TEL AVIV / GAZA (inn) – Terroristen aus dem Gazastreifen haben seit dem Dienstagmorgen, sechs Uhr Ortszeit, Dutzende Raketen auf Israel abgefeuert. Bis zum Nachmittag zählte die Armee 160 Geschosse. Tausende Israelis flohen in die Schutzbunker. Durch die Einschläge wurden bis 13 Uhr 40 Personen verletzt. Das Abwehrsystem Eisenkuppel fing 60 Raketen ab. Auch in Tel Aviv und Be’er Scheva war Raketenalarm zu hören.
Rocket over Tel Aviv pic.twitter.com/sdK9jWucgS
— Aviva Klompas (@AvivaKlompas) 12. November 2019
Aufgrund der kritischen Lage blieben die Schulen in Südisrael auf Anweisung der Armee geschlossen; dies geschah zum ersten Mal seit der Militäroperation „Starker Fels“ im Sommer 2014. Die Armee hatte zudem die Bewohner der Region angewiesen, nicht auf Arbeit zu gehen. Die Hafenstadt Aschdod glich gemäß Berichten von Rundfunkreportern einer „Geisterstadt“. Auch in Tel Aviv war der zentrale Platz am israelischen Nationaltheater HaBima wie leergefegt. Gegen 10 Uhr Ortszeit änderte die Armee die Maßgabe und teilte mit, jeder könne nun zur Arbeit gehen, vorausgesetzt, in der Nähe des Arbeitsplatzes befindet sich ein Bunker.
Heavy barrage of rockets fired from #Gaza by #IsalmicJihad terrorists since the morning, sending more than a million Israelis to seek shelter, causing injuries & damage to properties.
— Israel Foreign Ministry (@IsraelMFA) 12. November 2019
Israel will continue to protect its citizens from unacceptable terrorism emanating from Gaza. pic.twitter.com/w4xgDrNtCM
Am Vormittag erwiderte die Luftwaffe das Raketenfeuer. Sie flog nach eigenen Angaben Angriffe auf Terrorziele im Gazastreifen und setzte diese nach weiterem Raketenfeuer am Nachmittag fort. Nach offiziellen Angaben aus dem Gazastreifen wurden dabei fünf Palästinenser getötet.
Armee: Nächster Angriff stand bevor
Das Raketenfeuer ist eine Reaktion auf die gezielte Tötung eines Kommandeurs der Terrorgruppe Islamischer Dschihad, Baha Abu al-Ata. Gegen vier Uhr griff die Luftwaffe sein Haus in Gaza-Stadt an. Auch seine Ehefrau kam dabei um. In der Stadt wurde Al-Atas Tod über die Lautsprecher von Moscheen verkündet.
Laut Armee war Al-Ata verantwortlich für hunderte Terrorangriffe gegen israelische Zivilisten und Soldaten. „Seine nächste Attacke stand unmittelbar bevor.“ Zudem habe der 42-Jährige die Versuche sabotiert, mit der Hamas zu einer Einigung bezüglich einer Waffenruhe zu kommen. Das sagte Armeechef Aviv Kohavi am Dienstag in einer im Fernsehen übertragenen Stellungnahme.
Der israelische Premier Benjamin Netanjahu nannte Al-Ata eine „tickende Zeitbombe“. Die Militäroperation habe das Kabinett einstimmig vor zehn Tagen bewilligt. Er ergänzte: „Wir sind nicht an einer Eskalation interessiert, aber wir werden, wenn nötig, auf eine solche reagieren.“
Zum Zeitpunkt der gezielten Tötung war Netanjahu offiziell noch Verteidigungsminister; der Chef der Partei „Neue Rechte“, Naftali Bennett, wurde am Sonntag zwar als sein Nachfolger bestätigt, trat das Amt aber erst im Verlauf des Tages an. Als Verteidigungsminister verordnete er dem Heimatfront-Kommando für die kommenden zwei Tage erhöhte Alarmbereitschaft; Angriffe auf israelische Bürger seien „sehr wahrscheinlich“.
Der Islamische Dschihad ist nach der Hamas die zweitgrößte Terrorgruppe im Gazastreifen. Deren offizielles Ziel ist es, Israel zu vernichten. Sie wird vom Iran unterstützt. Der militärische Flügel nennt sich „Al-Quds-Brigaden“. Al-Ata war für den nördlichen Gazastreifen zuständig. Bei der Beerdigung des getöteten Kommandeurs teilte die Gruppe mit, sie bereite sich auf einen „Krieg“ mit Israel vor. Israel habe einen „rote Linie“ überschritten.
Ebenfalls am Dienstagmorgen war es in Damaskus zu einem Angriff mit zwei Raketen auf das Haus von Akram al-Dschuri gekommen, ein hochrangiges Mitglied des Islamischen Dschihad. Er selbst wurde verletzt, sein Sohn und sein Leibwächter wurden jedoch getötet. Wer hinter diesem Angriff steckt, ist bislang unklar; die israelische Armee kommentierte den Vorfall nicht.
Regierungen verurteilen Raketenfeuer
Unterdessen haben mehrere Regierungen das Raketenfeuer verurteilt, darunter Tschechien und Schweden. Der Chef der österreichischen Partei ÖVP Sebastian Kurz betonte, Israel habe das Recht, sich zu verteidigen. Kurz‘ Partei ging siegreich aus den letzten Nationalratswahlen hervor; er führt aktuell Gespräche zur Regierungsbildung.
Der Staatenverbund Europäische Union forderte eine sofortiges Ende des Raketenbeschusses auf Zivilisten: „Eine schnelle und vollständige Deeskalation ist nun notwendig, um die Leben und die Sicherheit von palästinensischen und israelischen Bürgern zu garantieren.“
Der deutsche Außenminister Heiko Maas gab am Mittag via Twitter bekannt, dass die deutsche Botschaft in Paris renoviert und neu eröffnet wurde. Zu den Raketenangriff nahm er bis Mittag auf Twitter keine Stellung. Das Auswärtige Amt veröffentlichte am Nachmittag eine Stellungnahme. Darin heißt es, die Bundesregierung verurteile die Raketenangriffe „auf das Schärfste“. „Wir rufen dazu auf, größtmögliche Zurückhaltung zu üben und die Gewalt zu beenden. Vermittlungsbemühungen Ägyptens und der Vereinten Nationen unterstützen wir ausdrücklich.“
Der israelische UN-Botschafter Danny Danon forderte den Sicherheitsrat dazu auf, die Raketenangriffe zu verurteilen. Dabei gehe es nicht an, „alle Beteiligten“ zur Zurückhaltung aufzurufen; Israel sei nicht an einer Eskalation interessiert.
Aschrawi: Rückkehr zu „außergerichtlichen Tötungen“
Die Politikerin der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Hanan Aschrawi, verurteilte die gezielte Tötung. „Israels Rückkehr zur illegalen und kriminellen Politik der außergerichtlichen Tötungen und die absichtliche Missachtung der Leben palästinensischer Einwohner ist rücksichtslos und kriminell“, sagte sie laut der Tageszeitung „Jerusalem Post“.
Der Leiter des Politbüros der Terror-Organisation Hamas, Ismael Hanije, sprach dem Islamischen Dschihad sein Bedauern über Al-Atas Tod aus. „Die israelischen Verbrechen werden die Palästinenser dazu bringen, auf ihre Rechte zu bestehen und alle Formen des Widerstandes gegen die israelische Besatzung anzuwenden“, sagte er laut einer Mitteilung der Hamas.
Von: df / Ulrich W. Sahm
Dieser Artikel wurde zuletzt um 16.50 Uhr aktualisiert.