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Ungarisch-israelische Turnerin feiert 100. Geburtstag

Das Leben der Kunstturnerin Ágnes Keleti ist äußert bewegt. Neben vielen sportlichen Erfolgen muss sie auch schmerzliche Niederlagen und Rückschläge hinnehmen. Jahrzehntelang lebt die gebürtige Ungarin in Israel. Am Samstag wird die Holocaustüberlebende 100 Jahre alt.
Die erste Olympiasiegerin im Bodenturnen: Ágnes Keleti

Ágnes Keleti wird 1921 in Ungarns Hauptstadt Budapest geboren. Dort lebt sie – gemeinsam mit ihrer Schwester – als Kind jüdischer Eltern. Bereits mit vier Jahren beginnt sie mit dem Turnen. Keleti hat großes Talent. Im Alter von 16 Jahren gewinnt sie ihren ersten Meistertitel, zehn weitere werden folgen. Als 1939 der Zweite Weltkrieg beginnt, kann sie ihren Sport zunächst weiter ausüben. Die Ungarn, die mit Nazi-Deutschland verbündet sind, haben dennoch kein Interesse an der Ausgrenzung und Deportation ihrer Juden. Dies ändert sich jedoch schlagartig, als Hitler nach Meinungsverschiedenheiten mit Ungarns Machthaber Miklós Horthy im Frühjahr 1944 das Land besetzt. Das „Unternehmen Margarethe“ gelingt. In der Nacht vom 18. auf den 19. März 1944 marschieren deutsche Truppen in Richtung Budapest.

Unter der Leitung von Adolf Eichmann treiben die Nazis nun auch in Ungarn die „Endlösung“ voran. Zuerst wird für alle Juden das Tragen eines gelben Sterns verpflichtend. Kurz danach beginnt im ländlichen Raum die Ghettoisierung. Bereits im Mai werden die ersten Abtransporte nach Auschwitz veranlasst. Zwischen 400.000 und 500.000 Juden verlieren während der deutschen Besatzung in Ungarn ihr Leben. Unter ihnen ist auch Keletis Vater und ein Großteil ihrer Familie. Mutter und Schwester überleben in einem sogenannten Schutzhaus des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg.

Vater und Großteil der Familie in Auschwitz ermordet

Keleti selbst kann sich mit Hilfe falscher Papiere als christliches Dienstmädchen tarnen. In einem kleinen ungarischen Dorf arbeitet sie für eine Familie, die mit den Nazis sympathisiert. Weil sie dem Gerücht, verheiratete Frauen würden nicht deportiert, Glauben schenkt, heiratet sie 1944 den ungarischen Turner István Sárkány. Die Ehe wird wenige Jahre später geschieden. Während der Schlacht um Budapest 1944/45 wird sie dazu gezwungen, Leichen in Massengräbern zu verscharren. Im Dezember 1944 war die Hauptstadt von der Roten Armee und ihren rumänischen und ukrainischen Verbündeten eingeschlossen worden. Nach erbitterten Kämpfen, zehntausenden toten Soldaten und Zivilisten, kapitulieren die Deutschen im Februar 1945. Auf die deutsche folgt nun die sowjetische Besatzung.

Nach Ende des Krieges nimmt Ágnes Keleti ihre Turnkarriere wieder auf. Den ersten großen internationalen Auftritt hat sie beim 2. Weltweiten Festival für Jugend und Studenten, einem Vorgänger der Weltsportspiele der Studenten, im Jahr 1949. Dort gewinnt sie vier Goldmedaillen und holt einmal Silber. Nachdem sie die Olympischen Spiele 1948 in London verletzungsbedingt verpasst, ist sie vier Jahre später Teil der ungarischen Olympiamannschaft. Im Alter von 31 Jahren gewinnt Keleti in Helsinki vier Medaillen, darunter eine goldene im Bodenturnen. Damit wird sie die erste Olympiasiegerin in dieser Disziplin. Ihre nächsten großen sportlichen Erfolge feiert Keleti 1952 bei den Turn-Weltmeisterschaften in Rom. Wieder gewinnt sie Gold, diesmal am Stufenbarren. Zudem erhält sie Bronze am Balken und Silber mit der Mannschaft.

Vierfache Olympiasiegerin 1956 bei Spielen in Melbourne

Den Höhepunkt ihrer Karriere landet sie bei den Olympischen Spielen 1956 im australischen Melbourne. Gleich viermal kürt sich Keleti zur Olympiasiegerin. Sie gewinnt Gold im Bodenturnen, am Schwebebalken sowie am Stufenbarren und in Rhythmischer Sportgymnastik mit der Mannschaft. Ergänzt wird dieser Erfolg durch drei Silbermedaillen.

Insgesamt gewinnt Ágnes Keleti zehn Olympia-Medaillen. Die Hälfte davon ist golden. Mit dieser Leistung gehört sie bis heute zu den erfolgreichsten Frauen der Olympia-Geschichte. Zudem ist sie die erfolgreichste jüdische Sportlerin aller Zeiten. Gemäß dieser Erfolge wird Keleti in unzählige Ruhmeshallen aufgenommen, darunter die „Hall of Fame des jüdischen Sports“ und die „Hall of Fame des internationalen Frauensports“. Im Jahr 2004 wird sie in Ungarn außerdem zur „Sportlerin der Nation“ erklärt.

Nach den Olympischen Spielen von Melbourne beendet die damals 35-Jährige ihre Turnkarriere. Doch anstatt in ihre Heimat zurückzukehren, beantragt sie gemeinsam mit 40 weiteren ungarischen Athleten in Australien Asyl. Der Hintergrund: Während der Spiele hatte in Ungarn ein Volksaufstand begonnen. Große Teile der Bevölkerung stellen sich gegen die sowjetische Besatzung und fordern die Unabhängigkeit ihres Landes. Es kommt zu blutigen Gefechten mit mehreren tausend Toten. Die Sowjets behalten letztendlich die Überhand.

Leben und Wirken in Israel

Bereits nach wenigen Monaten kehrt Keleti 1957 zurück nach Europa. Noch im selben Jahr wird sie von einem israelischen Abgesandten zur Makkabiade, der größten internationalen jüdischen Sportveranstaltung, in Tel Aviv eingeladen. Zusammen mit Mutter und Schwester beschließt sie daraufhin die Auswanderung nach Israel. Von nun an arbeitet sie als Sportlehrerin am Wingate Institut, einer Sporthochschule in Netanja. Dort lernt sie auch ihren zweiten Ehemann, Robert Biro, kennen. Die beiden heiraten und bekommen die Söhne Daniel und Rafael. Keleti wird zudem Trainerin der israelischen Turnmannschaft. 2017 erhält sie die höchste Kulturauszeichnung des Staates Israel, den sogenannten Israel-Preis.

Auch mit über 90 Jahren ist Ágnes Keleti noch sehr beweglich Foto: Róth Tamás, Wikipedia
Auch mit über 90 Jahren ist Ágnes Keleti noch sehr beweglich

Nach vielen Jahrzehnten in Israel zieht die inzwischen über 90-jährige Ágnes Keleti schließlich zurück in ihre Geburtsstadt Budapest. Dort lebt sie bis heute. Anlässlich ihres 99. Geburtstags wird sie 2019 vom Fernsehsender „Africanews“ besucht. Auf die Frage nach ihrer Vergangenheit antwortet sie: „Welche Vergangenheit? Es geht um die Zukunft. Das ist es, worauf es ankommt.“ Dazu passt auch, dass die israelischen Turnmeisterschaften der Frauen ab diesem Jahr ihren Namen tragen sollen.

Von: Valerie Wolf

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