JERUSALEM (inn) – An der Jerusalemer Klagemauer wird es vorerst doch keinen Platz geben, an dem Männern und Frauen gemeinsam beten können. Einen entsprechenden Plan hat das Kabinett am Sonntag auf Eis gelegt. Die religiösen Parteien Schass und „Vereinigtes Torah-Judentum“ hatten Druck auf Premierminister Benjamin Netanjahu ausgeübt, das Anfang 2016 beschlossene Vorhaben fallenzulassen.
Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, Einwanderungsministerin Sofa Landver (beide Israel Beiteinu) und Energieminister Juval Steinitz (Likud) hatten dagegen gestimmt, den Bauplan für den „gemischten Bereich“ fallenzulassen. Lieberman erklärte, die Entscheidung schade den Beziehungen zwischen Israel und den Juden in der Diaspora, im Ausland.
Liberale jüdische Organisationen weltweit sowie die staatliche Einwanderer-Organisation Jewish Agency übten scharfe Kritik an der Regierung. Sie forderten diese auf, die Entscheidung zurückzunehmen. Der Vorsitzende der Jewish Agency, Natan Scharanski, war an der Entwicklung des Planes für die Einrichtung eines „gemischten Platzes“ an der Klagemauer maßgeblich beteiligt. Vor fünf Jahren habe ihn Premierminister Benjamin Netanjahu beauftragt, einen Vorschlag für „eine Mauer für ein Volk“ zu erarbeiten. Die Entscheidung vom Sonntag erschwere es, Israel und die jüdische Welt näherzubringen, sagte Scharanski. Seine Organisation werde jedoch weiter an dem Prinzip „eine Mauer für ein Volk“ arbeiten.
Gala-Dinner mit Netanjahu abgesagt
Die Jewish Agency verabschiedete am Montag eine Resolution. Darin fordert sie die Regierung auf, die Entscheidung rückgängig zu machen. Der Schritt widerspreche der Vision von Israels Gründungsvätern und dem Geist des Zionismus, erklärte die Einwanderer-Organisation. Es ist das erste Mal seit ihrer Gründung 1929, dass sie auf diesem Weg an die Regierung appelliert. Der Vorstand der Jewish Agency tagt derzeit in Jerusalem. Die Organisation teilte mit, die Maßnahme der Regierung „verändert unsere gesamte Agenda für die verbleibenden zwei Tage, um die Auswirkungen dieser Entscheidung anzugehen“. Ein Gala-Dinner mit Netanjahu sagte die Jewish Agency kurzfristig ab.
Der stellvertretende Vorsitzende der Jewish Agency, David Breakstone, sagte nach einer Krisensitzung gegenüber der Onlinezeitung „Times of Israel“: „Es geht in dieser Angelegenheit nicht nur um religiöse Strömungen. Es ist nicht nur eine Sache des amerikanischen Judentums und des Judentums in der Diaspora. Es gibt eine wachsende Zahl an Israelis, die sich der Bedeutung der ,Kotel‘ bewusst ist. Es geht nicht darum, wie viele Menschen dort auftauchen. Es geht um die symbolische Bedeutung der ,Kotel‘ für alle von uns.“ Darüber seien sich alle Anwesenden einig gewesen, sagte Breakstone. „Kotel“ ist der hebräische Name für die Klagemauer.
Der Präsident des „Jüdischen Verbands von Nordamerika“ (JFNA), Jerry Silverman, erklärte: „In einer Zeit, in der wir als jüdisches Volk, als Israelis und als Diaspora-Judentum zusammenkommen sollten, schafft diese Art von Nachrichten der Regierung vielmehr eine Spaltung als Einheit.“
An der Klagemauer dürfen Männer und Frauen nur getrennt beten. Liberale jüdische Strömungen, die Organisation „Frauen von der Klagemauer“ und die Jewish Agency setzen sich seit Jahrzehnten für die Einrichtung eines dritten Platzes ein. Dort sollen Frauen und Männer gemeinsam beten dürfen. Frauen soll es zudem erlaubt sein, einen Gebetsschal zu tragen und laut aus der Torah vorzulesen.
Von: dn