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Trinationales Projekt: Kreative Annäherung an einen Helden

NÜRNBERG (inn) – Raoul Wallenberg ist ein echtes Vorbild – anders als etwa Fotomodels oder Fußballspieler. Zu diesem Ergebnis kamen Schüler aus drei Ländern in einem einwöchigen Workshop zu dem schwedischen Judenretter. Am Donnerstagabend haben sie ihre Erkenntnisse in kreativer Weise im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände präsentiert.
Der Nürnberger Oberbürgermeister Maly berichtete von seinem ersten Besuch in Auschwitz.

An dem Projekt nahmen Jugendliche aus Nürnberg, Ungarn und Israel teil. In der ungarischen Hauptstadt Budapest hatte der Diplomat Wallenberg Tausende Juden durch Schutzpässe gerettet. Nach dem Zweiten Weltkrieg verliert sich seine Spur in der Sowjetunion. In diesem Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden. Während der Vernissage für eine englischsprachige Wallenberg-Ausstellung im Dokumentationszentrum stellten die Schüler zunächst drei Tugenden vor, die sie dem Judenretter attestieren: persönliche Unabhängigkeit von unmenschlichen Gesetzen, Mut und das Anzweifeln von Dingen, die andere als selbstverständlich hinnahmen. Der Diplomat sei ein echtes Vorbild – „nicht wie Supermodels oder Fußballspieler, die ja für keinerlei Werte mehr stehen“, stellte einer der Jugendlichen fest.
Andere Teilnehmer hatten sich Gedanken darüber gemacht, wie Eltern ihre Kinder zu „Wallenbergs“ erziehen könnten. Ihr Fazit: Die Kinder müssten aus der „Bequemlichkeitszone“ herausgeholt werden, Verantwortung übernehmen und eine gute Allgemeinbildung erhalten. In einem szenischen Anspiel stellten Schüler dar, welche Dilemmata der Schwede für die Rettung vieler Juden hatte überwinden müssen. So habe er vor der Entscheidung gestanden, ob er nur offiziell arbeiten solle oder auch im Untergrund. Er habe „in dunklen Zeiten die richtigen Entscheidungen getroffen“. Das mache ihn zu einem Helden.
Ein von Jugendlichen aus den drei Ländern gestalteter Radiobeitrag befasste sich mit Stereotypen und Vorurteilen. Die Schüler sprachen sich dafür aus, Menschen zu einem kritischen Denken zu erziehen und zu Pluralismus zu ermutigen. Eine weitere Theaterszene sollte zeigen: Jeder ist ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft.
„Das zutiefst Menschliche macht den Helden aus“
Der Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, Hans-Christian Täubrich, betonte die Notwendigkeit, bei der Beschäftigung mit der Nazizeit in einem Netzwerk zusammenzuarbeiten. Insofern sei der einwöchige trinationale Workshop in Nürnberg ein Schritt in die richtige Richtung. Es gehe darum, eine allen zugängliche Vergangenheit verstehen zu wollen.
Die Frage „Warum hat keiner etwas dagegen getan?“ warf der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) auf. Sie sei ihm gekommen, als er mit etwa 18 Jahren erstmals die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Polen besuchte. Dokumentationszentren zeigten die „Mechanismen des Bösen“. Wallenberg oder Oskar Schindler seien Helden gewesen – aber nicht wie in Hollywood-Filmen, wo der eine Cowboy besser schießen könne als sein Rivale. Es gehe um Heldentum in einem viel tieferen Sinn: „Das zutiefst Menschliche macht am Ende den Helden aus.“ Eine Folge davon könne heute Zivilcourage sein.
Der Generalkonsul des Staates Israel in München, Tibor Shalev Schlosser, berichtete von seiner diplomatischen Tätigkeit in Italien. Dort habe er viele Menschen als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Auf die Frage, warum sie Juden vor der Verfolgung gerettet hätten, gaben viele der Italiener eine „unglaublich einfache Antwort“: „Wie konnte ich etwas anderes tun?“ Dies habe ihn bewegt, aber auch zu der Frage gebracht, warum andere dieses Selbstverständliche nicht getan hätten.
Ex-Staatsminister würdigt deutsche Empfindsamkeit gegenüber Israel
Der israelische Staatsminister a.D. Jossi Peled lobte das trinationale Projekt. Er wurde 1941 in Belgien geboren. Als er sechs Monate alt war, brachten ihn seine Eltern zu einer christlichen Familie, die ihn aufnahm. Seine Angehörigen wurden in Auschwitz ermordet. Erst im Alter von acht Jahren erfuhr er, dass er Jude ist und was das bedeutet. „Die Familie, die mich rettete, brachte ihr Leben in Gefahr.“ Dasselbe gelte für Wallenberg, sagte der Politiker, der sein Ministeramt und sein Knessetmandat im September niedergelegt hat.
Peled erzählte von seinen drei offiziellen Besuchen in Deutschland als Staatsminister. Vor etwa einem Jahr habe er zum letzten Mal Angela Merkel getroffen. Er sei beeindruckt gewesen von Deutschlands Feinfühligkeit gegenüber Israel – nicht nur bei der Bundeskanzlerin. Er könne unmöglich in der Bundesrepublik sein, ohne zu sagen: „Ich kann nicht vergessen.“ Aber es gebe eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. „Dieses Land mit der schrecklichen Vergangenheit ist einer der größten Unterstützer des Staates Israel.“ Das sei schwer zu verstehen, doch es sei die Wahrheit. Im Namen Israels und der jüdischen Nation dankte Peled allen Organisatoren des trinationalen Projektes.
Der ungarische Generalkonsul Tamás Mydlo lobte die Kreativität der Jungen und Mädchen aus Deutschland, Ungarn und Israel. Heute könnten Menschen die Erinnerung an Raoul Wallenberg wachhalten, indem sie „Opfern helfen, die sich nicht wehren können“. Weil es wichtig sei, aus der Geschichte zu lernen, hätten die Ungarn das Wallenberg-Jahr initiiert. Die Regierung und der überwiegende Teil der Gesellschaft grenzten sich von dem neu aufflammenden Antisemitismus ab. Dass der Judenretter durch die Sowjets verschleppt wurde, zeige: „Diktatorische Systeme haben manchmal Ähnlichkeit.“
Der 24-jährige ungarische Violinist Rajmund Ónodi umrahmte den Abend mit einem musikalischen Grundmotiv aus dem Film „Schindlers Liste“ von John Williams und mit zwei Capriccios von Niccolò Paganini.
Die Ausstellung „Raoul“ ist bis zum 16. Dezember im Dokumentationszentrum in Nürnberg zu sehen.

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