TUNIS (inn) – Der tunesische Präsident Kais Saied ist wegen angeblich antisemitischer Äußerungen in die Kritik geraten. Auf der Facebook-Seite des Präsidenten steht seit Dienstag ein dreiminütiges Video. Es zeigt, wie Saied mit Einwohnern eines Vorortes von Tunis über die jüngsten Proteste im Land diskutiert. Darin war dem Anschein nach zu hören, wie er „die Juden“ für die Unruhen verantwortlich macht.
Die Konferenz Europäischer Rabbiner brachte „tiefe Sorge“ darüber zum Ausdruck. Die tunesische Regierung müsse die Sicherheit der tunesischen Juden garantieren: „Solche Anschuldigungen bedrohen eine der ältesten jüdischen Gemeinschaften der Welt.“
Wenig später teilte der Präsident der Rabbiner-Konferenz, Pinchas Goldschmidt, mit, Saied habe den Oberrabbiner der jüdischen Gemeinschaft im tunesischen Dscherba, Chaim Bitan, angerufen und sich für „seine antisemitische Hetzrede entschuldigt“.
Präsident weist Anschuldigung zurück
Saieds Büro dementierte am Mittwoch jedoch, dass es eine antisemitische Äußerung gegeben habe: Der Präsident „nannte keine Religionsgemeinschaft. Niemand bei Verstand könnte etwas Gegenteiliges wahrgenommen haben“. Sein Büro ließ mitteilen, er unterscheide „zwischen Judentum und dem Zionismus“. So habe er etwa den Oberrabbiner von Tunesien zu seiner Amtseinführung eingeladen.
Die israelische Zeitung „Jerusalem Post“ berichtet, dass die sonst regierungskritische Faktencheck-Plattform „Falso“ die Vorwürfe ebenfalls zerstreute. Indem sie das Video in verschiedenen Geschwindigkeiten abspielten, stellte die Faktenchecker fest, dass Saied nicht „al-jahud“, „die Juden“, sagte, sondern „hal jahun“. Dies sei eine rhetorische Frage mit der Bedeutung: „Können wir dies akzeptieren?“
Im Oktober hatte Saied die Normalisierung arabischer Staaten mit Israel als „Hochverrat“ bezeichnet. Die „Jerusalem Post“ stellt jedoch heraus, dass von dem Präsidenten keine spezifisch antijüdischen Aussagen bekannt seien.
Enttäusche Hoffnungen
Tunesien gilt als das einzige Land, das nach dem „Arabischen Frühling“ vor zehn Jahren den Übergang zur Demokratie schaffte. Dennoch leidet der Staat unter fehlender Stabilität und einer Wirtschaftskrise. Diese verschärfte sich noch durch die Corona-Pandemie. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 19 Prozent. Derzeit gehen viele Menschen gegen die Regierung auf die Straße.
Von tk