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Meinung

Protokoll des Schreckens

Die israelische Journalistin Lee Yaron zeichnet konkrete Schicksale des 7. Oktobers nach. Dabei wird deutlich, wie unterschiedlich die Menschen waren, die zum Opfer des Massakers wurden. Eine Rezension
Von Sandro Serafin

Wer zumindest im Ansatz verstehen will, was der 7. Oktober für Israel bedeutet hat, der muss sich nicht nur vor Augen führen, welche Gräueltaten die palästinensischen Terroristen an diesem Tag begangen haben. Er muss auch erkennen, in welcher Breite das Massaker die israelische Gesellschaft getroffen hat.

Beides führt das Buch „Israel, 7. Oktober. Protokoll eines Anschlags“ von Lee Yaron vor Augen. Auf gut 300 Seiten Fließtext erzählt die Journalistin der israelischen Zeitung „Ha’aretz“ ausgewählte Geschichten von Tod und Überleben an jenem „schwarzen Schabbat“ und darüber hinaus. Dafür stützt sich die Autorin auf hunderte Zeitzeugeninterviews sowie auf Protokolle etwa von Handynachrichten.

Das Ausmaß der Katastrophe wird schon dadurch deutlich, dass es beim Lesen phasenweise schwierig ist, den Überblick zu behalten bei all den Namen, die genannt werden, und den Geschichten, die dazu erzählt werden. Insgesamt ist es der Autorin hervorragend gelungen, eine Auswahl an Schicksalen zu treffen, und zwar in mehrerlei Hinsicht.

Araber und Juden, Israelis und Nicht-Israelis

Erstens erzählt sie sowohl über Ereignisse, die zu den viel erzählten gehören, als auch über solche, die bisher weniger bekannt sind. Zweitens bildet sie die ganze Breite der Opfergruppen ab. Yaron berichtet zum Beispiel über ein Beduinen-Paar im Süden. Es eilte an jenem Morgen ins Krankenhaus, weil die Frau in den Wehen lag. Auf dem Weg stießen sie auf Terroristen, die der Frau in den Bauch schossen. Ebenso erzählt die Autorin von den nepalesischen Gaststudenten, die die Terroristen im Kibbuz Alumim kaltblütig hinrichteten.

Yaron blickt auf der einen Seite auf die linken israelischen Aktivisten, die im Kibbuz Be’eri dem Massaker zum Opfer fielen. Auf der anderen Seite erzählt sie aber auch die Geschichte des einstigen Gaza-Siedlers, der am schwarzen Schabbat mit einem Bus Menschen aus dem Kibbuz Be’eri evakuierte und nicht verkraften konnte, was er dabei erlebte.

Die Autorin blickt auch auf die Rentnergruppe, die auf dem Weg Richtung Totes Meer war. Sie befanden sich in Sderot, als der Beschuss losging. An einer Bushaltestelle ermordeten Terroristen sie; die Bilder gingen um die Welt. Dem gegenüber stehen die jungen Menschen, die auf dem Nova-Festival bei Re’im feierten und den Invasoren zum Opfer fielen. Jung und alt, rechts und links, jüdisch und arabisch, israelisch und nicht-israelisch: im Buch kommen sie alle vor.

Die Traueropfer nicht vergessen

Ebenso wichtig ist ein dritter Punkt: Die Autorin macht deutlich, dass es nicht nur solche Opfer gibt, die am 7. Oktober angegriffen wurden. Es gibt auch solche, die unter den unmittel- und mittelbaren Folgen jenes Tages litten und leiden. So wird klar, wie weit das Trauma in die Gesamtgesellschaft ausstreut.

Beispielsweise erzählt Yaron die Geschichte einer Israelin, die infolge des 7. Oktobers drei bis sechs Trauerfeiern am Tag organisieren musste. Irgendwann, nach zahlreichen Begräbnissen, wurde es zu viel: Sie erlitt einen Herzstillstand, den sie am Ende aber überlebte. Die Autorin spricht in Bezug darauf von einem „Traueropfer“, wie es viele gab und gibt.

„Eine Abwehr gegen Verzerrung“

Was schließlich noch hervorzuheben ist: Yaron beschränkt sich nicht darauf, nur im Blick auf jedes Schicksal jeweils punktuell die Ereignisse vom 7. Oktober nachzuzeichnen. Sie bettet dies vielmehr ein in eine teils sehr umfassende Erzählung über die Biographien der einzelnen Menschen. Damit gibt sie ihnen nicht nur ihre Individualität in der Masse der Opfer zurück – ein konkretes Anliegen des Buches, das sich durch das Nachwort des Ehemanns der Autorin ausdrücklich in die Tradition der jüdischen Erinnerungsbücher (Jiskor-Bücher) stellt.

Die Autorin stellt so dem Leser auch Kontexte zur Verfügung, die den Ereignissen vielfach noch eine weitere dramatische Ebene hinzufügen. Etwa wenn es um die Geschichte der Ukrainer geht, die eigentlich vor dem Krieg in ihrem Land nach Israel geflohen waren. Nur um dort dann unter den Beschuss palästinensischer Terroristen zu geraten.

Insgesamt ist das Buch jedem zu empfehlen, der auch mehr als ein Jahr danach noch einmal den 7. Oktober 2023 Revue passieren lassen will. Das, was nicht vergessen werden darf, weil ohne es nichts von dem zu verstehen ist, was danach folgte. Nicht umsonst schreibt die Autorin in der Einführung, dass sie das Buch auch als „eine erste Abwehrlinie“ versteht: „eine Abwehr gegen Verzerrung, eine Abwehr gegen das Vergessen“.

Lee Yaron: „Israel, 7. Oktober. Protokoll eines Anschlags“, Aus dem Englischen übersetzt von Sigrid Schmid, Cornelia Stoll und Maria Zettner, S. Fischer, 320 Seiten, 26 Euro, ISBN 97831039764586

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4 Antworten

  1. Meine Ehefrau und ich werden das Buch lesen. Unser hochgebildeter Gärtner Ernesto wartet auf die italienische Übersetzung.

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  2. Auch Ha’aretz hat gute Journalisten, nicht alle sind auf der Linie von Gideon Levy. Das Buch ist sicher lesenswert, es ist wichtig, den Opfern ihre Individualität zurückzugeben. Es ist auch ein kleiner Überblick über die israelische Gesellschaft in ihrer Vielfalt.

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  3. Ich bekomme dieses bestialische Massaker nicht in meinen Kopf. Grausamer geht es nicht.
    Ich war dort, als ich in IL arbeitete. Pal- Terroristen sind schlimmer wie Tiere und ihre Unterstützer.
    OT: Wie bitte , der neue Hisbollah Führer will Neranjahu töten lassen? Feigling, geh selbst!
    Wobei sich Verräter immer kaufen lassen.

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    1. Lieber Freund, bitte nicht die Tiere heranziehen, Tiere begehen keine Massaker aus Spaß an der Freud. Mein 🐶 lässt grüßen.

      4

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