Derzeit leben noch rund 189.000 Menschen in Israel, die der Vernichtung durch die Nationalsozialisten entronnen sind. Zwei Drittel von ihnen sind Frauen. 40 Prozent sind älter als 86. Dies hat die Stiftung für das Wohl der Scho‘ah-Überlebenden in Israel mitgeteilt. Am Donnerstag begeht der jüdische Staat den Gedenktag für den Holocaust und das Heldentum, Jom HaScho‘ah.
Dem Bericht der Stiftung zufolge sterben in Israel täglich 40 Überlebende, pro Monat sind es 1.200 und innerhalb eines Jahres 14.200. Für das Jahr 2018 ist damit zu rechnen, dass noch 118.000 Scho‘ah-Opfer im jüdischen Staat leben werden.
Von den Überlebenden befinden sich ungefähr 45.000 unterhalb der Armutsgrenze, haben also monatlich weniger als umgerechnet 700 Euro Einkommen. Bei der Stiftung gingen im vergangenen Jahr 60.398 Einträge auf Unterstützung ein. Insgesamt wurden 194.000 Gesuche bearbeitet. Wegen ihrer wirtschaftlichen Lage haben 25 Prozent der Opfer auf medizinische Versorgung verzichtet, 2013 betrug der Anteil noch 17 Prozent. Die Quote derjenigen, die sich wegen ihrer finanziellen Not bei der Nahrung einschränkten, erhöhte sich von 19 auf 30 Prozent.
Das Durchschnittsalter der Überlebenden gibt die Stiftung mit 83,3 Jahren an. Ein Drittel lebt allein. Gesundheitliche Probleme haben 73 Prozent. Zudem benötigen 65 Prozent Hilfe bei Verrichtungen des täglichen Lebens wie dem Einkauf. 45 Prozent fühlen sich oft oder zuweilen einsam. Mindestens einmal in der Woche erhalten 60 Prozent Besuch von Verwandten. Dass alte Menschen, die nicht vom Holocaust betroffen sind, die gleiche Hilfe vom Staat erhalten sollten wie sie selbst, meinen 49 Prozent der Opfer.
Erstmals hat die Stiftung auch Israelis aus der zweiten und dritten Generation befragt. Von ihnen unterstützen 43 Prozent ihre Angehörigen finanziell, weitere 13 Prozent haben dies früher getan. Dass die Scho‘ah einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität darstellt, sagten 64 Prozent. Ferner führen 30 Prozent seelische oder gesundheitliche Probleme auf die furchtbaren Erlebnisse ihrer Angehörigen zurück. Was ihre Familienmitglieder im Holocaust durchgemacht haben, wissen rund 90 Prozent der Nachkommen.
„Aus der Katastrophe zur Verteidigung Israels“
Derweil beteiligten sich zahlreiche israelische Soldaten am Montag an dem traditionellen Projekt „Eine Blume für den Überlebenden“. Sie besuchten Überlebende der Judenvernichtung, brachten ihnen Blumen mit und ließen sich aus dem Leben der Opfer erzählen. Dies berichtet die Tageszeitung „Yediot Aharonot“.
Generalstabschef Gadi Eisenkot traf einen Auschwitz-Überlebenden aus Griechenland in Bat Jam. Dieser war in dem Vernichtungslager von seiner Familie getrennt worden, nur ein Onkel hatte überlebt. Der Militärchef überreichte seinem Gastgeber eine Auszeichnung für dessen Verdienste um die israelische Armee. Heute sind fünf seiner Enkel beim Militär aktiv.
Das Forum des Generalstabs veranstaltete am Sonntag überdies eine Zeremonie in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem. Eisenkot sagte laut der Tageszeitung „Ma‘ariv“: „Hier, in der Halle der Namen, erzählen die Bilder, die uns umgeben, mit ihrem Schweigen vom Leben, das gefällt wurde, von Familien, Freunden und kleinen Kindern. Ihre Erinnerung kann niemand auslöschen. Wir Mitglieder des Generalstabs der Israelischem Verteidigungsstreitkräfte stehen heute hier, neigen unsere Häupter und gedenken der sechs Millionen Gefallenen. Sechs Millionen, deren einzige Sünde es war, dass sie Juden waren.“
Der Generalstabschef würdigte die Überlebenden, die sich nur wenige Jahre nach den grauenvollen Erlebnisse im Unabhängigkeitskrieg eingebracht hätten. „Aus der Katastrophe wanderten sie nach Eretz Israel ein, um für die Verteidigung des Staates zu kämpfen.“
Eisenkot zitierte auch aus 5. Mose 4,9: „Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst es deinen Kindern und Kindeskindern kundtun.“ Er sehe darin ein Testament, das zur Definition der Aufgabe des Sicherheitsapparates diene. „Wir, die Befehlshaber der israelischen Armee, deren Händen das Schicksal und die Zukunft des Staates Israel anbefohlen wurden, müssen in diesem Befehl ein Vorbild sehen.“
Altpräsident Schimon Peres sprach ebenfalls bei der Veranstaltung; „Der größte Widerspruch in der Geschichte des jüdischen Volkes liegt darin, dass es als friedliebendes Volk geboren wurde, das Opfer von mehr Kriegen wurde als jedes andere Volk.“ Der Grund liege darin, dass „das jüdische Volk nicht nur seine Existenz verteidigt, sondern auch seinen Geist“. Das ehemalige Staatsoberhaupt ergänzte: „Das jüdische Volk hat sein Land mit derselben Energie verteidigt wie seine Torah.“
Solidarität auf dem Friedhof
Drei Tage vor dem Gedenktag wurde in Holon eine 92-jährige Überlebende beigesetzt, die keinerlei Angehörige hatte. In Auschwitz war sie Opfer von Menschenversuchen geworden und konnte deshalb keine Kinder zur Welt bringen. Am Sonntag verstarb sie, ohne Nachkommen oder Familie zu hinterlassen.
Doch die Israelis ließen sie auf ihrem letzten Wege nicht allein. In den sozialen Netzwerken wurde ein Aufruf veröffentlicht, der Juden bat, für die Beerdigung einen Minjan zu bilden. Das hebräische Wort bezeichnet die Zahl von zehn religionsmündigen Juden, die notwendig ist, damit ein jüdischer Gottesdienst stattfinden kann. Doch nicht nur zehn, sondern Hunderte folgten dem Aufruf und kamen nach Holon, um das Scho‘ah-Opfer zur Grabstätte zu geleiten. (eh)