Worauf basiert die israelische Wirtschaft?“, fragt Grischa Alroi-Arloser in die Journalistenrunde in Tel Aviv. „Auf dem Export von Jaffa-Orangen“, beantwortet der Geschäftsführer der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer die Frage selbst mit einem Lächeln. Das sei jedenfalls die am häufigsten gegebene Antwort bei einer Umfrage, die das israelische Außenministerium in zwölf Ländern, darunter auch Deutschland, durchgeführt habe.
Die Realität sieht anders aus: Israel besitzt mit 75 Hightech-Firmen die meisten Notierungen an der amerikanischen NASDAQ-Börse – mit Ausnahme von Nordamerika. „Es ist das Land mit der höchsten Start-up-Dichte pro Kopf außerhalb von Silicon Valley“, erklärt Alroi-Arloser. Mehr als 5.000 Start-up-Firmen gibt es laut der Unternehmensberatung Roland Berger in Israel. Auch viele deutsche Unternehmen sind auf diesem florierenden Hightech-Markt unterwegs, weil sie nach der nächsten Quantensprungtechnologie suchen.
Schwierige Umstände
Tatsächlich kommen nur 3 Prozent der israelischen Warenexporte aus der Landwirtschaft, 69 Prozent stammen aus der Industrie. Dreiviertel der Industrieprodukte wiederum kommen aus dem Hightech-Bereich. Das ist auch historisch begründet. „Wir sind immer von irgendjemandem boykottiert worden“, erklärt Alroi-Arloser. In den 1950er-Jahren seien es die Amerikaner gewesen, dann die Sowjetunion, kurzzeitig auch die Franzosen, in den 1970er-Jahren die Europäische Gemeinschaft: „Deswegen war die Entwicklung eigener Technologien wichtig.“
Das Thema Wasser hat in Israel beispielsweise eine große Relevanz. „Wir sind Moses immer noch ein bisschen böse, dass er 40 Jahre gebraucht hat, um durch diese Region zu ziehen, wo es weder Wasser noch Öl gibt“, scherzt er. Hier habe Israel rasch lernen müssen, sparsam hauszuhalten, neue Wasserquellen zu erschließen und vor allem die Bewässerungs- und Entsalzungstechniken zu perfektionieren. In diesem Bereich sei Israel inzwischen weltweit führend. Das hat auch mit der Verwendung von Militärtechnologie zu tun. Drohnen, Sensorik und GPS-gesteuerte Systeme helfen, das Wasser optimal zu verteilen. So machte Israel aus der Not eine Tugend.
Deutschland: drittgrößter Handelspartner
Im Jahr 2016 entsprach das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Israel umgerechnet 5 Milliarden Euro. „Wobei das ein schlechtes Jahr war“, sagt Alroi-Arloser. Dazu beinhalte die Zahl nicht den Sektor Dienstleistungen. Das seien weitere 2,2 Milliarden Euro. Deutschland ist Israels drittgrößter Handelspartner nach den USA und China. Und Israel ist Deutschlands drittgrößter Handelspartner im Nahen Osten, nach den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Zwei Zahlen unterstreichen den Hightech-Standort Israel: Bei 1,1 Milliarden Euro Dienstleistungsimporten von Israel nach Deutschland sind 629 Millionen Euro Software-Produkte.
Der Geschäftsführer der Handelskammer schwärmt vom letzten bedeutenden Deal der israelischen Wirtschaft: Die US-Firma Intel bezahlte in diesem März 14 Milliarden Euro für die Jerusalemer Firma Mobileye, die Kameratechnologien für selbstfahrende Autos entwickelt: „Das ist der größte Hightech-Deal in der Geschichte Israels.“ Der Staat erhalte aus diesem Geschäft allein 2,6 Milliarden Euro Steuergeld. „Israel wird ein Machtzentrum für die Automobilindustrie werden, hat mir ein Mitarbeiter der Deutschen Bank prophezeit“, erzählt Alroi-Arloser: „Weil Autos zu Software werden.“ Wenn sich das autonome Fahren durchsetze, werde die Technik im Fahrzeug immer wichtiger. Es gebe keine Autoindustrie in Israel, aber die Software für das Auto. Deswegen existieren mittlerweile auch Ableger von deutschen Firmen wie Daimler und Volkswagen im Land.
Erfolgsgeheimnis Scheitern
Für Alroi-Arloser hat der Erfolg der Hightech-Industrie viel mit der Gründermentalität, aber auch dem Erziehungs- und Bildungsgrad der Israelis zu tun. Der Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Handelskammer, Mickey Steiner, stimmt ihm zu: „Wichtig ist bei der Mentalität, keine Angst vorm Scheitern zu haben.“ Der Misserfolg sei Teil des Entwicklungsprozesses, der tief in die israelische Kultur hineinreiche und bereits in der Kindheit beginne. „Es ist kein Problem zu scheitern. Es ist nur ein Problem, immer wieder am selben Fehler zu scheitern“, sagt Steiner. Die Fähigkeit, ein Risiko eingehen zu können, sei für den Erfolg enorm wichtig. Nur 10 Prozent aller Start-up-Firmen in Israel schafften es in das dritte Jahr, die meisten würden vorher scheitern.
Als er für Firmen wie SAP oder RWE in Deutschland gearbeitet hat, beobachtete er eine andere Haltung: „In Deutschland wird ein Fehler als etwas Schlechtes angesehen und sozial nicht akzeptiert.“ Steiner sucht gerade für seine Firma Innogy, deren Arbeitsfeld die erneuerbaren Energien sind, Start-up-Gründer, die bereits gescheitert sind. „Wenn sie aufgrund ihrer eigenen Dummheit gescheitert sind, hoffe ich, das herauszufinden“, scherzt er: „Lag es aber an ungünstigen Marktverhältnissen, dann ist das sehr gut.“ In diesem Fall hätte er es nämlich mit mutigen Unternehmern zu tun, die ihre Lektion bereits gelernt hätten.
Von: Michael Müller