Suche
Close this search box.

Was ein palästinensischer Bürgermeister gegen Anschläge unternimmt

Ein palästinensisches Dorf bei Hebron verzeichnet eine besonders hohe Quote von „Märtyrern“, die bei Anschlägen starben. Doch der Bürgermeister hat es geschafft, dem Einhalt zu gebieten. Denn er will lebendige junge Leute in seiner Ortschaft haben.
Im Gegensatz zu anderen palästinensischen Ortschaften sind in Sa'ir fast keine Plakate mit „Märtyrern“ zu sehen
Die palästinensische Ortschaft Sa‘ir, nordöstlich von Hebron, hat etwa 18.000 Einwohner. Seit Ausbruch der anti-israelischen Gewaltwelle vor fünf Monaten kamen zwölf von ihnen als Attentäter oder bei Zusammenstößen mit der Armee ums Leben. Das ist der höchste Anteil in allen palästinensischen Kommunen des Westjordanlandes. Doch der Bürgermeister wünscht sich, dass die jungen Menschen in seinem Dorf am Leben bleiben. Deshalb hat er Schulen und Moscheen mobilisiert, wie er im Interview der Onlinezeitung „Times of Israel“ mitteilte. Auf dem Weg zum Rathaus begegnet Redakteur Avi Issacharoff jungen Palästinensern. Einer von ihnen ist der 2o-jährige Muatas Schalada, der in Israel arbeitet. Er kannte zwei der zwölf „Märtyrer“ (Schahidin). „Wir sind stolz auf sie. Sie haben ihr Heimatland verteidigt“, kommentiert er die gewaltsamen Zwischenfälle. Der 32 Jahre alte Chaled begründet den hohen Anteil der Angreifer aus Sa‘ir mit der Arbeitslosigkeit. Viele erhielten keine Arbeitsgenehmigung für Israel, obwohl bislang kein Angehöriger inhaftiert war. Über die israelischen Soldaten sagt er: „Heute schießen sie ohne Anlass auf Leute. Jeder, der ein Messer hat, wird getötet. Jeder, der neben Soldaten etwas schnell fährt, wird erschossen.“ Der Palästinenser ergänzt: „Für uns ist jeder, der auf Juden schießt oder einsticht, ein Held. Warum? Weil sie Widerstand gegen die Besatzung geleistet haben. Wir wollen keine Gewalt; letztlich wollen wir Frieden.”

Durch Medien beeinflusst

Chaled äußert sich auch zur Rolle der Medien: „Es stimmt, dass Facebook und die verschiedenen Fernsehstationen eine Rolle spielen. Aber es gäbe immer noch Probleme, wenn Facebook nicht existierte. Man sieht die Dinge im Kanal ‚Al-Aksa‘, oder bei ‚Al-Kuds‘ (von der Hamas), und es ist zum Verzweifeln.“ Eine Zweistaatenlösung lehnen die jungen Araber, die der „Times of Israel“-Journalist trifft, ab. Einer spricht aus, was die meisten denken: „Wir wollen einen Staat. Das wäre besser. Ich habe keine Probleme damit, mit Juden zusammenzuleben.“ Der erste Messerstecher aus Sa‘ir war der 22-jährige Raed Dscharadat, er wurde am 26. Oktober von israelischen Truppen getötet. Sein Cousin Ijad Dscharadat wollte angeblich israelische Soldaten angreifen, er starb am gleichen Tag. Im November zogen zwei weitere Attentäter aus der Ortschaft los. Um die Jahreswende kamen acht junge Leute bei Zwischenfällen und Anschlägen zu Tode. Seit dem 7. Januar gab es keinen tödlichen Vorfall mehr.

Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit

Bürgermeister Ka‘id Dscharadat gehört zur Fatah und ist seit 2012 im Amt. Vorher war er Oberst bei den Sicherheitsbehörden der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und Diplomat in afrikanischen Ländern. Er kennt keinen konkreten Anlass für die Entscheidung der jungen Leute aus seinem Dorf, den Weg der Gewalt einzuschlagen. Zweifellos hätten die Geschichte von der Al-Aksa-Moschee, die in Gefahr sei, sowie Videos im Internet viele beeinflusst. Auch der Ortsvorsteher ist überzeugt, dass die israelischen Truppen auf alle Verdächtigen feuerten. Soldaten verhielten sich grob an den Straßensperren, das fache die Angriffe an. Ausgangssperren hätten ebenfalls negative Folgen. „Verzweiflung. Mangel an Hoffnung. Sie sehen das im gesamten Nahen Osten“, erklärt er in dem Interview. „Und wenn Israel nur Gewalt anwendet, schadet das dem Zusammenleben und macht die Verzweiflung nur stärker“, fügt Dscharadat hinzu. „Der militärische Druck auf die Bevölkerung hier hat die Lage sogar noch angespannter gemacht. Soziale Medien hatten ebenfalls eine schädliche Wirkung. Dasselbe gilt für das Konzept der Blutfehde.“ Die meisten Angreifer seien Mitglieder der gleichen Familie gewesen, also könne diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden.

Mit Schulen und Moscheen gegen Gewalt

Seine Maßnahme, um zukünftige Anschläge zu verhindern, beschreibt der Bürgermeister so: „Ich ziehe meinen Sohn auf, damit er, sagen wir, Ingenieur wird, oder Lehrer. Er sollte in Frieden mit seiner Familie leben, nicht hinausgehen und auf jemanden schießen oder sich an einem Terroranschlag beteiligen. Das war unsere Botschaft an jeden hier im Dorf nach all diesen Schahidin. Wir haben auch eine Botschaft an die israelische Seite gerichtet: dass es alles Mögliche tun muss, um davon abzusehen, junge Leute zu töten, selbst wenn sie ein Messer tragen.“ Dscharadat organisierte ein Treffen mit dem Gouverneur von Hebron, Würdenträgern, Geistlichen, Lehrern, Schulleitern und Vertretern der Sicherheitsbehörden. „Unser Ziel war es, dass sich Leute freiwillig um Ruhe bemühen. Und als die Armee einige der Straßensperren rund um das Dorf entfernte, half das ebenfalls, die Dinge zu beruhigen.“ Lehrer und Schulleiter hätten sich nicht gegen Schahidin ausgesprochen. Das sei auch nicht beabsichtigt, betont der Fatah-Politiker. „Aber sie übermittelten die Botschaft, dass ein Schüler, der gut in seinen Studien vorankommt, der eine vollständige Ausbildung bekommt, derjenige ist, der wahre Standhaftigkeit zeigt. Er ist derjenige, der das Recht der Palästinenser auf dieses Land schützt. In anderen Worten, diejenigen, die bleiben, sind die Erfolgreichen. Nicht diejenigen, die sterben. Diejenigen, die sterben, sind weg, erledigt.“ Auch in den Moscheen sei dies klar verkündet worden. „Wir haben sogar den Familien der Schahidin gesagt, dass wir keine Hetze wollen.“

Verehrung der „Märtyrer“ aus Tradition

Zur Heldenverehrung der Schahidin merkt der Ortsvorsteher an: „Schauen Sie, wir sind eine traditionelle Gesellschaft. Märtyrertum ist ein sehr hoher Wert. Und ja, die Bewunderung unseres Volkes für die Schahidin ist sehr hoch, so hoch, wie sie nur sein kann. Diese jungen Leute, die getötet wurden, sahen es so: ‚Wenn ich nicht den Himmel auf Erden bekomme, während ich lebe, werde ich ihn bekommen, wenn ich begraben bin.‘“ Im Dorf ist dem israelischen Journalisten aufgefallen, dass keine Plakate von „Märtyrern“ an den Wänden hängen. Doch beim Verlassen des Rathauses sieht er eines mit Fatah-Logo. Es verherrlicht drei Attentäter vom 7. Januar, die aus Sa‘ir stammen und bei einem von Angriff in Gusch Etzion getötet wurden. (eh)

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen