„Es war wie in einem Horrorfilm“, sagt Avital Schindler: Eine laute Explosion, Pfeifen in den Ohren, der Ehemann Amichai wird nach hinten geworfen und fällt auf ein Bett. „Ich war sicher, dass er tot ist; er bewegte sich nicht.“ Doch Amichai überlebt das Hamas-Massaker in Kerem Schalom, direkt am Gazastreifen, und mit ihm die ganze Familie mit sechs Kindern. Es ist eine Geschichte vom 7. Oktober, eine Geschichte von vielen.
Die junge Familienmutter Avital hat sie erzählt und sich dabei filmen lassen. Sie ist damit Teil des Projekts „Edut 710“ geworden. „Edut“ ist Hebräisch und heißt „Zeugnis“. 710 steht für den 7. Oktober, den Tag, an dem tausende palästinensische Terroristen in Südisrael mehr als tausend Menschen ermordeten.
„Edut 710“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Zeitzeugenaussagen anzuhören und zu dokumentieren – von Überlebenden des 7. Oktober. So soll ein „nationales Zeitzeugen-Archiv“ jenes Schwarzen Schabbats entstehen. Das Projekt begann unmittelbar nach dem Hamas-Massaker. Die Initiatoren hatten zuvor die Großdemonstrationen gegen die israelische Regierung dokumentiert und entschieden nun, ihre Kapazitäten für das neue Projekt einzusetzen.
Verschiedene Experten arbeiten zusammen
Innerhalb kurzer Zeit schlossen sich dem Team zahlreiche Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen an: vom Dokumentarfilmer bis zum Psychologen. Die Zeugenaussagen stehen zur unmittelbaren Verwendung zur Verfügung, für Historiker genauso wie etwa für Psychotherapeuten; sie sollen das Geschehene zudem für die Nachwelt festhalten, als historisches Archiv.
„Wir müssen an die Zukunft denken und daran, dass Menschen versuchen werden, das Geschehene zu leugnen“, zitiert die „Times of Israel“ einen der Initiatoren. „Jemand sagte mir, dass es das Yad Vashem von 2023 ist“, meinte ein anderer Teilnehmer schon im November in einem TV-Beitrag des israelischen Senders „Kan“.
Ein Vorbild ist aber auch das Fortunoff-Archiv und die Arbeit des israelisch-amerikanischen Holocaust-Überlebenden Dori Laub. Laub gründete 1979 ein Projekt, um Zeugenaussagen von Holocaust-Überlebenden aufzuzeichnen. Das daraus entstandene „Fortunoff Archiv“ an der Yale-Universität ist einer der Partner von „Edut 710“.
Die Zeugen reden lassen
Die Macher von „Edut 710“ legen Wert darauf, die Zeitzeugen mit möglichst wenigen Fragen und Unterbrechungen reden zu lassen, zuzuhören, ihnen so mehr Raum zu geben, als es etwa in journalistischen Formaten möglich ist. Weil die Videos möglich „authentisch“ sein sollen. Aber auch weil die Zeugenaussagen für die Betroffenen ein Teil des Prozesses sind, ihre Traumata zu verarbeiten.
Manche Videos sind 20 Minuten, andere 30, 40 oder noch mehr Minuten lang. Es gibt Videos auf Englisch und auf Hebräisch, dazu Transkriptionen und jeweils eine Kurzfassung. Zudem haben die Macher von „Edut 710“ in einigen der zerstörten Kibbuzim mithilfe von 360-Grad-Kameras Aufnahmen gemacht, die ebenfalls über die Website abzurufen sind.
Wie viele Zeugenaussagen wird das digitale Archiv letztendlich umfassen? „Wenn wir nur auf den 7. Oktober schauen – ohne Einsatz- und Rettungskräfte –, dann waren 70.000 Menschen betroffen“, sagte Sagi Aloni, einer der Initiatoren, im Februar der Tageszeitung „Ma’ariv“: „Wir nähern uns nun der Marke von 700 Zeugenaussagen, was ungefähr einem Prozent entspricht. Uns selbst haben wir das Ziel gesetzt, bis zum kommenden Oktober 1.000 Aussagen zu haben, aber es ist ein Projekt, das Jahre brauchen wird.“ (ser)
3 Antworten
Die Dokumentation der Zeitzeugen-Aussagen zum 7.Oktober 2023 halte ich für sehr wichtig.
Vor allem, weil die Medienwelt so Israel-feindlich ist, müssen alle Wahrheiten ans Licht kommen.
Die Welt muss sich der Wahrheit stellen, und für die Zeitzeugen ist es wichtig, das Grausame besser zu verarbeiten, wenn es dokumentiert ist.
Es wichtig alle zu hören und sie nicht zu vergessen.
Das ist gut. Und muss gemacht werden. Denn der Versuch eine Täter/Opfer Umkehr hinzubekommen läuft ja in vollen Hochtouren.