Die Bilder der Zerstörung, etwa in Sadschaija, die Bilder verletzter oder getöteter Kinder, israelische Luftaufnahmen explodierender Häuser oder Filme stürmender Soldaten sagen nur wenig über den tatsächlichen Verlauf der Kämpfe im Gazastreifen aus. Auch die horrenden Totenzahlen, etwa 1.500 bei den Palästinensern und inzwischen mehr als 50 israelische Soldaten und Offiziere, bieten keinen echten Überblick über Erfolge oder Niederlagen beider Seiten. Hinzu kommt, dass weder die Hamas noch die Israelis einen Einblick in ihre Landkarten bieten, im wahrsten Sinne des Wortes. Palästinensische Quellen liefern Angaben, wo gerade israelische Bodentruppen angreifen, aber auch nur mit spärlichen geografischen Details, um nicht die Position ihrer Stellungen preiszugeben. Die Israelis reagieren aus gleichen Gründen eher vage.
Der israelische Oberkommandierende der Südfront, wozu auch der Gazastreifen gehört, hat am Mittwochabend bei einer Pressekonferenz die allgemeine Richtung der Kämpfe offenbart. Hauptziel sei die Zerstörung der entdeckten Angriffstunnel, die vom Gazastreifen unter der Grenze hinweg in grenznahe Kibbutzim und Ortschaften in Israel führen. Diese Gänge und deren „strategische Bedeutung“ scheinen die Israelis völlig überrascht zu haben, obgleich sie schon seit dem Jahr 2000 immer wieder mit derartigen Tunneln konfrontiert waren. Sie wurden mehrfach verwendet, um israelische Stellungen von unten in die Luft zu sprengen.
Gefangene liefern wertvolle Informationen
Mit einem enormen Aufwand gruben die Palästinenser solche Tunnel Hunderte Meter weit und in großer Tiefe. Angeblich opferten sie 160 Kinder für das stille Buddeln im Sandboden, denn schweres mechanisches Gerät hätte sie verraten. Doch die Erfolge, damit Stellungen in die Luft zu sprengen, waren eher mäßig. Bis Dienstag war die Rede von etwa 30 entdeckten Tunneln. Davon seien 15 gesprengt worden, angeblich ein technisch kompliziertes und gefährliches Vorhaben, das mehreren Soldaten das Leben gekostet hat. Inzwischen reden die Israelis von 50 Tunneln, deren Zerstörung „innerhalb weniger Tage“ erledigt sein könnte.
Der Oberkommandierende Sami Turdscheman deutete an, dass seine Soldaten keine Pläne hätten, in die Stadt Gaza einzudringen, „es sei denn, wir finden auch dort Tunnel“. Rundherum, von Chan Junis und Rafah im Süden und bis Beit Hanun im Norden, gebe es eine „exzellente“ Kooperation von Marine, Luftwaffe und Bodentruppen, um mit „allen zur Verfügung stehenden Geräten“ die Hamas zu bekämpfen. Der General redete von „Hunderten getöteten Hamaskämpfern und Kommandierenden“, von zerstörten Raketenstellungen, Munitions- und Raketenfabriken, Kommandozentralen und Büros, von denen aus die Hamas ihren Cyberkrieg gegen Israel führt.
Turdscheman erzählte auch von vielen Gefangenen der Hamas, die Israel „wertvolle Informationen geliefert haben, die sofort in Militäroperationen übersetzt worden sind“. Möglicherweise wurden viele weitere Tunnel dank der Aussagen dieser Gefangenen entdeckt. Einer erzählte, in Malaysia ausgebildet worden zu sein. Ein anderer berichtete von Trainingskursen für das erfolgreiche Entführen (israelischer) Soldaten. Ein weiterer sei ausgebildet worden, Israel aus der Luft mit einem Hängegleiter anzugreifen.
Keine Eroberung des Gazastreifens geplant
Während Israel bisher über totale Lufthoheit über dem Gazastreifen verfügte, scheinen sich Hamas und andere Organisationen mit Luftabwehrraketen eingedeckt zu haben. Israelische Kampfflugzeuge und Hubschrauber schützen sich mit Abwehrleuchtkörpern, um Raketen abzulenken, die von der Hitze der Motoren angezogen werden.
Da es sich hier um einen asymmetrischen Krieg handelt und nicht um den Kampf zwischen zwei klassischen Armeen, lässt sich keine klare Front auf der Landkarte zeichnen.
Die genaue Zahl der Raketen im Besitz der Hamas kann nur geschätzt werden. Da die Organisation aber wegen hermetisch geschlossener Grenzen keinen Nachschub erhalten kann, ist klar, dass ihr irgendwann das Arsenal ausgeht. Die islamistische Ideologie der Hamas kann natürlich nicht besiegt werden, aber ihre militärischen Fähigkeiten könnten weitgehend dezimiert werden. Die zerstörten Tunnel neu zu graben dauert angeblich zwei Jahre.
Israels militärische Fähigkeiten dürften im Vergleich dazu unbegrenzt sein. Offenbar hat Israel keine Absicht, den ganzen Gazastreifen erneut zu besetzen. Nach Angaben von Turdscheman hat Israel sich nur zum Ziel gesetzt, dem Raketenbeschuss ein Ende zu setzen und die bestehenden Angriffstunnel zu zerstören, nicht aber den ganzen Gazastreifen erneut zu erobern.
Den Krieg beenden kann nur ein Waffenstillstand. Den könnte allein Kairo aushandeln. Die Konditionen sind noch offen. Von einem künftigen Abkommen wird auch abhängen, ob es in zwei oder drei Jahren eine Wiederauflage des Gazakriegs geben wird.