In den meisten Fällen hätten solche nicht-staatlichen Akteure ihre eigenen Ideologien und setzten das internationale Recht außer Kraft. Sie nutzten Zivilisten als menschliche Schutzschilde, indem sie ihre Kämpfer in bewohnte Gegenden schickten und in der Nähe von zivilen und öffentlichen Gebäuden wie Schulen oder Moscheen agierten. Diese Taktik sei jedoch nicht neu, schreibt Cordesman. Sie werde auch bei den Kämpfen im Irak und Afghanistan eingesetzt. Allerdings habe sie in einer so dicht besiedelten Stadt wie Gaza besondere Auswirkungen.
„Keiner kann die Wichtigkeit des Völkerrechts unbeachtet lassen, aber es gibt einen Grund, weshalb Prozesse vor Gericht verhandelt werden und nicht in den Medien oder durch Analysten, ohne eine Ausbildung im komplexen Kriegsrecht“, heißt es in der Analyse, die Anfang Februar auf der Internetseite des „Zentrums für internationale und strategische Studien“ (CSIS) in Washington veröffentlicht wurde.
Lehren aus Libanon-Krieg
Laut Cordesman habe die israelische Armee ihre Kriegsführung verglichen mit den Kämpfen im Zweiten Libanonkrieg im Jahr 2006 deutlich verbessert und das richtige Vorgehen gegen eine Guerilla erlernt. So habe die Armee lange vor dem Einsatz mit Hilfe von Spähflugzeugen und Spionen eine Liste mit detaillierten Angaben zu über 600 Hamas-Zielen erstellt. Zu den taktischen Veränderungen gehörte die Verlegung der Bodenoperationen in die Nacht. Mit ihrer hochmodernen Ausrüstung waren die israelischen Einheiten den Hamas-Kämpfern, die nicht über Nachtsichtgeräte verfügten, somit weit überlegen. Um Sprengfallen und Hinterhalte zu umgehen, hätten die Truppen zudem ungewöhnliche Anmarschwege gewählt. Infolgedessen habe die Armee Verluste von „nur“ zehn Gefallenen hinnehmen müssen. Auch die Materialverluste seien gering. So waren die Merkava-Panzer nach dem Libanonkrieg mit zusätzlichen Bodenplatten ausgestattet worden und es konnte nur der vorne liegende Motorraum beschädigt werden. Auch die Luftwaffe habe keine Maschine verloren, heißt es.
Kollateralschaden sollte begrenzt werden
Die israelische Armee habe sich systematisch bemüht, den Kollateralschaden zu begrenzen. So habe sie unter anderem detaillierte Angriffspläne entwickelt, um heikle Gegenden und Ziele zu identifizieren. Bei den Angriffen habe sie die jeweils kleinstmögliche Waffe benutzt und GPS-Technologie zur Navigation und Positionsbestimmung eingesetzt. Vor Beginn des Einsatzes habe die Armee zudem Hunderttausende Flugblätter über dem Gazastreifen abgeworfen und die Bevölkerung darin gewarnt. Auch durch Nachrichten auf ihren Telefonen seien die Bewohner von den bevorstehenden Angriffen in Kenntnis gesetzt worden. Selbst Familienangehörige von Hamas-Vertretern seien gewarnt worden.
Kaum Beweise für absichtliche Angriffe auf Zivilisten
So sorgsam die Planungen auch seien, einige Ziele würden immer verfehlt, heißt es in der Studie weiter. Untersuchungen in den USA hätten ergeben, dass überall zwischen fünf und zehn Prozent der Präzisionswaffen in einer dicht besiedelten Gegend ihr Ziel trotz bester Bemühungen nicht treffen. Fotos auf der Internetseite der israelischen Armee zeigten, dass sich viele Hamas-Ziele eingebettet in dicht bewohnte Gegenden und mitten unter Gebäuden der Zivilbevölkerung befanden. Damit sei es unmöglich gewesen, Kollateralschaden zu verhindern. Es gebe jedoch kaum Beweise dafür, dass die Armee absichtlich zivile Ziele angegriffen habe oder, dass die Luftwaffe das internationale Recht absichtlich verletzt habe. Vielmehr habe die Armee klar zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden. „Einen Monat nach dem Ende des Krieges ist der einzige maßgebliche Vorfall, der sich bislang herausgestellt hat, der mögliche Missbrauch von 20 Phosphorgranaten in Beit Lahija im nördlichen Gazastreifen. (Weitere 180 Phosphorgranaten wurden abgefeuert, aber außerhalb von bewohnten Gegenden und auf Obstplantagen, wo die Benutzung solcher Granaten absolut legal war)“, heißt es weiter. Laut Cordesman gebe es keine Beweise dafür, dass Israel mehr Fehler gemacht habe, als die NATO im Kosovo oder die USA und ihre Verbündeten im Irak und in Afghanistan. Israel habe Recht, wenn es von der Hamas fordere, Verantwortung für das zu übernehmen, was passiert sei.
Keine Schwächung der Hamas
In seiner Studie kommt Cordesman zu dem Ergebnis, dass die israelische Armee den Einrichtungen der Hamas großen Schaden zugefügt habe. Allerdings seien die Kampfeinheiten der radikal-islamischen Organisation weitestgehend intakt. Laut Armeeangaben sei es der Hamas zudem gelungen, einen großen Teil ihrer Waffen und Munition zu verstecken. Dennoch habe sie auch hier großen Schaden einstecken müssen. So wird davon ausgegangen, dass die Hamas vor der Operation „Gegossenes Blei“ im Besitz von etwa 3.000 Raketen war. Während des Einsatzes habe die israelische Armee etwa 1.200 von ihnen zerstört. 600 weitere seien von Palästinensern in dieser Zeit auf Israel abgefeuert worden. Somit verblieben für die Hamas nach dem Waffenstillstand weitere 1.200 Raketen. Bislang gebe es kaum Hinweise dafür, dass die Hamas nach der israelischen Militäroperation an Popularität verloren habe oder dass ihre Macht im Gazastreifen zurückgegangen sei.
Strategisches Dilemma
Nach Ende der Kampfhandlungen verkündeten beide Seiten aus verschiedenen Gründen einen Sieg, heißt es weiter. Cordesman spricht in seiner Studie daher von einem „strategischen Dilemma“. „Israel hat sich nicht entschlossen zu kämpfen, um die Hamas zu zerstören oder zu ersetzen, oder um den Gazastreifen zu kontrollieren und eine Präsenz zu errichten, um seine Grenzen zu sichern. Es kämpfte für einen Waffenstillstand und eine politische Lösung, um abzuschrecken und verbesserte Sicherheit herzustellen. Dies konnte nur erreicht werden, indem der Krieg verlängert wurde, bis eine solche Lösung in Reichweite war – wenn sie überhaupt erreicht werden konnte“, schreibt der Militärexperte. Die Hamas habe allein durch ihr Überleben eine Art von Sieg vermelden können. Wenn sie eine Waffenruhe annehme und dem verstärkten Einfluss Ägyptens oder anderer internationaler Mächte in ihrem Gebiet zustimmte, würde sie vermutlich einen politischen Rückschlag sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland erleiden.
Hilfsleistungen trotz Krieg
Der Autor weist in seinem Bericht darauf hin, dass kein Staat dazu verpflichtet sei, in Kriegszeiten humanitäre Hilfe für seinen Feind zu leisten. Dennoch habe Israel während des Krieges insgesamt über 37.000 Tonnen an Hilfsgütern in den Gazastreifen gelassen. Allerdings sei anzumerken, dass Israel langsam auf den humanitären Einfluss des Krieges reagiert habe und es oftmals versäumt habe, seine Aktionen effektiv publik zu machen.
Seine Angaben stützt Cordesman hauptsächlich auf Berichte der israelischen Armee und auf Gespräche mit hochrangigen israelischen Militärangehörigen. Die Hamas habe zu den Kämpfen aus ihrer Sicht keine Angaben gemacht „außer ideologische Aussagen und Propaganda“, heißt es in der Studie.
Die Analyse enthält unter anderem detaillierte Beschreibungen der Tagesabläufe der Luftwaffe und eine ausführliche Karte vom Gazastreifen. Die vollständige Studie in englischer Sprache finden Sie im Internet unter www.csis.org.