JERUSALEM (inn) – Gelungene Premiere: Die gehörlose Abgeordnete Shirley Pinto hat am Montag ihre erste Rede in der Knesset gehalten. Es war das erste Mal überhaupt, dass sich ein Parlamentarier in Gebärdensprache an die Abgeordneten wandte.
Pinto war für Jamina in die Knesset nachgerückt, weil ein Abgeordneter der Partei seinen Sitz abgab, nachdem er einen Ministerposten übernahm. Dies ist nach dem sogenannten „Norwegischen Gesetz“ möglich. Nach der Ansprache äußerte der Journalist der Rundfunkanstalt „Kan“, Akiva Novick, seine Bewunderung: Sie „hat es geschafft, die Rechte und die Linke mehrere Minuten lang zu vereinen, während sie ihre erste Rede in der Knesset hielt“.
Bis zum letzten Augenblick hätten Schlammschlachten, Beleidigungen und Beschuldigungen die Atmosphäre geprägt. Doch als die Tagesordnung zu den Jungfernansprachen überging, sei davon nichts mehr zu spüren gewesen. Alle hätten den Mund gehalten und zugehört. „Wie schön, was für ein bewegender Augenblick, möge es noch mehr davon geben“, schrieb der Journalist.
Menschen mit Behinderung eine Stimme geben
Pinto brachte ihre Worte mit Hilfe der Dolmetscherin Liat Petscho zu Gehör. Die 32-Jährige setzt sich seit Jahren für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein. Und so kam sie auch in ihrer ersten Knessetrede schnell zum Thema: „Hier stehe ich vor Ihnen und vor den Augen des Volkes. Aber ich stehe nicht nur in meinem eigenen Namen. An meiner Seite stehen 1,8 Millionen Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, mit körperlichen, seelischen, sensorischen, intellektuellen Behinderungen und Krankheiten wie etwa ein Posttrauma, denen hier im Staat Israel kein vollständiges Leben als gleichwertige Bürger gelingt.“
Schon früh habe sie mit ihren ebenfalls gehörlosen Eltern Erfahrungen mit mangelndem Einfühlungsvermögen gemacht. Seit der Staatsgründung vor 73 Jahren würden Menschen mit Behinderungen in Israel an den Rand gedrängt. Ihre Stimme sei nicht zu hören, sagte Pinto. Doch sie selbst wolle ihnen eine Stimme geben.
Die Politikerin ergänzte laut der Onlinezeitung „Times of Israel“, ihre Eltern und Großeltern hätten ihr Liebe zum Staat Israel, zu jüdischen Traditionen, Kunst und Kultur mitgegeben. „Sie haben jede Frage beantwortet, die ich stellte. Und mit jeder Frage haben sie mich jeden Tag daran erinnert, dass dort, wo ein Wille ist, auch ein Weg ist.“
Ein Dankgebet vom Premierminister
Am Ende umringten die Abgeordneten des gesamten politischen Spektrums Pinto, jeder wollte ihr persönlich seine Glückwünsche bekunden. Den Anfang machte Oppositionsführer Benjamin Netanjahu (Likud). Sein Nachfolger im Amt des Premierministers, Naftali Bennett (Jamina), sprach das Dankgebet „Schehechejanu“. Es wird zu besonderen Anlässen gesprochen: „Gepriesen seist Du, Herr, der uns am Leben erhalten hat und uns diese Zeit hast erleben lassen.“
Der Journalist Novick merkte an: „Was heute Abend am Ende der ersten Rede von Shirley Pinto geschah, war eines meiner schönsten Erlebnisse in der Knesset. Alle Abgeordneten standen, applaudierten in der Gebärdensprache, und dann kamen sie, um sie zu beglückwünschen. Netanjahu war der erste, und nach ihm kamen Araber, Ultra-Orthodoxe, Säkulare – alle.“
Von: eh