HAIFA (inn) – Während viele Menschen in Israel unter den Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie seufzen, atmtet die Natur vielerorts auf. In Haifa spitzt sich unterdessen die Wildschweinplage zu. Die nordisraelische Stadt hat seit Jahren ein Problem mit diesen Tieren, doch aktuell hat sich die Lage noch einmal verschärft. Weil es aufgrund der Ausgangsbeschränkungen in der Hafenstadt weitestgehend menschenleer ist, kommen nun auch tagsüber immer mehr Tiere.
Sie durchwühlen Müll, buddeln in Parks und Gärten, blockieren Straßen und erschrecken Haustiere, schreibt die Tageszeitung „Jerusalem Post“. Einige Anwohner seien besorgt: „Wir haben Angst, den Müll rauszubringen“, zitiert die Zeitung Meirav Litani. „Sie kommen her und werfen die Mülltonnen um, es fehlt uns an Schutz, wir fühlen uns wehrlos“, fügt der Bewohner der Hafenstadt hinzu.
„Schweinepatrouille“ im Einsatz
Ein anderer Einwohner, Jaron Hanan, befürchtet, dass die Wildschweine sich an die Situation gewöhnen und auch nach der Corona-Krise Tag und Nacht durch die Stadt streifen könnten. Er hat eine Kampagne gestartet und fordert die Stadtverwaltung auf, gegen die Tiere vorzugehen. Bis dahin hilft den Bürgern die sogenannte „Schweinepatrouille“: freiwillige Tierschützer, die bei Bedarf ausrücken, um die Wildschweine zu verjagen.
Tierisch geht es auch im Tel Aviver Stadtpark HaJarkon zu. Hier leben schon seit etwa einem Jahrzehnt zehn Schakal-Familien. Sie ernähren sich unter anderem von Lebensmittelresten, die Besucher nach dem Picknicken im Park hinterlassen. Seitdem die Ausgangsbeschränkungen gelten, ist diese Futterquelle jedoch versiegt. Nun zeigen sich die Tiere vermehrt auch auf Parkwegen, wie die Tageszeitung „Ha’aretz“ berichtet und in einer Bildstrecke dokumentiert.
Auf die Fauna in den derzeit geschlossenen Naturschutzgebieten wirken sich die ruhigen Zeiten besonders positiv aus, wie die israelische Naturparkbehörde beobachtet. Während vor allem in den Passah-Ferien für gewöhnlich Hunderttausende Besucher in die Parks im ganzen Land strömen, blieben die Tiere in diesem Jahr ungestört. Nur die Mitarbeiter der Parkbehörde sind derzeit in den Naturschutzgebieten unterwegs.
Gazellen erobern Massada
Der Direktor des Ein Gedi-Naturparks, Dudi Greenbaum, erzählte der Tageszeitung „Yediot Aharonot“ von einem völlig neuen Bild, das sich ihm während einer Kaffeepause im Park bot: „Eine Damhirschkuh lag mit ihren beiden Kälbern ohne Angst unter einem Baum und gleichzeitig grub ein Bienenfresser ein Nest im Dreck neben unserem geparkten Auto.“
Ein ebenso friedliches und ungewöhnliches Bild gibt derzeit die Felsenfestung Massada ab. Sie zieht in normalen Zeiten täglich Tausende Besucher an. Aktuell wird sie jedoch nicht von Menschen bevölkert. Stattdessen halten sich zahlreiche Gazellengruppen in und nahe der archäologischen Stätte auf. Auch in anderen Parks im Land sind die Tiere den ganzen Tag über an Orten unterwegs, die sie eigentlich wegen der vielen Besucher meiden. Sie kommen sonst erst am Abend, wenn die Parks für Menschen geschlossen sind, an bestimmte Stellen, um zu fressen oder zu trinken.
Erholsam wirkt sich die Schließung der Parks auch auf Fledermäuse aus, unter anderem im Nationalpark Beit Guvrin östlich der Stadt Aschkelon. Die dortigen Höhlen gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Viele von ihnen sind Wohnstatt für Fledermäuse. Unter anderem zum Passahfest finden in der sogenannten Glockenhöhle Konzerte statt. Dann verlassen die Tiere die Höhle und kehren erst zurück, wenn wieder Ruhe eingezogen ist. In diesem Jahr blieben die Fledermäuse ungestört.
Wilderei zurückgegangen
Im Westjordanland berichtet der Direktor der „Palästinensischen Gesellschaft für die Tierwelt“ in Bethlehem von den Auswirkungen der Quarantäne-Anordnungen auf die Natur. „Zum ersten Mal bauen Vögel Nester in meinem Garten“, erzählt Imad Atrasch laut der Nachrichtenagentur „Middle East Eye“. Auch Füchse und Schakale näherten sich ohne Angst menschlichen Ansiedlungen.
Atrasch sieht in der Pandemie für die Umwelt ein „Glück im Unglück“, da sie viele Menschen zu einem anderen Umgang mit der Natur zwinge. Jedes Jahr im Frühling begäben sich viele Palästinenser in die Natur, um wilde Pflanzen oder Vogeleier zu sammeln, Tiere zu jagen und Singvögel zu fangen. Dieses Jahr ist dies aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht möglich. Laut einem Vertreter der palästinensischen Umweltbehörde, Said Aiman Abudahir, sei die Wilderei daher deutlich zurückgegangen.
Atrasch hofft nun, dass sich die Quarantäne-Regelungen auch positiv auf den Bestand der bedrohten Berggazellen auswirken. Während im Jahr 2000 noch etwa 1.500 dieser Tiere im Westjordanland lebten, seien es derzeit laut Schätzungen nur noch zwischen 300 und 350.
Von: dn