Knapp ein Jahrzehnt ist es her, dass Israel in den erlauchten Klub der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgenommen wurde. Dieser beherbergt die 36 sogenannten entwickelten Länder. Israel hat sich seitdem in einem raketenhaften Aufstieg zum Primus der Innovation und Hochtechnologie gemausert.
Seine Start-up-Dichte ist mit Abstand die höchste der Welt. Eine Neugründung kommt auf 1.300 Einwohner. Insgesamt sind es 6.500. In absoluten Zahlen toppen das nur die USA. Bei der Cyber-Sicherheit ist das winzige Land, kaum größer als Hessen, Weltmarktführer. Obwohl es nur 0,1 Prozent der Weltbevölkerung stellt, zieht es in dem Bereich 19 Prozent des globalen Investments an. Die Küstenebene um Tel Aviv entwickelt sich zu einer echten Alternative zum kalifornischen Silicon Valley und trägt deswegen den Spitznamen Silicon Wadi.
Zukunft des Autos liegt in Israel
Bei internationalen Konzernen weckt das Goldgräberstimmung: Mehr als 300 haben dort Büros oder Forschungszentren eingerichtet, darunter VW, Daimler, BMW, BASF, Bosch, Siemens und die Deutsche Telekom. Sie wollen von der Innovationskraft eines Landes profitieren, das sich selbst als Start-up begreift: Vor 71 Jahren bei Null angefangen und trotz aller Rückschläge nie aufgegeben.
„Die Frage ist, können wir uns überhaupt erlauben, nicht hier zu sein“, zitiert das Nachrichtenmagazin „Stern“ den Digitalisierungsexperten von Volkswagen, Christoph Hohmann. Und Andrea Frahm, Botschafterin des deutsch-israelischen Start-up-Austauschprogramms (GISEP) glaubt: „Deutsche haben das Auto erfunden. Technologien für autonomes Fahren kommen aus Israel.“ Mitgestartet vom Bundeswirtschaftsministerium hat GISEP das Ziel, der vergleichsweise innovationsträgen deutschen Industrie durch israelischen Gründergeist neues Leben einzuhauchen. Besonders in der Automobilbranche: Israel sei das Land, aus dem „disruptive Technologien für autonomes Fahren“ kommen werden, ist Frahm überzeugt. Damit sind bahnbrechende Erfindungen gemeint, die den Markt komplett verändern.
Die Jagd nach dem nächsten Einhorn
Bestes Beispiel dafür ist Mobileye. Das Jerusalemer Unternehmen stellt Kameras und Sensorik für selbstfahrende Autos her. BMW arbeitet mit ihm zusammen. Mit VW laufen Tests. 2017 hat der US-Chipgigant Intel die israelische Gründung für stolze 15,3 Milliarden Dollar gekauft. Es war der bisher größte israelische sogenannte Exit, also Verkauf nach erfolgreicher Neugründung.
Bei seinem Börsengang 2014 war Mobileye mit einem Einstiegswert von 4,2 Milliarden Dollar das erste israelische „Einhorn“. So nennt man Start-ups, deren Wert bereits vor ihrem Börsengang mit über einer Milliarde beziffert werden. Zur Zeit zählt Israel zwölf Einhörner. Deutschland hat elf.
Die Gründer von Mobileye arbeiten bereits an ihrem nächsten „Unicorn“: Mit ihrer Firma Orcam haben sie ein Gerät entwickelt, das aussieht wie ein USB-Stick, der sich an einen Brillenbügel befestigen lässt. Das kleine Gerät flüstert dem Träger ins Ohr, was in seinem Gesichtsfeld zu sehen ist. Ideal ist das zum Beispiel für Blinde oder Analphabeten, denn „My Eye“ liest auch Texte vor. Orcams Umsatz verdoppelt sich jährlich.
Kaderschmiede Militär
Viele Gründer lernen sich beim Militär kennen. Junge Männer und Frauen werden gleichermaßen mit 18 eingezogen. Die meisten knüpfen dort Kontakte, die ein Leben lang halten.
Auch viele Geschäftsideen entstehen dort: Ein ständig bedrohtes Land muss sich auch im Cyber-Space absichern. So entstand etwa die „Firewall“, ein System, das Computer vor fremden Zugriffen schützt. Hochbegabte Rekruten kommen zur renommierten Aufklärungseinheit 8-200, entwickeln solche Systeme und dürfen sie hinterher an zivile Bedürfnisse angepasst auf den Markt bringen, da die israelische Armee die Rechte daran nicht behält.
Israelische Chuzpe und deutsche Tugenden
Die israelische Regierung ist stolz auf ihre Technik-Pioniere und fördert sie nach Kräften. Wenn Funktionsträger multinationaler Unternehmen nach Israel kommen, veranstalten die Behörden Präsentationstermine für ihre Start-ups. Die Israelische Innovationsbehörde übernimmt bei Projekten aus dem Sektor Biowissenschaften und IT-Technik in den ersten zwei Jahren 85 Prozent der Kosten. Die Gründer müssen das zinslose Darlehen nur zurückzahlen, wenn sie erfolgreich sind. Trotzdem erfordert es Mut, ein Unternehmen zu gründen. Auch in Israel schaffen es am Ende nur die wenigsten.
Entscheidend ist daher die innere Einstellung: In Israel träumen schon Kinder davon, Gründer zu werden. Jungunternehmer werden bewundert wie Rockstars. Hinzu kommt die mentale Disposition in einem Land, dem die Nachbarn ständig mit Vernichtung drohen: „Wir haben ein anderes Verhältnis zum Risiko“, erklärte der Chef der deutsch-israelischen Handelskammer, Grischa Alroi-Arloser, Anfang des Jahres gegenüber dem Magazin „Wirtschaftswoche“. Das Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ sieht einen weiteren Erfolgsfaktor in der sprichwörtlichen israelischen „Chuzpe“: Das Wort bezeichnet etwa die Unerschrockenheit, Neues zu wagen oder auch die Unverfrorenheit, „wildfremde Menschen um einen Gefallen zu bitten“.
Doch die Israelis haben auch ein paar Schwächen: Man sei „weniger pünktlich, weniger diszipliniert, weniger strukturiert“ als im Westen, schreibt „Bilanz“. Hier kommt GISEP ins Spiel: Gerade an diesen Punkten könnten deutsche Tugenden wie Präzision und Pünktlichkeit eine Ergänzung bieten. Die Internetseite „Deutschland.de“ resümiert: „Das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen wäre gut.“
Von: Timo König