scha’ag, ein Architekturbüro. Gemeinsam entwarfen sie eine Reihe von Gebäuden und Wohnhäusern.

Auch privat wurden sie ein Paar. Ihr Ehemann Schlomo war Absolvent des ersten Jahrgangs in der Architekturfakultät am Technion. Diese älteste Universität des Landes wurde 1912 von Juden in Haifa gegründet. Ginsburg wurde vor allem als Planer des 1949 errichteten Stadtteils Neve David in Tel Aviv und der Schikun HaKzinim, der Offizierswohnheime, bekannt.

Tel Aviv war das urbane Zentrum und Herz der jüdischen Gemeinde in Palästina. Die große Einwanderungswelle deutscher Juden aus der Mittelschicht Anfang der 1930er Jahre führte zu einem Bauboom in der Stadt am Mittelmeer. Mit Elsa Gidoni, 1899 im lettischen Riga geborene Mandelstamm, entwarf Averbuch im Jahr 1934 das legendäre Café Galina für die „Levant Fair“, eine internationale Handelsmesse, die in den 1920er und 1930er Jahren in Tel Aviv stattfand. Logo der Messe war ein fliegendes Kamel, entworfen von Arieh el-Hanani als Symbol der Verbindung zwischen Orient und Okzident.

Foto: Public Domain
Ein Plakat der „Levant Fair“ neben einem Bild von Genia Averbuch

Die „Levant Fair“ beförderte die Akzeptanz moderner Architektur in Palästina und leitete Tel Avivs Umgestaltung in die „weiße Stadt“ ein. Beruflich lief es für Genia und Schlomo sehr erfolgreich, nicht so privat: Das Architekten-Duo ließ sich scheiden, und Genia heiratete 1935 Chaim Alperin, den ersten Kommandeur der Tel Aviver Polizei und einen der Gründer des „Israelischen Roten Kreuzes“ (Magen David Adom). Ihr einziger Sohn Daniel wurde 1936 geboren.

Auch beruflich stand eine Veränderung an. Unter der Leitung des Architekten und Stadtplaners Richard Kauffmann (1887–1958) arbeitete Averbuch zwei Jahre lang in der technischen Abteilung der Jewish Agency. Kauffmann, bekannt für seinen Bauhaus-Stil, baute viele Wohnhäuser in Tel Aviv und Jerusalem. Von ihm stammen die Pläne einiger genossenschaftlicher landwirtschaftlicher Siedlungen, der Moschavim.

In Nahalal schuf er ein architektonisches Modell für den Moschav Ovedim. Kauffmann entwarf zudem viele städtische Siedlungen, darunter Afula, Kirat Chaim bei Haifa und Beit HaKerem südwestlich von Jerusalem sowie die Jerusalemer Stadtteile Rehavia und Talpiot.

Kauffmann, 1920 von Deutschland nach Palästina eingewandert, war sichtlich von Mies van der Rohe – einem Vertreter des Internationalen Stils – beeinflusst und einer der ersten modernen Architekten Palästinas. Unter Kauffmanns Ägide verfolgte Genia Averbuch zielstrebig ihren eigenen Weg als Architektin.

Ihr Name ist eng mit dem Entwurf des berühmtesten Platzes in Tel Aviv verbunden, des Kikar Dizengoff, und der vermutlich weltweit einzigen „Bauhaus-Piazza“: ein runder Platz, umgeben von nahezu identischen Gebäuden mit geschwungenen horizontalen Schlitzbalkonen. In Anlehnung an das Design des Café Galina, konzipierte Averbuch auch den Dizengoff-Platz als Harmonie konzentrischer Kreise, die vom zentralen Brunnen des Kreisverkehrs ausgehen. Die schlichte und elegante Architektursprache macht den Platz zu einer Ikone der lokalen modernen Architektur.

Mehrere Stile miteinander verbunden

Averbuchs Architekturstil verbindet charakteristische Bauhauselemente mit dem „Internationalen Stil“, der als Höhepunkt der modernistischen Architektur gilt und auch als „Architektur der modernen Bewegung“ beschrieben wird. Er dominierte die Architektur bis in die 1970er Jahre. Die Betonung liegt in der Überwindung historischer und kultureller Einflüsse.

Den Stil kennzeichnen funktionales Design, Minimalismus, modulare und geradlinige Formen, flache Oberflächen ohne Ornamente und Dekorationen. Offene und luftige Innenräume verschmelzen mit dem Äußeren, bevorzugte Materialen sind Glas, Stahl und Beton.

Ein weiteres Kennzeichen ist die Massenproduktionstauglichkeit. Der Begriff „Internationaler Stil“ wurde erstmals 1932 vom Historiker Henry-Russell Hitchcock und dem Architekten Philip Johnson verwendet, um eine Bewegung unter europäischen Architekten in den 1920er Jahren zu beschreiben.

Die 25-jährige Architektin, die sich in ihrem Triumph auf dem Levante-Festival sonnte, war bei der Ausschreibung für die Gestaltung des Dizengoff-Platzes gegen eine starke Konkurrenz von erfahrenen männlichen Designern und Architekten angetreten. Selbstbewusst hatte sie als einzige Frau ihren Entwurf für den Zina-Dizengoff-Platz eingereicht, benannt nach der Ehefrau des Stadtplaners Meir Dizengoff, der von 1922 bis 1936 als erster Bürgermeister der Weißen Stadt fungierte.

Foto: Public Domain
Der Dizengoff-Platz in seiner ursprünglichen Form

Der Dizengoff-Platz liegt im Herzen der Stadt und wurde eines der Wahrzeichen Tel Avivs. Genia Averbuchs Entwurf wurde aufgrund der Sternform des Platzes – ein Kreisverkehr an der Kreuzung von sechs Straßen – von Einheimischen auch „der Étoile von Tel Aviv“ genannt.

Immer mehr Menschen zog es in die aufstrebende und quirlige Stadt mit der Konsequenz, dass Tel Aviv und seine Bewohner unter dem zunehmenden Verkehrsaufkommen litten. Nach einem heftig geführten Diskurs wurde der Kikar Dizengoff 1978 erhöht und in einem neuen Design wiederaufgebaut, kaum noch etwas erinnerte an den ursprünglichen Entwurf von Genia Averbuch.

Der Platz wurde mit einer erhöhten Fußgänger-Plaza oberhalb der Dizengoff-Straße, der Pinsker-Straße und der Reines-Straße überdacht. Auch der Fußgängerbereich wurde erhöht und durch Rampen mit den angrenzenden Gehwegen und mit den Fußgängerbereichen der Ben-Ami-und Zamenhoff-Straße verbunden, während der Verkehr in der unteren Ebene unentwegt floss.

Bei der Neugestaltung wurde ein Brunnen mit einer Glasstatue von Allen David errichtet, der wiederum 1986 durch den Brunnen von Jaakov Agam, einem Vertreter der Kinetic-Art-Bewegung, ersetzt wurde. Er ist bis heute ebenfalls ein Wahrzeichen Tel Avivs. 2016 beschloss die Stadtverwaltung, den Platz wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, ihn wieder auf Straßenniveau zu verlegen. Nach einem erneuten heftig geführten Diskurs begannen die Abrissarbeiten des erhöhten Platzes am 8. Januar 2017 und der Platz wurde in seinen Originalzustand versetzt.

Zusammenarbeit mit Frauenorganisationen

1939 hatte Genia Averbuch einen Wettbewerb für den Entwurf von Beit ha-Chaluzot, Haus der Pionierinnen, in Jerusalem gewonnen. Es markierte den Beginn ihrer langjährigen beruflichen Zusammenarbeit mit Frauenorganisationen in Palästina. Zwischen 1939 und 1955 entwarf sie soziale Einrichtungen für Frauen und Kinder für alle Frauenorganisationen, mit Ausnahme der US-amerikanischen Hadassah, die nicht mit Architektinnen zusammenarbeitete.

Andere Organisationen, wie WIZO und B’nai B’rith Women, hingegen waren Averbuch sehr zugetan. Zu ihren Arbeiten gehören Wohnheime für alleinstehende Frauen in Jerusalem und in Netanja sowie die landwirtschaftlichen Jugenddörfer Kfar Batja und Hadassim, geschaffen für bedürftige Kinder und jugendliche Holocaust-Überlebende. In der Küstenmetropole Tel Aviv wurde die Max-Fein-Berufsschule nach ihrem Design gebaut und 1949 eingeweiht.

In den 1950er Jahren entwarf Averbuch weitere Wohnhäuser in Tel Aviv, insbesondere im boomenden Norden der Stadt. In den 1960er Jahren entwarf sie als zweite Frau zwei Synagogen für die religiöse zionistische Bewegung: die Synagoge an der ersten Jeschiva-Oberschule in Israel, „Midraschat Noam“ in Pardes Hanna, und die Synagoge im religiösen Kibbuz Ein HaNaziv, südlich von Beit Schean.

Genia Averbuch starb 1977 in Tel Aviv. Die engagierte Architektin wurde erst spät gebührend gewürdigt. 2013 war es soweit: In Anerkennung ihres Beitrags zur zionistischen Sache und Stadtlandschaft Tel Avivs beschloss die Stadtverwaltung, einen Kreis nach ihr zu benennen.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Heute auf dem Dizengoff-Platz: Gedenken an die von der Hamas entführten Geiseln

Der Kikar Dizengoff spielte stets eine zentrale Rolle in der „Weißen Stadt“. Neben seiner architektonischen Bedeutung war und ist er das Zentrum des pulsierenden gesellschaftlichen Lebens. Seit Oktober 2023 wird auf dem Platz um Ja‘akov Agams kinetischen Brunnen herum der Hamas-Geiseln gedacht und appelliert: „Bringt sie nach Hause!“

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7 Antworten

  1. Die eher strengen Freunde von „Israelnetz“ auf Emanzen-Trip.

    Ich schmeiss mich weg.

    Find ich aber gut, dass auch solche Themen hier einfliessen.

    Und: Nicht gerade die Regel, dass man/frau/es sich einen Artikel ausdruckt, um ihn Abends in Ruhe zu studieren. Danke.

    PS: Bin schon auf Albertos Würdigung gespannt.

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    1. Ich bin Abonnement der Zeitschrift Pro Medienmagazin. Israelnetz ist eine Beilage dieser Zeitschrift und der Artikel wird vermutlich dort auch abgedruckt.

      0
  2. Danke für den Bericht. Genia Averbuch hat als Architektin viel Gutes getan für die Entwicklung der modernen Israelischen Gesellschaft.

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  3. Mit dem Begriff „weibliche Architektur“ kann ich genauso wenig anfangen wie mit „feministischer Außenpolitik“.

    1
    1. Die meisten (Star)architekten sind Männer. Frauen haben sich mittlerweile in diesem Beruf durch gesetzt. Nur mussten sie härter für Akzeptanz arbeiten.

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  4. Möge es noch mehr dieser interessanten und modernen jüdischen Menschen geben, die Israel zu einem phantastischen Kaleidoskop schufen. Golda Meir war ja auch toll!

    Das Lob der tüchtigen Frau (Sprüche 31,10-31)
    10 Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Sie übertrifft alle Perlen an Wert.
    11 Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie und es fehlt ihm nicht an Gewinn.

    16 Sie überlegt es und kauft einen Acker, vom Ertrag ihrer Hände pflanzt sie einen
    Weinberg.
    17 Sie gürtet ihre Hüften mit Kraft und macht ihre Arme stark.
    18 Sie spürt den Erfolg ihrer Arbeit, auch des Nachts erlischt ihre Lampe nicht.

    25 Kraft und Würde sind ihr Gewand, sie spottet der drohenden Zukunft.
    26 Öffnet sie ihren Mund, dann redet sie klug und gütige Lehre ist auf ihrer Zunge.

    29 Viele Frauen erwiesen sich tüchtig, doch du übertriffst sie alle.
    30 Trügerisch ist Anmut, vergänglich die Schönheit, nur eine gottesfürchtige Frau verdient
    Lob.
    31 Preist sie für den Ertrag ihrer Hände, ihre Werke soll man am Stadttor loben

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  5. Bitte mehr solche Artikel. Es macht keinen Spaß mehr fast nur noch Artikel über den Krieg.
    Vor ein paar Jahren war ein Artikel über die weiße Stadt in meiner regionalen deutschen Zeitung. Es kamen Architekten aus Deutschland da es in Tel Aviv dieses Gebiet gibt . In Deutschland gibt es das weniger. In Stuttgart wohl noch eine Siedlung. Nach 1933 war dieser Baustil nicht mehr gewünscht. Ich glaube damals waren es 100 Jahre weiße Stadt und die Architekten gingen nach Tel Aviv und unterstützten bei der Restaurierung. Es gab auch eine deutsch/israelische Briefmarke dazu.

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