JERUSALEM (inn) – Die politischen Entwicklungen der vergangenen Tage bereiten dem israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin Sorge. Mit Blick auf das demokratische Gefüge in Israel ist aus seiner Sicht „ein weiterer Zaun eingerissen worden“. Daher sah er sich am Mittwoch zu einer Ermahnung veranlasst: „Wir müssen zurückkehren zu dem Prinzip, demzufolge die Regierung dem Volk dient, nicht das Volk der Regierung.“
Anlass für die Äußerung war die Ernennung eines neuen Justizministers in einer virtuellen Kabinettssitzung vom Dienstag. Blau-Weiß-Chef Benny Gantz drängte auf die Besetzung des seit einem Monat vakanten Postens. Regierungschef Benjamin Netanjahu (Likud) weigerte sich zunächst; er wollte Zeit gewinnen, um mit anderen Parteien zunächst weiter zur Regierungsbildung zu beraten. Letztlich ließ er dann doch wählen, doch Gantz fiel mit 10 zu 17 Stimmen durch.
Laute Sitzung
Für alle überraschend präsentierte Netanjahu dann seinen eigenen Kandidaten, Kommunikationsminister Ofer Akunis (Likud). Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit erhob Bedenken, dass Blau-Weiß laut Koalitionsvertrag der Posten des Justizministers zustehe. Doch Netanjahu argumentierte, nach dem für Gantz gescheiterten Votum sei nun der Likud dran. Er ließ zudem Mandelblit nicht ausreden und ging stattdessen zur Abstimmung über. Auf durchgesickerten Tonaufnahmen ist zu hören, wie Mandelblit Netanjahu wegen dessen Verhalten anschreit und das Votum für illegal erklärt.
Die Ernennung von Akunis setzte der Hohe Gerichtshof noch am gleichen Abend vorläufig aus. Am Mittwoch lenkte Netanjahu schließlich ein – auch wegen des öffentlichen Aufschreis. Nun übernimmt Gantz den Posten, bis eine neue Regierung gefunden ist.
Gantz: Likud-Angebot liegt vor
Gantz zeigte sich im Nachhinein mit dem Ergebnis zufrieden, nicht jedoch mit dem Vorgang. Diesen betrachtet er als „Versuch, der Rechtsordnung zu schaden“. Er fügte an, er habe ein Angebot des Likud vorliegen, demzufolge in einer Rotationsvereinbarung zuerst er Regierungschef werden würde, dann Netanjahu. Diese Möglichkeit schloss er am Mittwoch nicht aus, sagte aber zugleich, dass es unmöglich sei, Netanjahu zu vertrauen. Dennoch befinden sich Blau-Weiß und der Likud derzeit in Gesprächen; Netanjahu hat noch bis zum 4. Mai Zeit, eine Regierung zusammenzustellen.
Derweil tut sich an anderer Front etwas. Laut der Verteilzeitung „Israel Hajom“ planen die Listen Jamina und Neue Hoffnung einen Zusammenschluss. Der Plan ist demnach, Jamina-Chef Naftali Bennett zum Premier zu machen – aber mit 13 Stimmen im Rücken anstatt mit den sieben, die Jamina bei den Knesset-Wahlen erhalten hat. Laut der Nachrichtenseite von „Yediot Aharonot“ steht aber auch die Überlegung im Raum, es im Falle einer fünften Wahl zu vermeiden, unter die Sperrklausel von 3,25 Prozent zu fallen.
Von: df