JERUSALEM / RAMALLAH (inn) – Im Kampf gegen das Coronavirus lehnen viele Ultra-Orthodoxe die Maßnahmen der Regierung ab. In Bnei Brak bei Tel Aviv kamen am Samstagabend rund 400 Menschen zur Beerdigung eines Rabbiners. Nach Angaben von Augenzeugen schritt die Polizei nicht ein. Der Verstorbene, Rabbi Zvi Schenkar, gehörte zu den religiösen Leitern, die sich gegen die Anweisungen der Behörden infolge der Corona-Krise stellten.
Sicherheitsminister Gilad Erdan sprach von einem Verstoß: „Ich fordere die Polizeikräfte auf, Maßnahmen der Regierung gleichermaßen in allen Sektoren der Gesellschaft umzusetzen, ohne Ausnahmen“, sagte er. Haredim machen 40 bis 60 Prozent der Corona-Patienten in den großen israelischen Krankenhäusern aus. Gesundheitsminister Ja’akov Litzman sprach sich dafür aus, notfalls ganze Städte oder Stadtteile unter Quarantäne zu stellen, in denen vorwiegend Haredim leben. Der Minister gehört selbst der ultra-orthodoxen Tradition an.
Als Reaktion auf die verbotene Massenveranstaltung setzte die Regierung den ebenfalls ultra-orthodoxen Innenminister Arje Deri als Koordinator ein. Er soll sich mit Bemühungen um eine Eindämmung der Epidemie in der Gesellschaft der Haredim befassen. Der ranghöchste Rabbiner der ultra-orthodoxen Welt, Chaim Kanievsky, reagierte ebenfalls. Er rief Juden auf, nicht mehr Gottesdienste mit mindestens zehn Teilnehmern abzuhalten, sondern zu Hause zu beten. Bei Verstößen sollten Juden an die Polizei übergeben werden, forderte er laut der Zeitung „Ha’aretz“.
Netanjahu-Beraterin infiziert
Indes hat sich die Zahl der Infizierten in Israel von Sonntagabend bis Montagmorgen um 100 auf 4.347 erhöht. Dies gab das Gesundheitsministerium bekannt. Demnach befinden sich 80 Patienten in einem kritischen Zustand, 63 werden beatmet. Bislang sind 16 Israelis an Folgen der Lungenkrankheit gestorben. Ein 82-Jähriger verstarb in Italien. 134 Infizierte sind wieder genesen. Wachsende Sorge bereitet Experten die möglicherweise nicht ausreichende Zahl an Beatmungsgeräten, wenn sich die Krankheit weiter ausbreitet.
Unter den Infizierten ist auch eine Mitarbeiterin von Benjamin Netanjahu, Rivka Paluch. Sie berät den Premierminister in Angelegenheiten von Ultra-Orthodoxen. Am Donnerstag trafen sich die beiden zu einem Gespräch, wie die Zeitung „Yediot Aharonot“ berichtet. Nach Paluchs Angaben hatten sie dabei keinen engen Kontakt. Netanjahu begibt sich in Quarantäne.
Schtaje beschuldigt Soldaten
Schwere Vorwürfe gegen israelische Soldaten erhob unterdessen der Premierminister der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mohammed Schtaje: Es gebe Berichte, nach denen Armeeangehörige absichtlich das Virus unter Palästinensern verbreiten wollten. Das geschehe über Türgriffe von Autos. Das größte Motiv sei dabei Rassismus. Im Westjordanland und im Gazastreifen sind mittlerweile mehr als 100 Fälle von Infektionen registriert. In Syrien wurde ein erstes Todesopfer gemeldet – eine am Coronavirus erkrankte Frau sei in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land gestorben.
Die Hamas im Gazastreifen wiederum enthob den Leiter des staatlichen Pressebüros, Salama Maruf, vorübergehend des Amtes. Er hatte Journalisten in ein Quarantänezentrum für infizierte Palästinenser gelassen. Dieses befindet sich in Rafah an der Grenze zu Ägypten. Ein Berichterstatter und ein Kameramann mussten sich vorsorglich in Quarantäne begeben. Eine Sonderkommission untersucht den Vorfall.
Weniger Verkehrstote
Eine positive Auswirkung haben die strengen Einschränkungen des Alltags infolge der Pandemie: Die Zahl der Verkehrstoten ist zurückgegangen. Starben im Februar noch 22 Menschen in Israel bei Unfällen, so waren es vom 1. bis 29. März 15. Im März 2019 gab es 25 Todesopfer, im Jahr zuvor 23. Seit Beginn dieses Jahres wurden 61 Tote gezählt, das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit 82 Opfern ein Rückgang um 26 Prozent. Die Zahl der tödlichen Unfälle sank um 24 Prozent von 75 auf 57.
Die Israelische Nationalbibliothek dokumentiert, wie sich die Corona-Krise weltweit auf Juden auswirkt. Dies solle Wissenschaftlern helfen, das tägliche Leben und soziale Trends zu verstehen, hieß es in einer Mitteilung. Die Bibliothek bat die Öffentlichkeit um Beiträge, etwa Mails zu Online-Gottesdiensten in Synagogen.
„Als die dynamische Einrichtung der nationalen Erinnerung für den Staat Israel und das jüdische Volk weltweit sehen wir es als natürliche Rolle für uns an, Materialien zu sammeln und aufzubewahren, die sich auf den Einfluss des Coronavirus auf jüdisches Leben und Alltagshandeln beziehen.“ Mit diesen Worten begründete der Kurator der Chaim-und-Hanna-Salomon-Judaicasammlung, Joel Finkelman, das Projekt.
Von: eh