BERLIN / WIEN (inn) – Als Rolf Friedemann Pauls 1965 seinen Posten als erster deutscher Botschafter in Tel Aviv antrat, waren einige in Israel damit nicht einverstanden. Bereits am Flughafen empfingen Demonstranten den ehemaligen Wehrmachtssoldaten mit Spruchtafeln, auf denen sie ein „deutschenfreies Israel“ forderten, wie der „Spiegel“ damals berichtete. Auch Reuven Rivlin demonstrierte seinerzeit dagegen, dass sich die israelische Regierung nur 20 Jahre nach der Scho’ah bereits auf diplomatische Beziehungen mit Deutschland einließ.
Als der israelische Staatspräsident an diesem Dienstag gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier im Berliner Schloss Bellevue vor die Presse tritt, weist er auf diese Geschichte hin: „Ich kann mich daran erinnern, als wäre es gestern“, meint er. Wie ungewöhnlich, dass er 55 Jahre später selbst als höchster Repräsentant Israels mit dem deutschen Staatsoberhaupt zusammenkommt, will er damit sagen. Rivlin nennt Steinmeier „meinen Freund“. Der spricht Rivlin wiederum mit „lieber Freund Ruvi“ an. Der Israeli ist der erste Präsident, den Steinmeier in diesem Jahr empfängt.
Der Besuch in Berlin bildet den Auftakt einer mehrtägigen Reise Rivlins durch Europa, die ihn auch nach Österreich und Frankreich führt. Obwohl sowohl die Grundgesetze Israels, als auch die deutsche Verfassung dem jeweiligen Präsidenten vorwiegend repräsentative Aufgaben zuweisen, sprechen die beiden Staatschefs an diesem Tag über viele tagesaktuelle Themen. Vor allem für das israelische Impfprogramm findet Steinmeier anschließend lobende Worte. Dieses habe „viel Aufmerksamkeit und großen Respekt“ erhalten. Israel zeichne sich durch eine „gute Portion Pragmatismus“ aus. Davon könne Deutschland lernen. Gleichzeitig seien sich beide Länder aber auch darüber einig, dass sie nur vor dem Virus geschützt seien, wenn die Pandemie überall eingedämmt und auch Menschen in anderen Ländern geimpft würden.
Steinmeier verteidigt sein Atomabkommen
Rivlin hat den höchsten Soldaten der israelischen Armee, Aviv Kochavi, mit nach Berlin gebracht. Er soll den Deutschen die sicherheitspolitischen Sorgen des jüdischen Staates erklären. Dabei geht es unter anderem um die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen israelische Bürger. Zudem soll der Generalstabschef deutlich machen, warum Israel eine Rückkehr der USA in das Iran-Atomabkommen ablehnt. In der Pressekonferenz mit Steinmeier fordert Rivlin die internationale Gemeinschaft auf, „kompromisslos gegen das iranische Atomprogramm aufzustehen“.
Steinmeier hat den Iran-„Deal“, den israelische Politiker lagerübergreifend für brandgefährlich halten, einst selbst mitausgehandelt. Bis 2017 war er Außenminister im Kabinett Merkel. Das merkt man ihm an. Er sagt Rivlin zwar zu, Israels Sorgen ernst zu nehmen, macht aber zugleich seinen eigenen Standpunkt deutlich. Die vom vorigen US-Präsidenten Donald Trump betriebene „Politik des maximalen Drucks“ habe „keine Fortschritte gebracht, sondern sogar Sorgen eher verschärft“. Israel hält den Ansatz Trumps hingegen für den realistischeren und die amerikanische Sanktionspolitik für weitaus wirkmächtiger als einen internationalen Vertrag. Dass Trumps Amtsnachfolger Joe Biden nun darum bemüht ist, wieder mit den Ajatollahs ins Gespräch zu kommen, wird in Jerusalem mit großer Sorge beobachtet.
Trotz der Differenzen im Umgang mit dem Iran bescheinigt Rivlin Deutschland am Dienstag ein „außerordentliches Bewusstsein dafür, dass es für Israels Sicherheit verantwortlich ist“. Als er später mit Außenminister Heiko Maas (SPD) zu einem Arbeitstreffen zusammenkommt, lobt er dessen „wahre Freundschaft“, die „nicht nur aus Worten, sondern auch aus Taten besteht“. Maas setze sich dafür ein, die Diskriminierung Israels auf der internationalen Bühne zu stoppen. Damit nimmt der Präsident darauf Bezug, dass Deutschland während der Amtszeit des SPD-Politikers wiederholt anti-israelische Resolutionen in Gremien der Vereinten Nationen abgelehnt hat, auch wenn es nach wie vor keineswegs immer mit „Nein“ stimmt.
Ähnliche Themen auch in Wien
Am Mittwoch reiste Rivlin weiter nach Wien. Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfing ihn mit militärischen Ehren in der Hofburg. Auch Van der Bellen drückte seine Anerkennung für die israelische Impfpolitik aus, sprach von Differenzen bei der Beurteilung des Iran-Atomabkommens und bezeichnete den Besuch Rivlins als „schönes Zeichen“. Der wiederum appellierte noch einmal an die Welt, sich dem Iran entgegenzustellen. Für den Nachmittag war ein Treffen mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und eine Kranzniederlegung am Holocaust-Mahnmal auf dem Wiener Judenplatz angesetzt.
Für Rivlin ist es voraussichtlich die letzte Reise nach Europa in seiner Funktion als Staatspräsident. Im Sommer endet seine siebenjährige Amtszeit. Der Israeli äußerte am Dienstag ebenso wie Steinmeier die Hoffnung, dass beide sich vorher noch einmal in Jerusalem treffen. Vor einem Jahr hatte der Bundespräsident wegen der Corona-Pandemie eine geplante Israelreise abgesagt. Mittlerweile, so Steinmeier, bestehe die Freundschaft zwischen ihnen „aber auch unabhängig von Amtsperioden und wird die Zeit unserer beruflichen Verpflichtungen überdauern“.
Von: Sandro Serafin