An der Schwelle zum 20. Jahrhundert war Europa im industriellen Zeitalter angekommen. Maschinen, Fabriken, Eisenbahnen und erste Automobile prägten das Bild schnell wachsender Städte. Nationalstaaten formierten sich mit Amtssprachen, Flaggen und Hymnen. Völkisches Denken war modern. Neben Russland, Frankreich und Österreich war in der Mitte Europas ein Deutsches Reich entstanden. Aufklärung und Fortschritt hatten auch das Los der Juden in Europa erleichtert. Und dennoch: Ausgrenzung und Ablehnung, Verfolgung und Vertreibung hatten noch kein Ende. Nach dem Attentat auf Zar Alexander II. begann in Russland eine neue Welle von Pogromen. Im Zuge der Dreyfus-Affäre in Frankreich wurde klar: Der Judenhass hört nicht auf. Das sah sehr deutlich der Journalist Theodor Herzl, ein in Budapest geborener Jude, der als Prozessbeobachter das Geschehen verfolgte. Es würde auch in Zukunft keine Lösung der „Judenfrage“ geben.
„Der Judenstaat“
Viele Juden lebten in der Hoffnung auf die Heimkehr ins Land der Verheißung. In Erwartung einer neuen Zeit hieß es zum Passah-Fest: „Schalom – nächstes Jahr in Jerusalem“. Biblische Prophetenworte enthielten die Zusage: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.“ (Jesaja 54,7f).
Die Rückkehr der Juden begann jedoch nicht mit der Bibel in der Hand, sondern mit einem politischen Projekt und Herzls Schrift „Der Judenstaat“. Er forderte für sein Volk das, was viele andere Völker auch haben: einen Staat. Der Gedanke war, dass Juden aus aller Welt in einem eigenen Land ihren Staat wieder aufbauen, dass sie weggehen können aus den Völkern, wo sie immer Fremde waren.
Zionistenkongress in Basel
Vom 29. bis 31. August 1897 fand in Basel der „Erste Zionistische Weltkongress“ statt. Die „Zionistische Weltorganisation“ wurde ins Leben gerufen und Herzl zum ersten Präsidenten berufen. Damit wurde die Idee des modernen, des politischen Zionismus geboren. Freilich, die grundsätzliche Frage war: Wo und wie sollte ein Staat für die Juden aufgebaut werden, wo diese doch überhaupt kein Land hatten? Interessant ist, dass Herzl und andere durchaus überlegten, in Argentinien oder in Uganda Land zu erwerben, damit ein Staat entstehen kann. Der Kongress verabschiedete ein „Baseler Programm“. Im Kern stand die Forderung: „Der Zionismus erstrebt die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina für diejenigen Juden, die sich nicht anderswo assimilieren können oder wollen.“ Der Blick fiel auf das seinerzeit osmanisch besetzte Land am Jordan, das Land der Bibel.
Nach Abschluss des Kongresses schrieb Herzl am 3. September 1897 in sein Tagebuch: „Fasse ich den Baseler Congress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es Jeder einsehen.“ Herzl wollte das Projekt von Anfang an mit der europäischen Politik abstimmen. Deshalb traf er 1898 auch den deutschen Kaiser Wilhelm II. während dessen Orientreise. Herzl starb 44-jährig bereits 1904. Vom Judenstaat konnte er noch nichts sehen. Vor 100 Jahren wurde mit der so genannten „Balfour-Deklaration“ von 1917 dazu der nächste Stein gelegt.
Von: Egmond Prill