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Vor 30 Jahren: Warum sich die DDR-Volkskammer bei Israel entschuldigte

Bis zu ihrem Sturz führte die SED-Diktatur einen „unerklärten Krieg“ gegen Israel. Tausendfach schickte das sozialistische Deutschland Waffen an die erbittertsten Gegner des jüdischen Staates. Ein Buch zeichnet dieses kaum bekannte Kapitel deutscher Geschichte nach. Eine Rezension von Sandro Serafin
Sinnbilder ihrer Ideologien: PLO-Chef Jasser Arafat und SED-Chef Erich Honecker im Jahr 1982. Der ostdeutsche Sozialist bezeichnete den Palästinenser als „Freund und Kampfgefährten“.

Als die Präsidentin der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR am 12. April 1990 das Ergebnis der Abstimmung feststellte, erhob sich die große Mehrheit der frisch gewählten Parlamentarier spontan zum Applaus: 379 von insgesamt 400 Abgeordneten hatten soeben „das Volk in Israel um Verzeihung für die Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik“ gebeten. Die Entschuldigung war Teil einer breit angelegten Resolution, die sich an verschiedene Völker richtete.

Am 22. Juli folgte ein weiterer Beschluss, in dem sich die Volkskammer „in aller Form von der hierzulande jahrzehntelang praktizierten anti-israelischen und antizionistischen Politik“ distanzierte. Die inzwischen zur PDS umbenannte SED enthielt sich mehrheitlich. Bereits bei der ersten Abstimmung hatte es keiner ihrer Vertreter gewagt, die Entschuldigung gegenüber Israel offen abzulehnen, die Fraktion hatte den Antrag sogar gemeinsam mit den anderen im Parlament vertretenen Parteien eingebracht.

Dabei waren es ihre Parteigenossen gewesen, die über 40 Jahre hinweg und bis zuletzt einen rhetorischen und praktischen Feldzug gegen den jüdischen Staat geführt hatten. Der US-amerikanische Historiker Jeffrey Herf von der Universität Maryland kommt in seiner 2016 erschienenen und 2019 ins Deutsche übersetzten Studie sogar zu dem Schluss, dass die Politik der DDR gegenüber Israel einem „unerklärten Krieg“ gleichgekommen sei. Womöglich, so schreibt der Professor, sei der SED-Staat „die zweite antisemitische Diktatur im Deutschland des 20. Jahrhunderts“ gewesen.

„In Hitlers Fußstapfen“

Während die westdeutsche radikale Linke erst mit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 ihren Hass auf Israel entdeckte, begann das sozialistische Ostdeutschland schon bald nach seiner Gründung 1949 damit, den jüdischen Staat immer und immer wieder an den Pranger zu stellen. Scharfsinnig arbeitet Herf in seinem Buch die ideologischen Verrenkungen heraus, die als Grundlage dieser Politik dienten. Für linksextreme Politiker und Terroristen in beiden Teilen Deutschlands „stand Israel auf der falschen Seite des globalen Grabens, der die Welt in Imperialisten und Anti- Imperialisten teilte“, schreibt er. Sie bedienten sich ausgerechnet der Sprache des Antifaschismus, um den jüdischen Staat zu attackieren. Dem gesamten Ostblock gelang es, die Bedeutungshoheit über zentrale Begriffe wie „Agression“ oder „Terrorismus“ zu erlangen und diese gegen Israel zu wenden.

Zum Standardrepertoire sozialistischer Rhetorik gehörten dabei Vergleiche Israels mit Nazi-Deutschland. Kurz nachdem die israelischen Streitkräfte im Verteidigungskrieg des Juni 1967 den arabischen Armeen eine verheerende Niederlage zugefügt hatten, schwadronierte Walter Ulbricht, der damalige starke Mann der DDR, von einem „Protektorat Sinai“ und einem „Generalgouvernement Jordanien“, die Israel errichten wolle – eine eindeutige Anspielung an die nationalsozialistische Politik in Polen und Tschechien. Im Zuge des Libanon-Kriegs 1982 veröffentlichte das DDR-Zentralorgan „Neues Deutschland“ einen Kommentar über Israels Vorgehen während der Gefechte. Der Titel lautete: „In Hitlers Fußstapfen“.

Verglich Israel mit NS-Deutschland: der langjährige starke Mann der DDR, Walter Ulbricht, hier im Jahr 1961 Foto: Peter Heinz Junge / Bundesarchiv Bild 183-85770-0002
Verglich Israel mit NS-Deutschland: der langjährige starke Mann der DDR, Walter Ulbricht, hier im Jahr 1961

Worte und Taten

Doch es blieb nicht bei bloßen Worten. Herf legt großen Wert darauf, eine Doppelstrategie in der DDR-Politik aufzuzeigen und spricht in diesem Zusammenhang von einer „Interaktion zwischen Gewalt und Diplomatie“. Der diplomatische Krieg fand insbesondere in den Gremien der Vereinten Nationen statt. Hier jagte ein anti-israelischer Beschluss den nächsten. Höhepunkt war eine von der DDR mitgetragene Resolution der UN-Generalversammlung, die im Jahr 1975 feststellte, „dass Zionismus eine From des Rassismus und der Rassendiskriminierung ist“. Im selben Jahr half die SED-Diktatur mit, den „Ausschuss für die Ausübung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes“ einzusetzen – ein Gremium, das bis heute sein Unwesen treibt.

Während DDR-Politiker in der Öffentlichkeit eine Rhetorik der Mäßigung bemühten, lieferte der SED-Staat im Verborgenen Hunderttausende Waffen an arabische Staaten und terroristische Palästinenserorganisationen wie die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO). Diese hatten sich allesamt auf die Fahnen geschrieben, Israel zu vernichten. Hinzu kamen Reperaturdienste sowie die Ausbildung arabischer Kämpfer und Versorgung mit medizinischen Gütern.

Ausgerechnet als die PLO ihre Terrorkampagne gegen Israel in den 70er Jahren intensivierte, nahm auch die Unterstützung aus dem Ostblock zu. Für den Jom-Kippur-Krieg, der Israel 1973 an den Rande eines Zusammenbruchs brachte, genehmigte Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker persönlich die Entsendung eines Luftwaffen-Geschwaders nach Syrien. Die ostdeutschen Piloten stiegen in Aleppo aus und ließen die Angriffe von Sowjet-Soldaten fliegen.

Schon fast pedantisch listet Herf die von der DDR gelieferten Waffensysteme auf, zum Teil über mehrere Seiten, was sein Buch stellenweise zur nicht ganz leichten Kost macht. Doch er verdeutlicht damit, wie wichtig der Beitrag des Ostblocks für die zahlreichen Terrorkampagnen gegen Israel war. Konsequenterweise kommt Herf dann auch zu dem Schluss, dass der Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa „für den säkularen, arabischen Extremismus eine Katastrophe“ gewesen sei.

Ideologische und realpolitische Triebkräfte

Als der linksliberale Intellektuelle im Januar an der Universität Frankfurt sein Buch vorstellt, ist ihm seine Empörung deutlich anzumerken. „Wie war es nach dem Holocaust möglich, dass irgendein Deutscher irgendjemand anderem helfen würde, Juden zu terrorisieren?“, formuliert er seine Leitfrage. Und wie konnten die Täter dann auch noch Menschen sein, die sich selbst als links bezeichneten und die Verbrechen des faschistischen Deutschland teilweise am eigenen Leib erlebt hatten?

In seiner Studie kommt Herf zu dem Ergebnis, dass der Antizionismus der DDR „ebenso eine Angelegenheit der ideologischen Überzeugung wie des nationalen Interesses“ gewesen sei. Während sich der real existierende Sozialismus inhaltlich wunderbar mit der marxistischen und sozialistischen Ausrichtung der wichtigen palästinensischen Terror-Organisationen und dem eigenen Antizionismus vereinbaren ließ, diente die feindliche Haltung gegenüber Israel gleichzeitig der außenpolitischen Befreiung DDR-Deutschlands.

Denn die Bundesrepublik hatte mithilfe der sogenannten Hallstein-Doktrin den Versuch unternommen, die DDR international zu isolieren. Deren feindliche Haltung gegenüber dem jüdischen Staat brachte ihr jedoch rasch Anerkennung in der arabischen Welt ein und half dadurch mit, die Hallstein-Politik zu unterwandern. 1969 nahm der Irak Beziehungen zur DDR auf – ein „diplomatischer Durchbruch“, wie Herf festhält. Noch im selben Jahr folgten Beziehungen zum Sudan, Syrien, Ägypten und dem Südjemen. Gleichzeitig hatte die Bundesrepublik mit Widerspruch aus den arabischen Staaten zu kämpfen, weil sie radikale Palästinenserorganisationen verbat.

Bereits das zeigt, dass die anti-israelische Politik der DDR nicht nur dem Gehorsam gegenüber dem großen Bruder Sowjetunion geschuldet war. Vielmehr legten ausgerechnet die deutschen Sozialisten einen ganz eigenen antizionistischen Eifer an den Tag. So war die DDR 1973 der erste Staat in Europa, der eine offizielle Vertretung der PLO auf seinem Territorium zuließ. Ein ums andere Mal kam Jasser Arafat persönlich ins sozialistische Deutschland gereist. Noch 1989 nahm er an den Feierlichkeiten zum 40-jährigen DDR-Jubiläum teil. Gleichzeitig war die SED-Diktatur der einzige Vertreter des Ostblocks, der zu keinem Zeitpunkt diplomatische Beziehungen zu Israel pflegte.

Kurz vor dem Zusammenbruch des SED-Regimes nahm Arafat (rechter Bildrand) 1989 noch an den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen der DDR teil. Für die PLO war der Untergang des Ostblocks eine Katastrophe. Foto: Rainer Mittelstädt / Bundesarchiv Bild 183-1989-1007-068
Kurz vor dem Zusammenbruch des SED-Regimes nahm Arafat (rechter Bildrand) 1989 noch an den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen der DDR teil. Für die PLO war der Untergang des Ostblocks eine Katastrophe.

Nachwirkungen bis heute

30 Jahre nach der Friedlichen Revolution beklagen Historiker wie der langjährige Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, dass der Israelhass der ostdeutschen Diktatur weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Knabe will nicht ausschließen, dass eine Wurzel des heutigen Antisemitismus in Ostdeutschland in der jahrzehntelangen Propaganda der DDR gründen könnte.

Es ist jedenfalls kaum zu übersehen, dass ideologische Kontinuitäten des sozialistischen Antizionismus bis in die Gegenwart hineinreichen. So hat die Partei „Die Linke“, die Rechtsnachfolgerin der SED ist, bis heute ein ungeklärtes Verhältnis zum jüdischen Staat. Doch auch in der Mitte der Gesellschaft sind die antizionistischen Muster weit verbreitet.

Und so fühlt sich, wer Herfs Studie liest, an vielen Stellen in geradezu frappierender Deutlichkeit an aktuelle Probleme erinnert: die unrühmliche Rolle der UN zum Beispiel, aber auch das Messen mit doppelten Standards, die falsche Berufung auf das Völkerrecht oder eine verzerrte mediale Berichterstattung, die Israel häufig als Aggressor erscheinen lässt, wenn es lediglich auf Terroranschläge oder Raketenangriffe reagiert. Ohne diese Parallelen explizit herauszustreichen, formuliert auch Herf ganz am Ende seines Buches: „Das Ost-Berliner Regime und die radikalen Linken im Westen haben ein toxisches ideologisches Gebräu hinterlassen.“

Jeffrey Herf: „Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke 1967–1989“ Wallstein 518 Seiten, 39 Euro ISBN: 978-3-8353-3484-7 Foto: Wallstein Verlag
Jeffrey Herf: „Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke 1967–1989“ Wallstein 518 Seiten, 39 Euro ISBN: 978-3-8353-3484-7

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