In diesem Jahr jährt sich die Tsunami-Katastrophe in Südostasien zum 20. Mal. Am 26. Dezember 2004 spielte sich ein Naturschauspiel mit verheerenden Folgen ab: Ein schweres Erdbeben – verursacht durch einen Bruch entlang der Verwerfung zwischen der Burma-Platte und der Indischen Platte mit Epizentrum vor der Westküste Nordsumatras in Indonesien – löste eine gewaltige Flutwelle aus.
Dieser Tsunami mit bis zu 30 Meter hohen Wellen traf auf Land, verwüstete Gemeinden entlang der umliegenden Küsten des Indischen Ozeans und löschte in 14 Ländern das Leben von schätzungsweise 228.000 Menschen aus, Einheimische wie auch eine Schar von Touristen, die ihre Weihnachtsferien in warmen Gefilden verbringen wollten. Bislang ist es die tödlichste Naturkatastrophe des 21. Jahrhunderts und die schlimmste Tsunami-Katastrophe der Geschichte. Abertausende haben ihre Existenz und geliebte Menschen verloren. Am zweiten Weihnachtstag paart sich in vielen betroffenen Familien die Freude über das Fest mit Schmerz.
Israelis haben gelernt, mit Erdbeben zu leben. Dabei blendet die Bevölkerung die Tsunami-Gefahr, die auch das kleine Land am Mittelmeer treffen kann, aus. Wie gut ist es auf Flutwellen vorbereitet?
Erdbeben oder auch andere seismische Eruptionen in Ozeanen können Tsunamis auslösen, Flutwellen, die mitunter mit enormer Wucht auf Land laufen und ungeheure Verwüstungen anrichten. Das Wort Tsunami hat seinen etymologischen Ursprung im Japanischen, „tsu“, deutsch für Hafen, und „nami“, die Welle, zusammengesetzt kann es sinngemäß mit „Welle im Hafen“ übersetzt werden, was zunächst nicht sonderlich bedrohlich klingt.
Unterschätzte Gefahr
Ein fataler Irrtum. Regionen, in denen Tsunamis selten und meist moderat auftreten, neigen dazu, die Gefahr zu unterschätzen, denn selbst vergleichsweise niedrige Flutwellen können großen Schaden anrichten und Menschenleben kosten.
Auch Israel hat diese Gefahr lange ignoriert, obwohl es bekanntermaßen auf der Syrisch-afrikanischen Spalte liegt, einem Teilabschnitt des Großen Afrikanischen Grabenbruchs und somit in einer Region mit reger Plattentektonik. Das ist eine der Ursachen für Erdbeben. Zudem liegt das Land am Mittelmeer, im Zusammenspiel mit Erdbeben eine ideale Voraussetzung für die Entstehung von Tsunamis.
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Im Jahr 1956 hat das bislang letzte Mal ein kleinerer Tsunami Israel heimgesucht, ohne nennenswerte Sach- oder Personenschäden, woraufhin man sich in Sicherheit wiegte, einer trügerischen Sicherheit, wie Geologen nicht müde wurden zu mahnen.
Viele Jahre vergingen, ohne dass nennenswerte Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen wurden. 2018 kam endlich Bewegung in die Causa Tsunami, die potentielle Bedrohung wurde ernster genommen, Entlang der israelischen Küste – bei Haifa, Hadera und Aschdod – wurden radargestützte Frühwarnsysteme installiert. Sie reagieren auf jedwede ungewöhnliche Abweichung – wie etwa ungewöhnlich hohe Wellen und Unregelmäßigkeiten in den Gezeiten –, lokalisieren sie zuverlässig und lösen gegebenenfalls Alarm aus.
Frühwarnnetz von Portugal nach Israel
Diese drei Stationen sind in ein Frühwarnnetz eingebunden, das sich von Portugal über Griechenland bis nach Israel erstreckt. Die israelischen Stationen sind zudem an das Sirenensystem von Pikud HaOref, dem Heimatfront-Kommando angeschlossen. Es wurde 1992 gegründet, um die Zivilbevölkerung in Krisen-und Katastrophenfällen landesweit warnen zu können. Geben die Sirenen Tsunami-Alarm, bleiben gut 20 Minuten Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen.
Strände und alle strandnahen Gegenden und Gebäude müssen unverzüglich verlassen werden. Hinweisschilder mit einem Piktogramm – es zeigt ein Männchen auf der Flucht vor einer Riesenwelle – zeigen die jeweilige Evakuierungsroute und Entfernungen zu sicheren Zufluchtsorten an. Im Idealfall sollen sich schutzsuchende Menschen in Gebäuden in den vierten Stock retten und dort bis zu 12 Stunden nach Erdbeben -und Tsunamiwarnung verharren, denn selbst schwächere Nachbeben können Tsunamis auslösen.
Das klingt wie ein Horror-Szenario aus einem schlechten Sciencefiction Film? Laut Einschätzung von Experten der israelischen nationalen Behörde für Notfallmanagement ist es durchaus ein realistisches Szenario, denn was wenig bekannt ist: Das Mittelmeer gehört zu einer der am stärksten Tsunami-gefährdeten Region der Welt.
Auch ein Blick auf die Erdbebenfrequenz spricht für sich. Schwächere Erdstöße sind Israelis gewohnt, niemand gerät in Panik. Das bislang letzte große Erdbeben mit einer Stärke von 6,2 auf der Richterskala trug sich 1927 zu, es forderte in Jerusalem, Ramallah und Jericho Menschenleben und Verletzte. In Jerusalem wurde die Grabeskirche, der heiligste Ort der Christenheit, schwer beschädigt.
1837 starben aufgrund eines Erdbebens in Safed und Umland schätzungsweise 7,000 Menschen. Im See Genezareth bildete sich eine sogenannte Seiche, eine stehende Welle des Wassers in Seen, Buchten oder Hafenbecken. Seichen entstehen, wenn an Beckenrändern anlaufende Wellen zurückgeworfen werden und sich als ablaufende Gegenwellen mit den ankommenden Wellen überlagern. Eine solche Seiche prallte mit zerstörerischer Wucht auf den am See Genezareth liegenden Ort Tiberias.
Tsunami in der Bibel
Auch in der Bibel finden wir Hinweise auf einen Tsunami. Rund 70 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Theologen und Theologinnen sowie kirchliche Amtsträger arbeiteten fünf Jahre an einer sprachlichen Revision der Lutherbibel und kamen – unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse der Bibelwissenschaften – übereinstimmend zu einem erstaunlichen Fazit.
Martin Luther hatte eine Textstelle in der Sturmstillungsgeschichte (Matthäus 8,23–27) wie folgt übersetzt: „da wurde ein großes Ungestüm“. Ungestüm, diesen lutherischen Begriff hatte man 1984 durch „Sturmsein“ ausgetauscht und dies, obwohl im Griechischen von seismós gesprochen wird, ein Wort, das wir von der Seismologie kennen, der Lehre von Erdbeben und der Ausbreitung seismischer Wellen. Die Bibelexperten legten fest, dass die Passage korrekt mit „Und da entstand ein Erdbeben im Meer“ übersetzt werden müsse und schlussfolgerten, dass ein Beben im Meer gemeint sei, ein Tsunami.
Ausgrabungen 30 Kilometer südlich von Haifa, durchgeführt von einem internationalen Archäologen-Team unter der Leitung des Leon Recanati-Institutes für Maritime Studien (RIMS), konnten anhand einer Schicht aus Sand und Meeresmuscheln die Zerstörung des spätbronzezeitlichen Tel Dors durch eine gewaltige Flutwelle belegen. Die gewaltigen Wassermassen ergossen sich stellenweise bis zu 3,5 Kilometer ins Landesinnere, die Flutwelle muss den Meeresarchäologen zufolge zwischen 16 und 40 Meter hoch gewesen sein.
Diese Naturkatastrophe, die sich basierend auf Datierungen der Fundstücke zwischen der Früh- und Spätsteinzeitlichen kulturellen Periode zugetragen haben muss, könnte erklären, warum vorherige archäologische Untersuchungen der Region um Tel Dor auf keinerlei Siedlungsspuren aus der Zeit vor der Spätsteinzeit gestoßen sind.
Ein Tsunami je Jahrhundert
Gemäß RIMS lassen historische Aufzeichnungen und die Auswertung geographischer Daten folgenden alarmierenden Rückschluss zu: In den vergangenen 6.000 Jahren hat sich in jedem Jahrhundert ein Tsunami im östlichen Mittelmeerraum ereignet.
Das jüngste kleinere Erdbeben suchte den Norden Israels am 1. Mai 2022 heim. Sein Epizentrum war 100 Kilometer westlich im Mittelmeer. Seit geraumer Zeit werden in Israel Zivilschutzübungen durchgeführt. Sie sollen die einheimische Bevölkerung für das Tsunami-Risiko sensibilisieren, denn ein erneuter Tsunami ist womöglich nur eine Frage der Zeit.