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Steinmeier: Dankbar für Beitrag zur Versöhnung mit Juden

Beim Festakt zu ihrem 40-jährigen Bestehen würdigt Bundespräsident Steinmeier die Hochschule für Jüdische Studien als Symbol der Versöhnung. Ohne Unterstützung aus Israel indes wäre ihre Gründung in Heidelberg nicht möglich gewesen.
Vor der Hochschule: (v.l.) Rektor Johannes Heil, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, Zentralratspräsident Josef Schuster, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Kuratoriumsvorsitzende Barbara Traub

HEIDELBERG (inn) – Als vor 40 Jahren die Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) in Heidelberg gegründet wurde, lebten in der damaligen Bundesrepublik etwa 25.000 Juden. Die Gemeinden taten sich zunehmend schwer, qualifiziertes Personal zu finden. Deshalb musste die neue Ausbildungsstätte am Anfang oft auf Gastprofessoren aus Jerusalem zurückgreifen. Auch einige der ersten Rektoren waren Israelis. Mittlerweile stammen die Dozenten zum größten Teil aus Deutschland, doch die Zusammenarbeit mit der Hebräischen Universität Jerusalem dauert an. Am Montagabend hat die HfJS mit rund 600 Gästen ihr Jubiläum gefeiert.

Steinmeier: „Ein Versprechen auf Zukunft“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte beim Festakt in der Neuen Universität: „1979 war die Gründung einer Hochschule für Jüdische Studien – ausgerechnet in Deutschland – ein Neuanfang, den sich sicher die meisten nach dem Zivilisationsbruch der Scho’ah nicht hatten vorstellen können. Diese Hochschule ist ein Symbol der Versöhnung, und sie ist vor allen Dingen ein Versprechen auf Zukunft.“ Sie habe dazu beigetragen, dass „jüdisches Leben in Deutschland wieder aufblühen konnte“.

Steinmeier verwies auf das Wachstum der jüdischen Gemeinden in den vergangenen Jahren: „Es werden wieder Rabbiner ausgebildet und ordiniert. Und jedes Jahr zieht es Tausende junger Israelis nach Deutschland, sie studieren hier, gründen Start-ups, Bars oder Restaurants, sie geben Konzerte oder spielen Theater.“ Er empfinde tiefe Dankbarkeit dafür, „dass wir uns über den Abgrund der Geschichte hinweg die Hand reichen durften und weiter dürfen zur Versöhnung“.

Der Präsident nahm auch Bezug auf den Leitspruch der Hochschule aus Josua 1,8: „Sinne darüber Tag und Nacht“. Ohne Nachdenken, ohne Wissen übereinander, ohne Verständnis für den anderen könne ein Dialog nicht gelingen. Liberale Demokratien seien einerseits durch Religionsfreiheit gekennzeichnet. Andererseits zeichne sie aber auch aus, „dass sich Religionsgemeinschaften selbst befragen – sich kritisch befragen lassen, durch den Anderen, den Andersgläubigen und auch den Nichtgläubigen“. Das gelinge an der HfJS in vorbildlicher Weise. Doch es gebe auch Grenzen des Dialogs, wenn Hass und Gewalt ins Spiel kämen. Dann sei Gegenwehr und Zivilcourage gefordert.

Steinmeier lobt den Beitrag der Hochschule für Jüdische Studien zum Dialog – der allerdings auch Grenzen habe Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
Steinmeier lobt den Beitrag der Hochschule für Jüdische Studien zum Dialog – der allerdings auch Grenzen habe

Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete die Hochschule als „Perle“ in der deutschen Hochschullandschaft. Als Besonderheit nannte sie die Professur für Jüdische Kunst, die von Anfang an bestand. „Oder die von Land geförderte Ben Gurion Gastprofessur für Israel- und Nahoststudien.“ Die Ministerin wies darauf hin, dass der Namensgeber der Universität Heidelberg, Ruprecht der Erste, die jüdischen Bürger und ihre Gemeinde enteignet hatte, um Raum für eine Universität zu schaffen. „Die ersten Vorlesungen fanden im ehemaligen Betsaal der jüdischen Gemeinde statt.“ Schön sei, dass heute die HfJS in der Universität ihr Jubiläum feiere.

Schuster: Ein besonderes Jahr

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wies auf die besondere Bedeutung des Jahres 1979 hin: „Erstmals fand der Eurovision Song Contest in Israel statt und das Gastgeberland gewann.“ Zum Wort des Jahres sei damals – offenbar wegen der gleichnamigen Fernsehserie – der Begriff „Holocaust“ gewählt worden. „Und schließlich wurde hier in Heidelberg die Hochschule für Jüdische Studien gegründet.“

Schuster sieht 40 Jahre später Parallelen: Israel sei wieder Gastgeber der Eurovision gewesen und als solcher weiter umstritten, habe aber „eine grandiose Party hingelegt“. Die Fernsehserie sei wiederholt worden – „und es wurde deutlich, dass es immer noch Aufklärungsbedarf gibt“. Die Heidelberger Hochschule wiederum sei ein fester Bestandteil des jüdischen Geisteslebens geworden, der nicht mehr wegzudenken sei.

Angesichts einer Zunahme von antisemitischen Vorfällen sei der Staat bei der Bekämpfung von Judenhass in der Pflicht, ergänzte der Zentralratspräsident. Bei der Ausbildung in Strafverfolgungsbehörden müsse sich etwas ändern. „Das gleiche gilt für die Lehreraus- und -fortbildung. Auch hier müssen Schulungen zum Thema Antisemitismus, Rassismus und Israel verstärkt stattfinden.“ Und das nicht nur für Geschichts- oder Religionslehrer.

Historiker: Jüdische Studien erst nach Judenvernichtung anerkannt

Den wissenschaftlichen Festvortrag hielt der Münchener Historiker Michael Brenner. Er ist dankbar, dass er sich 1983 an der Hochschule einschreiben konnte: „Damals erhielt ich eine noch zweistellige Immatrikulationsnummer, die Zahl der Studierenden war kaum größer als die der Dozenten, und es herrschte eine allgemeine Aufbruchstimmung in der kleinen Hochschule in der Friedrichstraße und ihrer koscheren Mensa in der Theaterstraße, in der uns der aus Lodz stammende ehemalige Boxer Ignatz mit traditionell üppigen osteuropäischen Gerichten bekochte.“ Derzeit hat die Hochschule etwa 130 Studenten. Doch sie habe sich „einen Hauch jener Intimität bewahrt, die sie weiterhin wohltuend von den Großuniversitäten unterscheidet“.

Im Vortrag ging es allerdings um „Wissenschaft des Judentums als Beruf“. Denn unter diesem Begriff wurden die Jüdischen Studien als akademisch ambitionierte Disziplin vor 200 Jahren gegründet. Und so führte Brenner aus, wie Pioniere im 19. Jahrhundert versuchten, „den Jüdischen Studien einen Platz an einer deutschen Universität zu eröffnen“. 1848 lehnte die philosophische Fakultät der Berliner Universität einen Antrag von Leopold Zunz ab, einen Lehrstuhl für „jüdische Geschichte und Literatur der Juden aus dem Zeitraum der letzten zweitausend Jahre“ einzurichten. Die Begründung der zuständigen Kommission: Eine solche Professur wäre „eine Bevorzugung der Juden, ein Missbrauch der Universität“. Denn es gebe auch keine besonderen Professuren für preußische oder deutsche Geschichte.

Nach dem Ersten Weltkrieg versuchten die Gelehrten Hermann Cohen und Martin Buber, die Wissenschaft des Judentums an deutschen Universitäten unterzubringen. Doch sobald sie zu Professoren berufen wurden, „musste das Jüdische aus ihrem offiziellen akademischen Leben verschwinden“, stellte der Historiker fest. Für ihn gehört es zu den bitteren Ironien der Geschichte, „dass es erst nach der weitgehenden Vernichtung des deutschen Judentums zur Errichtung von Instituten und Lehrstühlen für das Studium der Judaistik und Jüdischen Studien in Deutschland kam“.

Hat an der HfJS studiert: Michael Brenner Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
Hat an der HfJS studiert: Michael Brenner

Obwohl es heute in diesem Bereich eine vielfältige Landschaft gebe, „kann man nicht übersehen, dass sich im geistigen wie im politischen Bereich das deutsche Judentum auch nach über sieben Jahrzehnten nicht von der Katastrophe des vorigen Jahrhunderts erholt hat“, ergänzte der Festredner. Eine von vielen Herausforderungen sei es, eine neue geistige Führungsschicht unter deutschen Juden hervorzubringen, die auch an der politischen Gestaltung der Gesellschaft teilhabe – also Menschen wie Cohen oder Buber, die vor 100 Jahren neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch direkten Einfluss auf Politiker in der bayerischen Räterepublik nahmen: den bis heute einzigen jüdischen Ministerpräsidenten in Deutschland, Kurt Eisner, und dessen Mitstreiter Gustav Landauer.

Von Anfang an für nichtjüdische Studenten offen

Der Rektor der HfJS, Johannes Heil, betonte, dass die Hochschule keine Neuauflage der Einrichtungen der Wissenschaft des Judentums in Breslau oder Berlin sei. Er hoffe, dass das Institut 2029 noch vernetzter, selbständiger, relevanter und kompetenter sein werde.

An der Hochschule für Jüdische Studien waren von Anfang an auch nichtjüdische Studenten eingeschrieben. Das Lehrangebot reicht von Jüdischer Bibelauslegung und Talmud über Literatur und Sprachwissenschaft bis hin zu Philosophie und Jüdischer Museologie. Absolventen der Hochschule arbeiten unter anderem als jüdische Religionslehrer, Rabbiner, Mitarbeiter in Museen, Journalisten und Professoren.

Vor dem Eingang zur Neuen Universität hängen die Einladungen zu den beiden Jubiläen Foto: Israelnetz/Elisabeth Hausen
Vor dem Eingang zur Neuen Universität hängen die Einladungen zu den beiden Jubiläen

Mit dem Thema „200 Jahre Wissenschaft des Judentums“ befasst sich eine Konferenz, die noch bis Mittwoch in Heidelberg stattfindet. Veranstalter ist die Hochschule für Jüdische Studien. Sie sieht sich in der Nachfolge der einstigen wissenschaftlichen Pioniere.

Von: Elisabeth Hausen

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