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Hilfe mit Eigeninteresse

Die Hilfsaktion der Israelis für syrische Flüchtlinge hat schon manchen Syrer dazu veranlasst, neu über Israel zu denken. Die Regierung in Jerusalem startete das Programm aber nicht aus Gründen der Imagepflege, sondern auch im Interesse der eigenen Sicherheit.
Wo Hilfe nottut: Israelische Soldaten kümmern sich um einen verletzten Syrer

Dass Israel, während der Bürgerkrieg im benachbarten Syrien tobte, über mehrere Jahre Tausende von Syrern behandelt hat, ist kein Geheimnis. Das investigative Fernsehprogramm „Uvda“ („Tatsache“) hat nun die Geschichte hinter den Kulissen veröffentlicht.

„Fast jede Nacht öffneten sich die Tore nach Syrien und auch viele Herzen“, beginnt Na‘ama Perri die Moderation der „Uvda“-Folge „Der syrische Kontakt – die wahre Geschichte“, die am 23. Mai zu sehen war. Doch die Israelis hätten nicht nur aus Mitgefühl gehandelt und sicher nicht, um der Welt eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zu bieten, erklärt Perri.

Wie kam es also dazu, dass über den Zeitraum von fünf Jahren knapp 5.000 verwundete Syrer, davon mehr als 1.000 Kinder, in Israel behandelt wurden? Seit seiner Gründung befindet sich Israel mit Syrien im Kriegszustand. Die Opfer waren syrische Staatsbürger und die Helfer keine Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, sondern Armeeangehörige und Ärzte des israelischen Staates. Über die Hintergründe sprachen Ende Mai erstmalig Mitarbeiter der israelischen Armee mit dem israelischen Fernsehsender „Kanal 12“. Die fünfzigminütige Sendung erzählt die Geschichte der „Mission hinter der Mission“.

Im Fokus der Sendung stehen die Schilderungen der damals Verantwortlichen. Marko Moreno, Major der israelischen Armee im Reservedienst, ist einer von ihnen. Er kennt die Golanhöhen so gut wie seine Westentasche: „Zwischen dem Jom-Kippur-Krieg 1973 und dem März 2011 war es hier so ruhig wie in der Schweiz. Es gab einen Zaun von anderthalb Metern Höhe, das war‘s. Die diensthabenden Reservisten grillten sogar auf ihren Posten“, erzählt er. „Dann wurde plötzlich alles anders. Nach 41 Jahren Assad-­Diktatur stürzten die Rebellen die Statue von Hafes al-Assad. Die alte Ordnung kippte vor unseren Augen.“

Hunderte von unbekannten Gesichtern im Grenzgebiet

Für Jair Golan, damaliger Generalmajor in Nordisrael, kam es mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs zu einem „einzigen Tohuwabohu“. Der Vorgesetzte Morenos sagt in der Sendung: „Ich brauchte Leute auf der anderen Seite, die mir sagten, was vor Ort passierte.“ Anfangs seien einfach nur Flüchtlinge in das Grenzgebiet gekommen. „Doch plötzlich begannen wir, den Krieg auch an unserer Grenze zu spüren. Da waren Hunderte von unbekannten Gesichtern. Und es war nicht klar, ob es sich um Freiheitskämpfer, um den Islamischen Staat oder ganz andere Gruppen handelte. Natürlich bot das eine optimale Gelegenheit für Terroristen, sich dort zu tummeln.“

Das Grenzgebiet wurde immer voller, aber zwischen den Israelis und Syrern gab es zunächst keinen Kontakt. Doch das änderte sich. Golan berichtet: „Eines Tages teilten mir meine Leute mit, dass da Menschen auf der anderen Grenzseite standen, die mit uns reden wollten. Sie riefen ‚Komm her‘.“ Er sei skeptisch gewesen, als man ihm vorschlug, hinüberzugehen und mit ihnen zu sprechen. Für ihn war klar, dass solch ein Kontakt am besten mit jemandem aus der Spezialeinheit 504 entstehen sollte, die zur militärischen Aufklärung diene. „Das war aufregend, etwas ganz Neues. Man hatte doch noch nie mit einem Syrer gesprochen! Für Sicherheitsleute ist das wie ein Erdbeben, da ändert sich alles.“

Er wandte sich an Moreno, der früher vor allem im Libanon eingesetzt war, um für die Armee an Informationen zu gelangen. Dieser verstand schnell, dass es sich um Rebellen handelte. Die Israelis hätten dann versucht zu verstehen, was die Rebellen bewegt. Golan blickt zurück: „Was sie am allernötigsten brauchten, war medizinische Betreuung. Munition hatten sie genügend von der syrischen Armee geklaut. Lebensmitteltechnisch waren sie auch weitgehend versorgt, obwohl sie sich freuten, wenn sie hier und dort Unterstützung bekommen würden.“ Krankenhäuser gab es nicht. Weder für Kämpfer noch für Zivilisten.

Ein Deal für die Ruhe

Die Regierung wurde eingeschaltet. Der damalige Verteidigungsminister Mosche Ja’alon erzählt in der Sendung ebenfalls, wie er die Situation erlebt hat: „Natürlich wollte ich sehen, wer sich auf der anderen Seite befindet.“ Und so kamen die Rebellen zu einem Treffen mit dem Verteidigungsminister. „So etwas hatte es noch nicht gegeben. Die drei Anführer wussten, was sie wollten. Ich habe sie bewundert. Es waren Patrioten, und um als solche die Grenze zu überqueren, muss man mutig sein.“ Für die Israelis war klar, dass sie ihre eigenen Soldaten nicht auf syrischem Boden haben wollten. Zum Schluss stand der Deal: Die Israelis würden verletzte Syrer behandeln, die Rebellen hätten für Ruhe in der Grenzregion zu sorgen.

Wochen gingen in das Land, es gab Zweifel und Misstrauen auf beiden Seiten und Tausende von weiteren Verletzten. „Und dann klingelte eines Nachts das Telefon“, rekapituliert Moreno die Ereignisse von Februar 2013. „Sie sagten, sie hätten Verletzte. Mit unseren Sanitätern gingen wir zum Zaun. Auf Krankentragen brachten sie sieben Verletzte, die hysterisch ‚Allahu akbar‘ schrien.“

Moreno beschreibt die Verletzten aus seiner Erinnerung heraus als einfache Menschen, etwa 30 Jahre alt. „Wenn ich sage, dass sie entsetzt waren, als sie sahen, wohin sie gebracht wurden, wäre das massiv untertrieben.“ Für die Syrer war es nicht denkbar, dass ausgerechnet der vermeintlich größte Feind sie nun retten würde. „Der Anführer wollte nicht, dass seine Leute wissen, dass wir uns kennen.“

Herausforderung: Patienten sicher zurückbringen

Die Armee brachte die Syrer ins Siv-Krankenhaus nach Safed. Dort wusste nur ein kleiner Teil des Personals, woher die Patienten stammten. „Wenn die Medien von der Aktion Wind bekommen hätten, hätte das unsere syrischen Partner sehr gekränkt. Nach zwei Wochen bestand dann die große Herausforderung darin, die Syrer zurückzubringen, sodass es keiner mitbekam. Aber mein Team hat es geschafft.“

Als nun das Eis erst einmal gebrochen war, hörte der Strom nicht mehr auf. Golan erzählt weiter: „Nach zwei Tagen wurden wieder drei Verletzte zur Grenze gebracht und ein paar Tage später sieben. Wir haben die Abläufe automatisiert, sodass sich der Zaun nun fast jede Nacht öffnete. Es kamen Männer, Frauen und Kinder.“ Ab jetzt trug die Operation den Titel „Gute Nachbarschaft“, neben den Verletztentransfers schickten die Israelis gelegentlich auch humanitäre Hilfe auf die andere Seite der Grenze. Der Deal mit der Armee trat in den Hintergrund. Trotzdem erinnerten sie die Aufständischen von Zeit zu Zeit an ihre Vereinbarung.

Anfänge eines Denkwandels

Major Golan sagte: „Hier wurden Beziehungen gebaut, die auf Vertrauen basieren – mit denselben Menschen, die wir zuvor an der Grenze sahen. Immer wieder erinnerten wir sie an ihre Verpflichtung. Zum Beispiel sagten wir ihnen: ‚Schau, wir haben doch gestern deinen Bruder behandelt. Was sind das für Menschen, die sich hier an der Grenze befinden?‘ Sie antworteten: ‚Ihr habt recht, wir werden das prüfen.‘“ So blieb es überwiegend ruhig an der Grenze.

2015 wurde die Grenzregion wieder stärker durch die Regierungstruppen kontrolliert. Die Rebellen kämpften erbittert und unter hohen Verlusten um jedes Fleckchen Erde. Als Baschir al-Assad schließlich ganz die Kontrolle übernahm, bedeutete das für die Mission „Gute Nachbarschaft“ das Ende. Reserveoffizier Golan blickt auf die Zeit zurück: „Die Entscheidung fiel nicht zu schwer. Strategie ist keine sentimentale Sache. Mit den Rebellen hatten wir ein gemeinsames Interesse: Hier das Sicherheitsbedürfnis des israelischen Staates, dort das Bedürfnis nach humanitärer Hilfe.“

Dass so ein Projekt darüber hinaus die Einstellung von Menschen verändert, dafür bietet Major Moreno das beste Beispiel: „Als wir diese Mission begannen, war ich nicht der einzige, der zynisch zu Jair Golan kam: Von wegen wir tun das moralisch Richtige! Wir hatten doch auch ein Interesse. Aber wenn du Nacht für Nacht Säuglinge und Kinder auf deinen Händen trägst, schwindet jeder Zynismus. Wir taten einfach das Richtige.“

Noch sei es viel zu früh, zu beurteilen, was von diesem „ungewöhnlichen Projekt“ bleiben wird, meint Perri. „Sicher ist aber, dass diese Geschichte vielschichtig ist. Um sie zu verstehen, muss man alle Teile des Puzzles zusammenfügen.“ Oder, um es mit ks Worten zu beschreiben: „Die Realität ist komplex. Auf Lösungen aus dem Schulbuch konnten wir nicht zurückgreifen. Wir mussten ganz neue, eigene Wege gehen und Lösungen für Probleme finden, mit denen wir vorher noch nie konfrontiert waren.“

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 3/2019 des Israelnetz Magazins, wo der Bauhaus-Stil in Israel Titelthema war. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915152, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

Von: mh

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