Am 25. September gab es am Brandenburger Tor in Berlin eine pro-palästinensische Kundgebung mit etwa 500 Teilnehmern. Es sei eine „folkloristische Tanz- und Musikveranstaltung für Palästina“, sagte der Veranstalter der Tageszeitung „Die Welt“. Arabische Sprechchöre seien zu hören gewesen: „Wir geben unsere Seelen und unser Blut für Palästina!“ Zwei palästinensische Rapper sollten auch auftreten, das wurde ihnen aber kurzfristig von der Berliner Innenverwaltung verboten.
Zwar liegt dieser Fall bereits einige Wochen zurück. Aber vor dem Hintergrund des Anschlags in Halle auf eine Synagoge gewinnt er neue Aktualität. Wie ernst meinen es deutsche Behörden und Politiker mit ihrer Solidarität mit Juden?
Denn: Am Rande der Kundgebung schauten einige Zaungäste dem Treiben zu. Unter ihnen Ruben Gerczikow, Vorstand der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier und zwei weitere Begleiter. Gerczikow hatte ein Pappschild dabei mit der Aufschrift „Kein Platz für Antisemitismus“, das schaute aus seinem Rucksack. Wie die „Welt“ weiter berichtete, verlangten Polizisten von Gerczikow, er müsse das Schild abgeben – oder gehen. Zudem seien an einer anderen Stelle am Rande der Kundgebung Demonstranten mit Israel-Fahnen von Polizisten weggeführt worden. Eine Einschränkung pro-israelischer Meinungsäußerungen, während israelfeindlicher Terror lautstark über den Pariser Platz schallen darf?
Überforderte Polizisten
Die Berliner Innenverwaltung weist dies zurück. Zu seiner eigenen Sicherheit sei Gerzcikow gebeten worden, zum Versammlungsort einer Israel-Unterstützungs-Demonstration am Holocaust-Mahnmal in der Nähe des Brandeburger Tors zu gehen. Grund dafür sei „eine hohe Emotionalisierung“ unter den pro-palästinensischen Demonstranten gewesen, teilte ein Sprecher der Innenverwaltung auf Anfrage von Israelnetz mit. Auch die Israelfahnenträger hätten Polizisten zum Versammlungsort der israelfreundlichen Demonstration begleitet. „Während dieser (Gegen)Versammlung wurden keine pro-israelischen Meinungsäußerungen unterbunden“, heißt es von der Berliner Behörde.
Wie haben es Augenzeugen erlebt? Israelnetz hat bei Engelmeier nachgefragt. Von 2013 bis 2017 gehörte sie dem Bundestag an und war Mitglied der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. Sie leitet das Hauptstadtbüro des deutsch-jüdischen Sportverbandes Makkabi. Die Stimmung bei der pro-palästinensischen Kundgebung sei aufgeheizt gewesen, berichtete sie auf Anfrage. Sie und ihre Begleiter hätten sich das Geschehen anschauen wollen. Zwei junge Polizisten seien auf die Gruppe zugekommen und hätten Gerczikow wegen seines Schildes einen Platzverweis erteilt. „Wir haben das Schild nicht gezeigt, es war in seinem Rucksack und schaute ein bisschen heraus. Mir ist es gar nicht aufgefallen.“
Daraufhin habe sich ein Wortgefecht mit den Polizisten entwickelt. „In diesem Land herrscht Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sie können uns keinen Platzverweis geben“, habe sie gesagt. Sie habe damit gedroht, den Innensenator, einen Parteifreund, wegen des Vorfalls zu kontaktieren. Schließlich hätten die Polizisten den Platzverweis zurückgenommen und darum gebeten, das Schild zu vernichten. Daraufhin habe es Gerczikow ihnen überlassen.
„Ich fand den Ton nicht angemessen“, sagte Engelmeier gegenüber Israelnetz. „Sie waren unfreundlich und haben patzig reagiert.“ Andere Polizisten seien lockerer gewesen. „Es war keine Schikane. Ich denke, sie wollten die Dinge regeln und waren mit der Situation überfordert.“ Falls es ihnen tatsächlich um die Sicherheit der Gruppe gegangen sei, hätte man es anders erklären können, ist sich Engelmeier sicher.
Mehr als Lippenbekenntnisse
Der Politikerin ist es wichtig, bei solchen Gelegenheiten wie der israelfeindlichen Demo „Gesicht zu zeigen“ und an der Seite der Juden zu stehen. „Es reicht nicht, immer nur etwas gegen Antisemitismus zu sagen und Lippenbekenntnisse abzulegen.“ Nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf die Synagoge in Halle vor zwei Wochen hatten zahlreiche Politiker ihre Solidarität mit Juden bekundet und Antisemitismus verurteilt.
Kritik daran übte unter anderem der ehemalige ARD-Nahostkorrespondent Richard C. Schneider: „Das ‚Wehret den Anfängen‘, das ‚Nie wieder!‘ ist längst zur Phrase geworden bei all den Gedenkveranstaltungen, die nur noch starres Staatsritual sind und nichts, aber auch gar nichts mit der gesellschaftlichen Realität zu tun haben. Die Gemeinplätze, die in solchen Reden von Politikern jeder Couleur abgelassen werden, stammen alle aus demselben Sprachbausteinkasten“, kritisierte er in einem Kommentar auf Zeit Online den Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit antisemitischen Vorfällen. Er geißelt darin den „Aktionismus der Politiker, die – man staune! – auf einmal zu begreifen scheinen, dass es ein Problem gibt mit dem Antisemitismus in Deutschland“, während Warnungen von jüdischer Seite vorher abgewiegelt worden seien.
Gericht: „Nie wieder Israel“ ist zulässig
Der jüdische Historiker Michael Wolffsohn erklärte: „Wir brauchen keine Mahnwachen. Versucht eine andere Gesellschaftspolitik, eine andere Sicherheitspolitik zu gestalten.“ Dabei gehe es nicht nur um den Kampf gegen Rechtsextremisten, sondern auch um linke und muslimische Extremisten, die eine Gefahr für Juden darstellten.
Indes hat das Oberverwaltungsgericht Münster am Montag entschieden, dass die Parole „Nie, nie, nie wieder Israel“ keine Volksverhetzung ist. Die Polizei in Dortmund wollte diese Parole bei einer Demonstration von Rechtsextremen verbieten. „Im Lichte des Terroranschlags vom 9. Oktober 2019 in Halle und mit Blick auf das aktuelle politische Klima“ sah sie darin „einen antisemitischen und einschüchternden Charakter“, heißt es in einer Mitteilung der Polizei. Das Gericht sah das anders: Mit dieser Aussage sei kein Straftatbestand erfüllt, urteilten die Richter, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet. Daher darf die Polizei diese Parole nicht verbieten.
Von: Jonathan Steinert