JERUSALEM (inn) – Rabbi Schalom Cohen ist tot. Das geistliche Oberhaupt der ultra-orthodoxen Schass-Partei starb am Montagmorgen im Alter von 91 Jahren im Jerusalemer Hadassah-Krankenhaus. Unter Polizeischutz gaben am Nachmittag zehntausende Trauernde dem bekannten Rabbiner auf dem Weg zum Sanhedria-Friedhof nahe der Jerusalemer Altstadt ihr letztes Geleit. Dort wurde er neben seiner Frau und dem 2013 verstorbenen Rabbi Ovadja Josef beigesetzt.
Im April 2014 war Cohen zu dessen Nachfolger ernannt worden. Beide gehörten 1983 zu den Gründern der Schass-Partei. Als die Partei ein Jahr später unter Josef zu einer nationalen Bewegung wurde, wurde Cohen zum Präsidenten des Schass-Rates der Tora-Weisen ernannt.
Ein wichtiger geistlicher Leiter
Außerdem leitete er die Jeschiva „Porat Josef“, eine Talmudschule, die Ableger in der Jerusalemer Altstadt sowie im Stadtteil Ge’ula hat. Angaben der Familie zufolge war er im vergangenen Jahr des öfteren im Krankenhaus. In den vergangenen Wochen habe eine Infektion am Bein seine Lage verschlimmert. Dies schrieb die Onlinezeitung „Times of Israel“ am Montag.
Staatspräsident Jitzchak Herzog sagte über Cohen: „Abgesehen davon, dass er großartig in der Tora war, war er auch ein geistlicher Leiter, der demütig und bescheiden einen großen und wichtigen Teil der Bevölkerung in Israel und der jüdischen Welt führte. Es tut mir sehr leid, dass ich dieses Jahr nicht die Tradition fortsetzen kann, ihn in seiner Laubhütte zu besuchen.“
Auch Premierminister Jair Lapid (Jesch Atid) sprach der Familie sein Beileid aus: „Im Namen der Regierung und des gesamten israelischen Volkes – unsere Stärke liegt in der Einheit Israels.“
Ein Rabbiner mit streitbaren Ansichten
Cohen hob sich von seinem Vorgänger Josef ab. Durch unverblümte Aussagen gegen andere religiöse Gruppierungen war er wiederholt in die Schlagzeilen geraten. So hatte er 2013 über die nationalreligiöse Bewegung und ihre Rabbiner gesagt: „Sie sind Amalek. Das sollen Juden sein?“ Der Begriff aus der Tora „Amalek“ steht für Menschen, die wegen ihrer Grausamkeit gegen Juden zur Vernichtung bestimmt sind.
Während einer Schass-Wahlkampagne 2015 stand er nicht für die Nationalhymne aus und nannte sie ein „dummes Lied“. Er sprach sich gegen akademische Studien ultra-orthodoxer Frauen aus und gegen die Verwendung von Smartphones.
Starke Verortung in der Tora
Wie stark Cohens Position innerhalb der ultra-orthodoxen Gemeinschaft war, wird nicht zuletzt an den Reaktionen prominenter Rabbiner auf seinen Tod deutlich. Trotz der Sommerpause hatten diese im ganzen Land zur Teilnahme an Cohens Beerdigung aufgerufen. Einige von ihnen sprachen öffentlich auf der Veranstaltung. Rabbi Mosche Tzadka, der „Porat Josef“ mit Cohen zusammen führte, sagte, dass viele zusammengekommen waren, um für Cohens Genesung zu beten, als sie am Samstagabend von der Verschlechterung seines Zustandes hörten.
„Für viele war er eine Quelle des Lichtes“, sagte Tzadka. „Sogar an seinem letzten Tag war er so gesegnet, dass er die ganze Welt zum Beben brachte.“ Rabbi Schmuel Betzalel, ein weiterer Leiter der sephardischen Jeschiva, nannte Cohen seinen „engen Freund über die vergangenen 50 Jahre. Mit jedem Schritt, den er tat, brachte er Licht in die Dunkelheit. Er hatte enorme Kräfte der Tora und Demut inne und fürchtete den Himmel. Sein Weg war wahrhaftig.“
Weil Cohen die Bevölkerung die Tora gelehrt habe und Generationen von Toragelehrten geprägt habe, müsse jeder an der Beerdigung teilnehmen, ordnete der sephardische Oberrabbiner Jitzchak Josef an. „Er stellte alte Traditionen wieder her und baute das sephardische Judentum aus der Asche wieder auf.“
Auch der aschkenasische Rabbi David Lau äußerte sich: „Zusammen mit dem Volk Israel in Israel und in der Welt leiden wir und sind schockiert. Israel hat einen großen Menschen verloren, dessen Lehren, Gebete und Segenssprüche die israelische Nation für Jahrzehnte geschützt haben.“ Der Schass-Vorsitzende Arje Deri bezeichnete Cohen als „unseren Vater, unseren Lehrer und unseren Anführer“. Cohens Tod sei wie ein Schiff, das seinen Kapitän verliere.
Cohen wurde in Jerusalem geboren und wohnte fast sein ganzes Leben im jüdischen Viertel. Unter seiner Führung bekam Deri eine stärkere Position in der Partei der orientalischen Juden. Beobachter vermuten, dass die Lücke, die Cohen hinterlässt, vom aktuellen Oberrabbiner Josef gefüllt wird. Die sephardische Schass ist derzeit mit neun von 120 Sitzen in der Knesset vertreten und nicht an der Koalition beteiligt. (mh)