JERUSALEM (inn) – Als am Montag die Abgeordneten der neuen Knesset vereidigt wurden, war auch Iman Chatib dabei. „Mitchajewet ani“ – „Ich schwöre“, legte sie auf Hebräisch ihren Eid ab. Ein besonderer Moment. Denn mit Chatib, einer Araberin aus Galiläa, ist erstmals eine Kopftuchträgerin im israelischen Parlament vertreten. Sie ist über die arabische „Vereinigte Liste“ in die Knesset eingezogen. Die hatte bei den Wahlen Anfang März so stark abgeschnitten wie noch nie: 15 Parlamentarier entsendet sie nun in das Herz der Demokratie.
Unter Chatibs Kollegen ist auch Heba Jasbak. Die 34-Jährige gehört mittlerweile zu den bekanntesten Gesichtern ihrer Partei. Vor den Wahlen hatte das Oberste Gericht darüber beraten, ob sie überhaupt antreten darf. Jasbak hatte in der Vergangenheit Terroristen zugejubelt. 2015 teilte sie auf Facebook einen Beitrag, in dem Samir Kuntar als „Held“ bezeichnet wurde. Kuntar hatte 1979 in Naharia einen Anschlag mit mehreren Toten verübt. Das Oberste Gericht entschied dennoch mit einer Stimme Mehrheit, Jasbak antreten zu lassen. Das ausschlaggebende Votum für die Araberin kam von Richterin Anat Baron, die selbst einen Sohn bei einem Terroranschlag verloren hat.
Levy-Abekasis trennt sich von ihrer Fraktion
In der neuen Knesset bilden die Araber die drittstärkste Fraktion und damit einen entscheidenden Faktor, mit dem vor allem der Herausforderer von Premier Benjamin Netanjahu, Benny Gantz, umgehen muss. Der Chef des blau-weißen Parteienbündnisses ist für eine Mehrheit jenseits der Netanjahu-treuen Parteien zwingend auf die Araber angewiesen. Die haben Gantz kürzlich überraschenderweise geschlossen als Premierminister empfohlen. Das setzt den ehemaligen Armeechef unter Druck, denn vor den Wahlen hatte er ausgeschlossen, mit den Arabern zu kooperieren. Nach der Wahl wird nun plötzlich innerhalb des blau-weißen Bündnisses ernsthaft über eine Minderheitenregierung unter Tolerierung der „Vereinigten Liste“ diskutiert – möglicherweise auch, um das Verhandlungsgewicht gegenüber Netanjahu zu erhöhen.
Doch in Gantz‘ eigenem Lager droht diese Situation gefährliche Fliehkräfte zu entfachen. Vor allem Abgeordnete der Telem-Fraktion des einstigen Likud-Verteidigungsministers Mosche Ja’alon innerhalb des blau-weißen Bündnisses üben Widerstand. Eine weitere Abgeordnete ist Gantz bereits von der Fahne gegangen: Orly Levy-Abekasis, Chefin der Gescher-Partei, hat sich im Wahlkampf mit zwei linken Parteien zusammengeschlossen. Die Fraktion von Arbeitspartei, Meretz und Gescher galt neben Blau-Weiß bisher als einzige feste Bank für Gantz. Doch weil der mit den Arabern liebäugelt, verweigerte Levy-Abekasis, Tochter des früheren Außenministers und Begin-Verbündeten David Levy, ihm die Zustimmung und empfahl ihn nicht beim Präsidenten. Sie will zukünftig als unabhängige Einzelabgeordnete in der Knesset sitzen.
Völlig unklar ist auch, wie Gantz die Araber an einen Tisch mit Avigdor Lieberman bringen will, der die „Vereinigte Liste“ in der Vergangenheit als „fünfte Kolonne“ bezeichnet hat. Und so steht weiterhin auch die Option einer lagerübergreifenden Einheits- oder „Notregierung“ von Likud und Blau-Weiß im Raum, über die zurzeit verhandelt wird. Diese Option war zwar bereits nach den vergangenen Wahlen gescheitert. Gantz hat eine Zusammenarbeit mit dem angeklagten Netanjahu mehrmals und mit Nachdruck ausgeschlossen. Nun könnte ihm aber das Coronavirus einen Chance bieten, dieses Versprechen zu brechen und dabei dennoch sein Gesicht zu wahren.
Die politische Schlacht tobt weiter – trotz Corona
Doch nach drei erbittert geführten Wahlkämpfen sind die Fronten mehr als verhärtet. Der politische Kampf geht trotz Corona weiter. Jair Lapid, Co-Chef des blau-weißen Bündnisses, setzte am Dienstag zu einer neuerlichen Attacke gegen Netanjahu und sein Lager an. Die scharfen Corona-Verordnungen würden von einer „illegitimen Regierung“ beschlossen. Israel sei keine Demokratie mehr. Er bezog sich damit auch auf Vorwürfe gegen Knesset-Sprecher Juli Edelstein (Likud), wonach dieser das Parlament bewusst lahmzulegen versuche. Medienberichten zufolge schaltete sich am Mittwoch sogar Staatspräsident Reuven Rivlin in die Kontroverse ein. Die Demokratie dürfe nicht beschädigt werden, sagte er demnach in einem Telefonat mit Edelstein.
Bereits am Montag hatte das blau-weiße Bündnis mehrere Gesetzesentwürfe auf den Weg gebracht, die unter anderem die Amtszeit eines Premiers auf höchstens acht Jahre beschränken wollen. Zudem soll verboten werden, einem angeklagten Knesset-Abgeordneten den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen – Vorschläge, die eindeutig auf Netanjahu gemünzt sind.
Von: ser