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Meinung

Vom Wert der Kameradschaft

Seit zwölf Monaten befindet sich Israel im Krieg. Ein Israeli erinnert sich an ein altes Lied, in dem es um Freundschaft geht. Und fasst seine Gedanken in Worte.
Von Israelnetz

Im vergangenen Jahr habe ich mit vielen Reservisten gesprochen. Immer wieder sind sie in den letzten Monaten an die verschiedenen Fronten des Krieges zurückgekehrt.

Was ich jetzt schreibe, ist zart und zerbrechlich. Meine Gedanken lassen sich nicht wissenschaftlich belegen, werden aber durch unzählige Gespräche gestützt: Wenn es etwas gibt, das es schafft, diesen Krieg weiterzuführen – selbst nach dieser langer Zeit und einem starken Gefühl der geistigen und körperlichen Erschöpfung –, ist es das Gefühl der Freundschaft sowie das Engagement und die Solidarität der Soldaten untereinander.

Seit Generationen wollten unzählige Israelis dieser schrecklichen Geschichte entgehen. Doch der Reservedienst bringt sie und ihre Familien in eine schreckliche Situation. Oft kehren sie nach wenigen Stunden oder Tagen der Erholung freiwillig in den Krieg zurück, weit in das Gebiet des Feindes, um für uns alle zu kämpfen und unser Leben zu retten.

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Daneben gibt es noch eine andere Motivation: Was sie antreibt, zurückzugehen, statt zu Hause ihr beschauliches Leben weiterzuführen und ihrer Arbeit im zivilen Leben nachzugehen, ist der Gedanke an ihre Kameraden, die an den Orten des Schreckens für die Existenz ihres Landes kämpfen.

Immer wieder haben mir das die jungen Leute erzählt. Zu Beginn des Krieges zogen Hunderttausende fast automatisch in den Kampf. Hunderte haben ihr Leben geopfert, um die Nation und ihr Heimatland in einer der schwierigsten Stunden seiner Geschichte zu retten. Doch seitdem ist viel Wasser in die verschmutzten Gewässer des Gazastreifens geflossen. Die Motivation hat sich geändert, der Geist ist nicht mehr derselbe und es tauchen Zweifel und Fragen auf. Sie schweben über ihnen. Burnout und Empfindlichkeit bedrohen alle.

Kameradschaft in den frühen Tagen des jüdischen Staates

Was uns heute zusammenhält, ist letztlich die Kameradschaft, über die der Dichter Chaim Guri schon im Unabhängigkeitskrieg, in den ersten Tagen des hebräischen Staates, geschrieben hat. In jenen Tagen herrschte der gleiche Geist der Brüderlichkeit vor, der auch heute die Soldaten antreibt und uns hilft, den uns aufgezwungenen Krieg weiterzuführen.

In diesem Sinne, auf schmerzlich ironische Weise, ist das einzig Gute, was dieser schreckliche Krieg mit sich brachte, das Gefühl der Freund- und Kameradschaft, sowie der Solidarität untereinander. Dieser Geist der Freundschaft war über die vielen Monate, die dem furchtbaren und bitteren Tag (des 7. Oktobers) vorangingen, verschwunden. Die Freundschaft wurde ausgelöscht, regelrecht ausgedörrt. Nur einen Schritt waren wir vom Abgrund entfernt und standen vor einem beispiellosen gesellschaftlichen Bruch. Dann kam der Krieg, und zumindest in den ersten Monaten wurde die Kameradschaft wieder Teil unseres Lebens. Das zog sich durchs ganze Volk und alle Schichten hindurch. 

Israelnetz Magazin

Dieser Artikel ist in einer Ausgabe des Israelnetz Magazins erschienen. Sie können die Zeitschrift hier kostenlos und unverbindlich bestellen. Gern können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

Es ist die Freund- und Kameradschaft, die uns gegenseitige Sicherheit und Garantie gibt. Sie ist es, die Tausende von Soldaten im Grund- und Reservedienst motiviert hat und weiterhin motiviert, über viele Monate hinweg ihr Leben zu riskieren. Unter Gefährdung ihres Lebens drehen sie an der Front jeden Stein um, um die verbliebenen Geiseln zu erreichen, die in den Hamas-Tunneln im Gazastreifen sitzen.

Sie wollen sie retten, lebendig oder tot. Damit ihre Familien sie neu beleben können oder ihnen aber wenigstens eine würdevolle Bestattung in einem Grab in Israel gewähren können. Wo sehen wir sonst einen solch wunderbaren Beweis der Opferbereitschaft und Hingabe?

Feind wartet darauf, dass Geist der Freundschaft weicht

Am 1. September 2024, als sich die Gerüchte bestätigten, dass zwei Tage zuvor sechs weitere Geiseln kaltblütig ermordet worden waren, erfüllte mich eine zunehmend große Verzweiflung. Plötzlich schien der Geist der Freundschaft zu weichen. Anders als im vergangenen Jahr stecken wir dieses Mal in einer misslichen Lage, wie wir sie wohl nie zuvor erlebt haben. Dieser schreckliche Feind da draußen, der uns den größtmöglichen Schrecken zufügt, mordet kaltblütig wehrlose und unschuldige Gefangene. Und wartet nur auf den Moment, in dem der Geist der Freundschaft endgültig seinen Atem aushaucht und endet. Was dann passiert, könnt ihr euch denken.

Es geht mir hier nicht um die Bedeutung der nationalen Einheit und des Zusammenhalts, sondern um etwas Grundsätzliches, nämlich um eine Freundschaft, die verbindet. Eine innere Allianz, die sich auf den Flügeln des Schicksals und eines gemeinsamen Ethos verbindet – die gegenseitige Hilfe und das Engagement, das zwischen dem Siedler aus Ofra und dem Schöngeist aus Tel Aviv, zwischen einem Schüler, einem Jeschiva-Studenten und einem Kunststudenten an der Jerusalemer Bezalel-Hochschule besteht.

Das Wort „re’ut“

Das hebräische Wort „re’ut“ lässt sich schwer ins Deutsche übersetzen, weil es so viele verschiedene Konnotationen hat. In seinem bekannten Lied „HaRe’ut“ schreibt der israelische Dichter Chaim Guri (1923–2019) über die Kameradschaft der Soldaten, wie sie im Krieg Seite an Seite kämpften. In einem traditionelleren Sinne ist das Wort „re’ut“ eine der acht Eigenschaften, die während einer jüdisch-religiösen Hochzeit die ideale Beziehung zwischen Braut und Bräutigam beschreiben. In seinem Lied verbindet Guri beide Aspekte.

Wir haben kein anderes verbindendes Element, und erst recht keinen anderen Schutz. Sobald wir den Geist der Freundschaft verlieren, werden wir weder unsere Geiseln zurückbekommen, noch die Niederlage der Hamas sehen. Ohne den Geist der Freundschaft werden wir weder über den Philadelphi-Korridor ­entscheiden können, noch die Rückkehr der Evakuierten in ihre Ortschaften im Norden erleben.

Ohne den Geist der Freundschaft wird hier ein großes Nichts entstehen. Der islamistische Fanatismus, dem wir gegenüberstehen, wird alles in Rauch auflösen. Er will, dass der Letzte hier das Licht ausschaltet. Deshalb sollten wir schnell aufwachen. Die Worte Chaim Guris klingen für mich wichtiger als je zuvor:

Schon ein Jahr haben wir kaum gespürt,

wie die Zeit auf unseren Feldern vergangen ist.

Ja, schon ein Jahr – so wenige sind geblieben.

So viele schon sind nicht mehr unter uns.

Durch Blut geheiligte Liebe.

Du wirst zu uns zurückkehren, um zu erblühen.

HaRe’ut, die Freundschaft, wird ohne Worte bleiben.

Doch in den schrecklich-bedrohlichen Nächten

bleibst du strahlend und brennend.

Alle jungen Burschen rufen „Freundschaft“

„In deinem Namen werden wir lächeln und gehen

Für unsere Freunde, die durch das Schwert fielen.

Dein Leben ist uns als Erinnerung geblieben.“

Sie ließen ihr Leben, damit wir uns erinnern.

Von: Udi Herschler
Übersetzt aus dem Hebräischen von Merle Hofer

Udi Herschler ist 45 Jahre alt. Er lebt in elfter Generation in Jerusalem. Er unterrichtet Philosophie, Jüdisches Denken und Geschichte.

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9 Antworten

  1. Seit zwölf Monaten befindet sich die Geiseln im Gazastreifen. Wie ist das möglich? Ganz einfach: die sogenannten palästinensischen Zivilisten und die Hamas-Terroristen sind sich einig, so viele Juden töten und quälen wie möglich.

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    1. So ist es wohl leider. Was befreite Geiseln über ihre Gefangenschaft erzählen, lässt bei mir das Mitgefühl für die Zivilisten auf den Gefrierpunkt sinken. Für meine persönliche Bilanz seit einem Jahr : zu manchen „Freunden“ und Bekannten habe ich den Kontakt abgebrochen, andere sind dazu gekommen, wie zum Beispiel eine Exil-Iranerin und eine junge Frau aus Burkina Faso, die vor der Islamistenoffensive in ihrer Heimat geflohen ist. Beide wissen, dass nicht Israel oder die Juden ihre Feinde sind.

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    2. Und da ist ganz vorn auch Mahmoud Abbas dabei! Warum zieht man ihn nicht zur Rechenschaft. Er ist ein religiöser Aufwiegler da im Islam Politik und Religion nicht getrennt werden können!

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  2. Ich wünsche Israel, dass es in dieser schweren Zeit den Wert der Kameradschaft fortsetzt. Gott wird Israel stärken, wir denken heute alle daran, dass vor einem Jahr die Menschenverachtung zurückgekehrt ist durch die HAMAS. Aber: Wir müssen auch sehen, dass Israels Feinde, HAMAS; HISBOLLAH, schon sehr geschwächt sind, und das gibt uns alle Hoffnung, dass wir die Zeichen der Zeit erkennen und nach dem Tal der Tränen Israel als Sieger hervorgeht.

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  3. Während hunderte Soldaten ihr Leben verlieren und Abertausende schwerst verwundet sind. Verweigert die Mehrheit der ultra orthodoxen Männer immer noch den Militärdienst oder jegliche andere Arbeit um Israel in dieser schwierigen Zeit zu helfen. Stattdessen leben sie konfortabel vom Geld der übrigen israelischen Steuerzahler. Dies ist in meinen Augen nicht fair.

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    1. Nur motivierte Soldaten sind gute Soldaten, die unmotivierten suizidalen (gibt es auch) behindern nur die Truppe und sind eine Gefahr für die anderen. Es ist die Angelegeneheit Israels Gesetze zu schaffen, die ein Engagement für den Staat (die Gemeinschaft) in Kriegszeiten festlegen und die Thora-Schule in diesem Fall für den Abend zu reservieren z. B. Wenn Israel zu keinerlei Recht auf Kriegsdienstverweigerung zurückkehrt, so ist es nicht mehr das Israel meiner Kindheit auf das ich stolz war. Im Übrigen gehen der Ukraine auch die Soldaten aus, weil sie kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung kennt und viele verlassen dann einfach ihr Land, sie nennen es Freiheit. Marc Chagall war auch nur Maler, er hat nie Kriegsdienst geleistet jedoch Synagogen und Kirchen geschmückt?!* SHALOM

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      1. Israels Existenz und das Überleben seiner Bewohner hängt leider, wie bei keinem anderen Land der Welt, von seiner Armee ab. Dennoch ist Wahres an dem was Frau Jeanne schreibt. My Opinion.

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  4. Soldaten sind mehr als Freunde. Sie wissen um ihre Zugehörigkeit für die gleiche Sache, sie wertschätzen die Würde des Kameraden und verpflichten sich, dem anderen zu helfen. Sie können sich zu 100% auf den Kameraden verlassen und vertrauen dem anderen das eigene Leben an. Nicht umsonst zeichnet diese Verbundenheit untereinander die beste Armee der Welt aus. Chapeau und Gottes Bewahrung!

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