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Vom Molotowcocktail zur Raketenabwehr – und dann in die Medizin

Der Staat Israel, der 75-jähriges Bestehen feiert, wird oft als Ideenschmiede porträtiert. Zu Israels Erfindungen gehören auch Innovationen, die fürs Militär gemacht wurden – und dennoch umgewandelt im Zivilsektor großen Segen bringen.
Von Antje C. Naujoks

Im vorstaatlichen Israel ging es in jedem Sektor um Aufbau. Das blieb auch nach der Ausrufung des Staates Israel 1948 so. Es fehlte an Infrastrukturen, ob Kanalisation, Straßen, Schulen und Krankenhäuser. Doch dieses „Fast-Nichts“ betraf auch die Armee. Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte wurden am 31. Mai 1948 gegründet, also gut zwei Wochen, nachdem David Ben-Gurion den Staat Israel deklarierte.

Die Gründung dieser Armee, in der bis heute Männer wie Frauen dienen, fiel bereits in die Wirren des ersten Krieges, den der Staat gegen arabische Anrainer auszutragen hatte. Während fünf Armeen (Libanon, Syrien, Irak, Jordanien und Ägypten) auf den jüdischen Staat marschierten, zählten die Verteidigungsstreitkräfte in zwölf Brigaden lediglich 25.000 Soldaten und Soldatinnen sowie nochmals die gleiche Anzahl mobilisierter Zivilisten in einer Art Bürgerwehr.

Die meisten konnten gar keinen Dienst an der Waffe leisten, da Israel bei Gründung nur über 10.000 Gewehre, einige Hundert Maschinengewehre und Revolver verfügte. Zudem zählten zum Bestand zwei veraltete Cromwell-Panzer, die nur zur Verfügung standen, weil sie gestohlen wurden. Hinzu kamen 763 Granat- und zwei beinahe hinfällige Kanonenwerfer, die schon im 19. Jahrhundert im Einsatz gewesen waren. Munition war rar, sehr rar. Den Luftstreitkräften standen anfangs lediglich vier einsatzfähige Kampfflugzeuge zur Verfügung.

Das Geheimrezept Unbewaffneter

Letztlich hatte Israel den feindlichen Armeen vor allem eins zu entgegnen: den Kampfgeist von Menschen, für die es – auch im Schatten der Scho‘ah – um alles oder nichts ging. Israel zahlte in diesem Krieg einen hohen Preis, denn 1 Prozent der Bürger des Landes kam ums Leben. Unter ihnen waren viele Überlebende, die die NS-Verfolgung überstanden hatten und mehr oder weniger mit Ankunft im Land ins Feld zogen.

Doch es fielen auch Juden, die Bürger anderer Länder waren. Sie meldeten sich freiwillig zum Dienst, um dabei zu helfen, die Existenz des Staates ihres Volkes zu sichern. Darunter waren auch Veteranen des Zweiten Weltkrieges, die sich zudem an dem eilig aufgebauten Netzwerk zur Beschaffung von Kriegsmitteln beteiligten. Israel brauchte dringend schweres Gerät und vor allem Flugzeuge, die letztlich aus der Tschechoslowakei kamen und bei denen es sich um umgebaute Messerschmitt-Maschinen handelt, die einst Hermann Göring unterstanden hatten.

Doch auf diese Zeit trifft auch noch etwas anderes zu: Not macht erfinderisch. Hier sei nur ein Beispiel aus Israels Vergangenheit angeführt: Wenn man keine Gewehre und Handgranaten hat, um den unmittelbar vor der Haustür stehenden Feind zu vertreiben, dann werden ihm eben selbstgebastelte Molotowcocktails entgegengeschleudert.

Es gibt etliche Geschichten, wie die Menschen des jungen Staates es eher durch Improvisation, Intuition, Einfallsreichtum und jede Menge Solidarität als durch Kriegsmittel schafften, bei Waffenstillstand 1949 über ein größeres Territorium zu verfügen, als dem jüdischen Staat durch den UN-Teilungsplan von 1947 zugesprochen war.

Vom Wehrdienst in den Zivilsektor

Heute wird Israel nicht nur als Ideenschmiede, sondern auch als Start-up-Nation bezeichnet. Das lässt sich allerdings erst für die vergangenen zwei Jahrzehnte behaupten. Zu diesem Bereich hat die Armee nachhaltig beigesteuert, denn fast alle Hightech-Erfolgsgeschichten haben in irgendeiner Weise einen Bezug zu deren Technologie-Eliteeinheit. Sie ist unter der Bezeichnung Truppe 8200 bekannt ist und von ihr hatte bis vor etwas mehr als einem Jahrzehnt die Öffentlichkeit gar keine Kenntnis.

Tausende Soldaten, die ihre technologischen Expertisen dem Dienst in dieser Einheit verdanken, haben nach der Entlassung Firmen gegründet und nach den Jahren der Grundlagenentwicklung ihre Ideen für gutes Geld verkauft. Dazu gehört Mirabilis, die die Software des ersten Instant-Textmessaging-Diensts entwickelte, ohne die die Welt später keine SMS-Mitteilungen versandt hätte. 1998, nur zwei Jahre nach Vermarkung der Software, wurde Mirabilis für 400 Millionen US-Dollar an AOL verkauft.

Die Ex-Soldaten, die die Navigations-App Waze entwickelten, verkauften ihre Firma 2013 für 1,1 Milliarden Dollar an den Google-Konzern. Auch heute noch blickt Israel auf Milliarden-Summen, die der zivile Sektor erwirtschaftet, weil die Entwickler ihr technologisches Wissen während ihres Dienstes in der israelischen Armee erwarben.

Statt navigieren und schießen: Diagnostizieren und operieren

Doch es gibt auch Innovationen, die Israel explizit und ausschließlich für den militärischen Bereich macht, die in der nächsten Runde dann aber doch noch ebenfalls dem zivilen Sektor Nutzen bringen. Dies ist dank findiger Ideen, Auskoppelungen oder Abwandlungen möglich. Dazu gehört die „Surgical Rehearsal Platform“ (SRP), die Chirurgen hilft, Operationen anhand von dynamischen 3D-Aufnahmen zu üben und zu planen. Ursprünglich handelte es sich um eine Innovation für Piloten-Flugsimulatoren. Die Umwandlung dieser militärischen Entwicklung geht auf die Veteranen Moty Avisar und Alon Geri zurück.

Gavriel Iddan beschäftigte sich für die Firma Elron Electronic Industries mit Lenkwaffentechnologie. So kam er auf die Idee, dass man Patienten unangenehme Untersuchungen ersparen könnte, wenn eine winzige Kamera Aufnahmen vom Verdauungstrakt macht. Heraus kam seine Firma Given Imaging mit ihrer PillCam, die heute von vielen Krankenkassen in aller Welt zum Wohl der Patienten zum Einsatz kommt.

Das Wissen, das Dov Moran in der Armee als Direktor der Mikroprozessor-Abteilung sammelte, ließ ihn auf die Idee des denkbar einfachen Transfers von Daten mit großem Volumen kommen: den USB-Stick. Einen Namen mit Firewalls zur Cyber-Sicherheit hat sich die israelische Firma Check Point Software Technologies gemacht, was sie fast ausschließlich Veteranen der Einheit 8200 zu verdanken hat.

Drohnen, Katheter und Stromversorgung für New York

Doch es gibt auch militärische Innovationen, die manchmal noch nicht einmal abgewandelt im zivilen Sektor Gutes bringen. Dazu sind Drohnen zu zählen, auf deren Entwicklung Israel nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 setzte. Inzwischen gibt es israelische Drohnen, die etwa Massenveranstaltungen abzusichern helfen, bei der Suche nach Verunglückten ein Segen sind oder gar vollkommen neue Bilder von Sportereignissen übertragen.

Doch hierzu zählt auch eine Entwicklung der Firma Elbit Systems Ltd.: Ein von ihr entwickelter Mechanismus zur Computer-Vision-Verfolgung für Piloten wurde zum revolutionären Katheter der Firma Biosense Webster. Es hilft Chirurgen, mittels 3D-Aufnahmen sicher und präzise im menschlichen Körper zu navigieren, um Herzerkrankungen zu diagnostizieren und zu behandeln.

Und auch das Eisenkuppel-Raketenabwehrsystem ist zu erwähnen, dessen Entwicklung die Welt für unmöglich hielt. Einige Elemente spielen im zivilen Sektor eine Rolle. Dazu gehören Entwicklungen der israelischen Firma mPrest, die sich auf Command-and-Control-Technology sowie auf Boden-, Luft-, See- und Simulator-Lösungen spezialisiert hat. Eine der Entwicklungen, die die Firma zum Eisenkuppel-System beisteuerte, wird von der New Yorker Elektrizitätsbehörde (NYPA) eingesetzt, um die Stromversorgung für die Millionenmetropole abzusichern.

Obschon Israel ein modernes Hightech-Land ist, das auf dem ersten Blick nicht mehr nach dem Motto „Not macht erfinderisch“ leben muss, stehen auch die heutigen Innovationen nach wie vor mit der besonderen Ausgangslage in Zusammenhang. Das ist Land gezwungen, die Nase immer ein Stückchen vor seinen Feinden zu haben. Deshalb besteht auch weiterhin die zwingende Notwendigkeit, sogar Unmögliches nicht nur möglich zu machen, sondern mit viel Enthusiasmus zu wahrhaften Erfolgsgeschichten umzumünzen.

Antje C. Naujoks studierte Politologie an der FU Berlin und an der Hebräischen Universität Jerusalem. Die freischaffende Übersetzerin lebt seit fast 35 Jahren in Israel, davon ein Jahrzehnt in Be‘er Scheva.

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3 Antworten

  1. @ Redaktion
    Danke für den Artikel. Die Anfänge und das immer noch Bestehen eines fleißigen Volkes, welches über
    Jahrhunderte immer wieder vertrieben und ermordet wurde.
    Leider auch heute noch in Köpfen von Antisemiten weltweit und Vernichtungstreffen von Terror- Führern
    wie letzte Woche in Beirut.
    Trotz Anfeindungen in einer sogenannten Demokratie und Rechtsstaat, wo Religionsfreiheit und Würde eines Menschen “ normal“ sein sollte, bin ich dankbar Jüdisch geboren zu sein.
    Liebe Frau Naujoks nehmen Sie meinen Dank entgegen. Sie haben nicht nur die Anfänge der Staatsgründung richtig beschrieben. Unser Volk lebt im biblischen Kernland unter großen Anfeindungen von innen und außen. Ohne Krieg in der Stunde Null der Staatsgründung wäre Frieden möglich gewesen. Fünf arabische Staaten wollten es nicht. Seither besteht die Lüge der Besatzung. Israel darf man kritisieren, aber man sollte zumindest auch die Wahrheit sagen. Herzliche Segensgrüsse. Shalom. Jom Atzmaut sameach.

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  2. „zwei beinahe hinfällige Kanonenwerfer…“.
    Was bitte sind „Kanonenwerfer“?

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