JERUSALEM (inn) – Die Sirenen bei Luftalarm sind laut und markerschütternd. Sie ertönen in Israel bei Gedenktagen wie dem Holocaustgedenktag oder dem Gedenktag für die gefallenen Soldaten im Frühjahr. Zwei Minuten lang sind dann die Bewohner Israels aufgefordert, still zu stehen, ihre Autos zu stoppen und sich kurz neben sie zu stellen.
Dieser Tage wird Israel von Tausenden Raketen aus dem Gazastreifen beschossen. Aber dann heulen die Sirenen nicht im ganzen Land, sondern nur in den betroffenen Gebieten. Landesweit kann der Raketenalarm jedoch in den knapp drei bis vier Minuten andauernden Rundfunknachrichten oder im Fernsehen miterlebt werden. Gibt es Raketenbeschuss, wird das Programm unterbrochen. Ganz kurz heult eine Sirene und es werden die Orte oder sogar nur die Stadtviertel verlesen, in denen Raketen explodieren könnten. Dazu kommt der Hinweis, dass Bewohner sich sofort in die Sicherheitsräume begeben und dort zehn Minuten lang verweilen sollten.
Aber die Nachrichten werden nur jede volle Stunde gesendet und nicht jeder hört permanent Radio. Die Verantwortlichen wollten eine individuelle Lösung und haben diese jetzt offenbar gefunden: Sie setzten auf eine Methode, die der Geheimdienst Schabak während der Corona-Pandemie angewandt hat.
App mit Geheimdienstmethodik
Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise wurde der Bevölkerung in Israel klar, dass der Schabak jeden überwachen und nachverfolgen könne. Die modernen Smartphones registrieren automatisch den exakten Standort des Besitzers. Das Gesundheitsamt machte sich diese Fähigkeit zunutze, um infizierte Corona-Kranke zu verfolgen und festzustellen, wo sie sich aufhielten und mit wem sie sich getroffen haben. Außerdem konnte die Virusverbreitung besser nachvollzogen werden. Als diese Methoden publik wurden, entstand in Israel eine öffentliche Debatte über die Befugnisse des Geheimdienstes gegenüber der Zivilbevölkerung. Wenig später wurde per Gesetz dem Geheimdienst verboten, unbescholtene Bürger zu überwachen.
Diese Technologie wird offenbar nun jedoch dafür genutzt, die Alarmsirenen ganz individuell in der Hosentasche aufheulen zu lassen, wenn sich jemand in einem möglichen Zielgebiet der Hamas-Raketen aufhält. Die Radare des Raketenabwehrsystems „Eisenkuppel“ registrieren ein Geschoss der Hamas und berechnen die Flugbahn und den Einschlagsort. Smartphone-Nutzer, die sich in dem berechneten Gebiet oder Stadtteil aufhalten, werden mit Hilfe der App individuell gewarnt. Eine großer Sirenen-Alarm, der alle Bewohner der Stadt in Aufruhr versetzt, wäre so obsolet.
Ein weiterer Vorteil ist, dass mit Hilfe der App ebenfalls vor Raketen gewarnt werden kann, die in offenem Gelände einschlagen und deswegen aus Kostengründen nicht vom Raketenabwehrsystem abgeschossen werden. Eine einzelne Rakete des Abwehrsystems „Eisenkuppel“ kostet 60.000 US-Dollar.
Von: Ulrich W. Sahm