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Solarfelder für Palästinenser

In den vergangenen Wochen haben deutsche Medien das Vorgehen Israels gegen Beduinen im Westjordanland thematisiert, denen die deutsche Bundesregierung im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojekts mit Solaranlagen zu Strom verholfen hat. Nach Medienangaben kamen israelische Soldaten mit Bulldozern mitten in der Nacht zum Beduinendorf Ta´aleh südlich von Hebron und zerrten Familien mit Kindern aus Höhlen und Wellblechhütten. Schafe starben unter den Trümmern. Die Solaranlagen wurden vorerst nicht angerührt. [1]

Aus Sicht der israelischen Behörden steht das Gewohnheitsrecht der Beduinen, die auf "herrenlosem" Land ihre Ziegen und Schafe weiden, im Konflikt mit modernen Staatsgesetzen. Für jede Bautätigkeit ist eine Baugenehmigung erforderlich, auch in dem von Israel verwalteten C-Gebiet im besetzten Westjordanland. Die Hütten der Nomaden gelten als "nicht anerkannte Dörfer", weshalb der Staat ihnen laut Gesetz Infrastruktur verweigert, darunter Straßen, Wasserleitungen oder Stromanschluss.

Die israelische Regierung ist seit über 40 Jahren bemüht, die in der Negev-Wüste und in Galiläa umherziehenden Beduinen sesshaft zu machen, etwa in der 1972 gegründeten Stadt Rahat in Israel, heute mit über 50.000 Einwohnern. Nur so kann den Beduinen Schulerziehung, Gesundheitswesen, moderne Infrastruktur, Arbeitsplätze und Anschluss an die moderne Gesellschaft garantiert werden.

Hinzu kommt das Bedürfnis des Staates, das von den Beduinen genutzte Land für den Bau von Industriezentren oder Naturparks zu nutzen. Den Beduinen werden Entschädigung und finanzielle Anreize angeboten, wenn sie in die speziell für sie konzipierten Städte mit Schulen, Moscheen, Kliniken und Marktplätzen ziehen. Von 191.000 Beduinen im Negev leben etwa 71.000 in "nicht anerkannten Ortschaften". Die jetzige Regierung hat etwa 1,5 Milliarden Euro für das Umsiedlungsprojekt der Beduinen in der Negev-Wüste festgelegt.

Deutsche Investitionen im C-Gebiet

Vor etwa drei Jahren initiierten zwei israelische Aktivisten ein Projekt, jene Beduinen mit alternativem Strom auszustatten. Ein Fonds des ehemaligen Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier habe 8.000 Euro Startgeld gezahlt. Insgesamt investierte die Bundesrepublik nach Angaben des Auswärtigen Amtes etwa 200.000 Euro in die Errichtung von Windrädern und Solarplatten zur Stromerzeugung. Mit der Ausführung des Projekts betraute die Bundesregierung die Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) "Medico". Als weitere Förderer und Sponsoren wurden die "Rabbiner für Frieden", eine Schweizer Organisation zum Verkauf palästinensischen Olivenöls und andere genannt.

Nach deutschen Medienberichten habe die israelische Zivilverwaltung im Westjordanland schon vor drei Jahren einen Baustopp für die Solaranlagen verfügt und angeboten, das Projekt von einer Kommission prüfen und "auch im Nachhinein" genehmigen zu lassen. Doch nach israelischen Angaben erschien niemand zur Anhörung.

Im Januar 2012 folgte ein Baustopp-Erlass und ein Abrissbefehl wegen illegaler Bautätigkeit. Weil auch diese Verordnungen ohne Reaktion blieben, führten im Februar 2012 israelische Soldaten mit Bulldozern die Abrissbefehle aus. Zeitgleich wandten sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle und Entwicklungsminister Dirk Niebel bei Besuchen in Israel mit der Forderung an Premierminister Benjamin Netanjahu, dieses deutsche Entwicklungsprojekt unangerührt zu lassen.

Stellungnahme aus Israel

Der Sprecher der israelischen Zivilverwaltung in dem besetzten C-Gebiet (COGAT) erklärte in einer schriftlichen Pressemitteilung, dass auch "ausländische Regierungen nicht immun" seien und sich an geltende Gesetze halten müssten. Mündlich fügte der Sprecher hinzu, dass die Errichtung eines von Deutschland teilweise finanzierten israelisch-palästinensischen Industrieparks nördlich von Dschenin sowie andere Projekte im Einvernehmen geplant und ausgeführt würden.

Infolge der Anfragen deutscher Minister werde "zur Zeit in einem relevanten Unterausschuss über die Solaranlagen für die Beduinen südlich von Hebron beraten", hieß es weiter in der offiziellen Erklärung. Weil noch Gespräche laufen, hätten die Soldaten zwar die illegal errichteten Hütten der Beduinen zerstört und deren Zisternen versiegelt, aber die Solarplatten nicht angerührt.

Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums erklärte auf Anfrage, dass von 78 beantragten Lizenzen in Gebieten ohne Bauplan im Westjordanland 74 genehmigt worden seien. Es handle sich um Straßen, Schulen und andere Einrichtungen, die von der internationalen Gemeinschaft zum Wohle der dort lebenden palästinensischen Bevölkerung und mit dem ausdrücklichen Segen Israels errichtet worden seien. Im Falle des von Deutschland mit 200.000 Euro finanzierten Projekts der Solarplatten habe es entsprechend der geltenden Gesetze richterliche Baustoppverfügungen gegeben, weil sie ohne Genehmigung aufgestellt worden seien. Doch zu den Anhörungen sei kein Vertreter der verantwortlich zeichnenden Organisation Medico erschienen, um eine nachträgliche Legitimierung des Solarprojekts zu erhalten, wie in vielen anderen Fällen. Nach Angaben des Sprechers werde deshalb dem Richter wohl keine Wahl bleiben, als einen Abrissbefehl zu unterzeichnen. "Niemand kann den Staat Israel zwingen, seine eigenen Gesetze zu brechen oder richterliche Urteile zu ignorieren", sagte der Sprecher.

Stellungnahme aus Deutschland

Die deutsche Botschaft in Tel Aviv verwies "wegen der komplexen Materie" an das Auswärtige Amt in Berlin. Dort lag folgende schriftliche Erklärung vor: "Die Bundesregierung sieht die bestehenden Einstellungsverfügungen ("stop work order") gegenüber mit deutschen Geldern finanzierten Anlagen regenerativer Energien mit großer Sorge. Sie steht dazu in engem Kontakt mit der israelischen Regierung, um eine Lösung zu finden. Die Projekte waren ebenso wie die Lage in den C-Gebieten insgesamt Thema der Gespräche des Bundesaußenministers anlässlich seiner jüngsten Nahost-Reise nach Israel und in die Palästinensischen Gebiete."

Auf die Frage, wieso jetzt eine "Lösung" gesucht werde, obgleich normalerweise Entwicklungsprojekte vor Baubeginn genehmigt werden, sagte ein Diplomat, dass die Bundesregierung sich an das Völkerrecht und an humanitäre Menschenrechte gebunden fühle. Als Besatzer trage Israel die Verantwortung für die Wohlfahrt der unter seiner Kontrolle lebenden Beduinen. Dazu gehöre auch die Pflicht, sie mit Infrastruktur auszustatten, darunter die Stromversorgung. Weil Israel das nicht tue, sehe sich die Bundesrepublik wegen internationaler Konventionen verpflichtet und berechtigt, die Beduinen mit alternativem Strom zu versorgen. "Sie wissen doch, dass die Israelis in den besetzten Gebieten Baugenehmigungen bis zum Nimmerleinstag verschieben oder verweigern", sagte der deutsche Beamte. Weiter erklärte er, dass in dem offiziell, laut Osloer Verträge, von Israel kontrollierten C-Gebieten auch jordanisches und palästinensisches Recht gelte. Der israelische COGAT-Sprecher dementierte das. Allein Israel übe laut Osloer Verträge in diesen Gebieten das Verwaltungsrecht aus.

Weil die Initiative zu dem Projekt von der NGO Medico ausgegangen sei, und nicht von der Bundesregierung, empfahl der Sprecher des Auswärtigen Amtes, dort die Rechtslage zu klären.

Luke McBain von Medico in Jerusalem erklärte, dass im C-Gebiet grundsätzlich keine Baugenehmigungen erteilt würden, solange kein "Masterplan" für die in der Wüste verteilten Siedlungen der Beduinen geschaffen worden sei.

Den Beduinen, die dort in Höhlen und Wellblechhütten leben, sei nicht zuzumuten, jahrelang auf einen Masterplan zu warten, um an das Stromnetz angeschlossen zu werden. McBain erwähnte Menschenrechte und humanitäre Bedürfnisse. Der Staat Israel trage die Verantwortung, diese Palästinenser mit Strom zu versorgen. Medico habe den Beduinen eine Hilfeleistung angeboten und die Bundesregierung als "Partner" gefunden.

Das Vorgehen der Bundesrepublik entspricht einem im Januar bekannt gewordenen Geheimpapier der EU, wonach auch ohne Rücksicht und Rücksprache mit den Behörden die Lebensverhältnisse der Palästinenser in den von Israel verwalteten C-Gebieten im Westjordanland verbessert werden sollten.

Die Zahl der Palästinenser in diesem Gebiet ist laut UNO unbekannt, beläuft sich laut israelischen Angaben auf 48.000 Menschen, laut palästinensischen Angaben auf 60.000 und gemäß deutschen Medienangaben auf 150.000.

Völkerrechtlicher Hintergrund

Das Westjordanland war bis 1948 Teil des britischen Mandatsgebiets Palästina, wo die Briten am 24. Juli 1922 vom Völkerbund das Mandat "zugunsten der Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina" erhielten. 1948 zogen die Briten ab, ohne die Schlüssel zu übergeben. Unter Berufung auf den UNO-Teilungsplan von 1947 riefen die Juden am 15. Mai 1948 den Staat Israel aus, woraufhin die arabischen Staaten, darunter der Irak, Ägypten, Syrien und Jordanien, den gerade gegründeten Staat angriffen.

Während Ägypten den Gazastreifen besetzt hielt (weshalb die Bewohner des Gazastreifens bis zur Einrichtung der Palästinensischen Autonomiebehörde 1954 staatenlos blieben), annektierte Jordanien das Westjordanland und Ostjerusalem inklusive der Jerusalemer Altstadt. Außer von Pakistan und Großbritannien wurde die jordanische Annexion von keinem Staat der Welt anerkannt. Im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte Israel diese Gebiete.

Der Gazastreifen und das Westjordanland werden bis zur Erreichung eines Friedensabkommens mit den Palästinensern von Israel als "militärisch besetztes Gebiet" betrachtet, während Israel auf das erweiterte Jerusalem 1967 seine Staatsgesetze ausweitete, also annektierte. 1988, während der palästinensischen Intifada, verzichte Jordanien auf seine Ansprüche im Westjordanland zugunsten der Palästinenser.

Im Rahmen der Osloer Verträge von 1993 wurden die besetzten Gebiete in drei Zonen unterteilt: A-Zonen (unter alleiniger palästinensischer Sicherheitskontrolle und Zivilverwaltung), B-Zonen (palästinensische Zivilverwaltung, aber israelische Sicherheitskontrolle) und C-Zonen (alleinige israelische Sicherheitskontrolle und Zivilverwaltung).

Lösung

Der internationale Nahost-Friedensplan (Roadmap) sieht die Schaffung eines unabhängigen Staates Palästina durch Verhandlungen vor. Dieser künftige Friedensvertrag, der nach Auffassung der israelischen Regierung und des Nahostquartetts nur durch direkte Verhandlungen "ohne Vorbedingungen" erreicht werden kann, könnte nach Ansicht vieler Beobachter das heutige komplexe Geflecht von Verantwortlichkeiten im Westjordanland ersetzen und das Konfliktpotenzial zwischen Israelis und Palästinensern in diesen Gebieten reduzieren.

Quellen:

[1] Bulldozer gegen Hütten, taz, Feb 23, 2012
http://www.taz.de/Solaranlagen-im-Westjordanland/!88315/

Brisante Solarzellen, Tagesspiegel, Feb 21, 2012
http://www.tagesspiegel.de/politik/brisante-solarzellen/6232846.html

Israel dreht Palästinensern den Solarstrom ab, Spiegel, Feb 16, 2012
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,814884,00.html

Streit um Solaranlagen im Westjordanland, vimeo
Tagesschau der ARD: http://vimeo.com/37239327

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