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Tod eines „Ministers“: Darstellungen widersprechen sich

RAMALLAH (inn) – Um den Tod des palästinensischen „Ministers“, der gar kein Kabinettsminister in der von Präsident Mahmud Abbas eingesetzten Regierung war, ist eine regelrechte Propagandaschlacht ausgebrochen. Darüber, wie Siad Abu Ein zu Tode kam, gibt es höchst widersprüchliche Darstellungen.
Siad Abu Ein, der palästinensische Vertreter für den "Kampf gegen Israels Siedlungspolitik", kam am 10. Dezember bei einer Konfrontation mit Soldaten ums Leben.

Siad Abu Ein war in der palästinensischen Regierung der Verantwortliche mit Ministerrang für den „Kampf gegen die Mauer und Israels Siedlungspolitik“. Am Mittwoch kam er nach Zusammenstößen mit Soldaten ums Leben. Da war die Rede von Schlägen mit Gewehrkolben, von einem Soldaten, der Abu Ein „gewürgt“ habe, und dem „Einatmen von zu viel Tränengas“. Ein israelischer Reporter, der neben Abu Ein gestanden habe, sagte, dass es keine Kolbenschläge in die Brust des 59-Jährigen gegeben habe. In Filmaufnahmen ist Abu Ein zu sehen, wie er mit den Soldaten „diskutierte“ und ein Soldat ihn offensichtlich auf Distanz halten wollte. Aber von Tränengas ist inmitten der Gruppe von Soldaten und Offizieren, denen sich der „Minister“ genähert habe, nichts zu erkennen.
Der israelische Reporter Joram Cohen filmte Abu Ein, während dieser zusammenbrach und langsam bewusstlos wurde. Der Palästinenser war möglicherweise unterzuckert. Nach Angaben seiner Familie litt er an Diabetes und Bluthochdruck. Zu seinen letzten Worten zählten gehässige Sprüche wie „das ist eine Terror-Armee“. Während sich eine israelische Sanitäterin um den in Not geratenen Abu Ein kümmert, kommen Palästinenser und tragen ihn zu einer „sehr verspätet gekommenen“ Ambulanz. Vielleicht hatte das den Tod verursacht, denn Abu Ein ist auf dem Weg zum Hospital in Ramallah verstorben. Vielleicht hätte er gerettet werden können, wenn er gebührend behandelt worden wäre.
In einem Bericht des palästinensischen Fernsehens ist Abu Ein auf dem Boden sitzend zu sehen, wie er sich mit der Hand die Brust hält. Äußere Verletzungen sind nicht zu erkennen, während mehrere Menschen sich um ihn kümmern und ihm einen Mantel über die Schulter legen. Es bestehe auch die Möglichkeit, dass Abu Ein einem Herzschlag erlegen sei.

Palästinenser beenden Sicherheitskooperation

„Was hat eigentlich ein Minister bei einer gewaltsamen Demonstration zu suchen?“, fragte der israelische Strategieminister Juval Steinitz in einem Rundfunkinterview und bezeichnete bei der Gelegenheit die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) als „Feind“ Israels. Verteidigungsminister Mosche Ja‘alon hingegen „bedauerte“ den Tod von Abu Ein und erklärte, dass jordanische wie israelische Pathologen gemeinsam eine Autopsie der Leiche vornehmen würden, um die Todesursache festzustellen. „Beide Seiten sind an einer Zusammenarbeit interessiert“, erklärte Ja‘alon. Zuvor hatten palästinensische Sprecher, darunter Verhandlungsführer Saeb Erekat und der Chef des Fußballbundes, Dschibril Radschub, ein Ende der israelisch-palästinensischen Sicherheitskooperation verkündet.
Dank dieser Kooperation wurde nicht nur ein von der Türkei aus gelenkter Staatsstreich der Hamas-Bewegung gegen Mahmud Abbas aufgedeckt. Die Zusammenarbeit hat vermutlich auch viele Menschenleben gerettet, weil palästinensische Sicherheitskräfte demonstrierende Palästinenser von Israelis fernhielten und potentiell tödliche Zusammenstöße verhinderten.

Scharfe Verurteilung durch EU

Die „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP) forderte unterdessen ein Ende der Oslo-Abkommen mit all seinen Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Wirtschaft.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, Nachfolgerin von Catherine Ashton, hat eine sehr scharfe Verurteilung zum Tod des palästinensischen Vertreters veröffentlicht. Nach Beileidsbekundungen gegenüber der Familie von Abu Ein und dem palästinensischen Volk äußerte Mogherini „extreme Sorge“ wegen der „exzessiven Gewalt durch die israelischen Sicherheitskräfte“. Dieses sei eine „dramatische Erinnerung für die gesamte internationale Gemeinschaft an die sich verschlechternde Situation vor Ort“. Israelische Regierungssprecher bedauerten, dass Mogherini nicht einmal die Ermittlung der Todesursache Abu Eins abgewartet hatte.
Noch schärfer reagierte die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ (AI). Der Tod des „Ministers“ beweise erneut die „exzessive Gewalt“ der israelischen Armee. Die Soldaten hätten „willkürliche und missbrauchende Gewalt“ angewandt. Ein Soldat habe Abu Ein „an der Gurgel gepackt“. Der Nahostdirektor der Menschenrechtsorganisation, Philip Luther, forderte eine eingehende Untersuchung, zumal „die israelischen Streitkräfte übertriebene und tödliche Gewalt“ gegen Demonstranten einsetzten. Als Todesursache erwähnt AI allein, dass Abu Ein „von einem Tränengaskanister an der Brust“ getroffen worden sei, Komplikationen durch das Einatmen von Tränengas erlitten habe oder von israelischen Soldaten „verprügelt“ worden sei.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach nach dem Tod Abu Eins von einem neuen „Tiefpunkt in den seit Wochen anhaltenden Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern“. Er forderte eine schnelle und für alle nachvollziehbare Aufklärung der Todesumstände. „Sollten sich Hinweise auf Fehlverhalten ergeben, müssen hieraus Konsequenzen gezogen werden“, betonte Steinmeier.

Abu Eins terroristische Vergangenheit

Siad Abu Ein hat ein hohes Ansehen bei den Palästinensern, unter anderem, weil er 1979 in Tiberias eine Bombe gelegt hat, wodurch zwei Israelis getötet worden sind. Im Rahmen des „Abu Dschibril-Gefangenenaustausches“ wurde er schon 1985 aus dem israelischen Gefängnis freigelassen, obgleich ein israelisches Militärgericht ihn zunächst zum Tode verurteilt hatte, was dann in lebenslange Haft umgewandelt worden ist.
Noch in der Nacht zum Donnerstag wurde die Leiche von Abu Ein untersucht. Am Donnerstag wird sich vielleicht zeigen, was die wahre Todesursache war. Vom Ergebnis der Autopsie, falls sich die Pathologen einigen, könnte abhängen, ob jetzt auch der Nahe Osten in die Luft fliegt, nachdem der Orient zwischen Libyen und Irak ohnehin schon ein einziges Kriegsgebiet mit Millionen Toten und Vertriebenen ist.

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