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In Israel wird die Lage immer komplizierter

Die israelischen Wähler haben auch in der dritten Wahl binnen eines Jahres keine klaren Verhältnisse geschaffen. Da es an einer Regierungsmehrheit fehlt, sind Mutmaßungen zu „Überläufern“ im Umlauf.
Wahlzettel zur Auswahl: Bei den Wahlen zur 23. Knesset versuchten 29 Parteien und Listen ihr Glück beim Wähler

JERUSALEM (inn) – Nachdem 99 Prozent der israelischen Wählerstimmen ausgezählt worden sind, sieht die politische Landschaft noch aussichtsloser aus als zuvor. Der rechte Parteienblock mit dem amtierenden Premierminister Benjamin Netanjahu an der Spitze bleibt bei 58 Mandaten. Die Herausforderer kommen auf 46 Mandate. Der Wahlausschuss will ein finales, aber noch inoffizielles Ergebnis am Donnerstagabend bekanntgeben. Offizielle Ergebnisse stellte er für den Montag in Aussicht.

Für eine Mehrheit im Parlament fehlen Netanjahu drei Stimmen. Eine Regierungsbildung wäre nur möglich, wenn es Netanjahu gelingt, zwei Abgeordnete des anderen Lagers zum „Verrat“, also dem Überlaufen in das rechte Lager, zu überzeugen. Noch hat sich niemand gemeldet, der diesen fatalen Schritt wagen würde.

Gleichwohl hat die Tageszeitung „Jerusalem Post“ eine ganze Reihe von möglichen Kandidaten für den Wechsel in das „feindliche“ Lager veröffentlicht. Unter ihnen war Orly Levy-Abekasis, die Leiterin der Gescher-Partei im Bündnis der Linksparteien. Sie ist die Tochter des früheren Außenministers David Levy und würde liebend gerne Gesundheitsministerin werden. Sie hatte die Partei „Israel Beiteinu“ von Avigdor Lieberman verlassen, ehe sie Gescher gründete.

Aufnahmen als Drohmittel

Omer Jankelevitsch ist eine Abgeordnete der Blau-Weiß-Partei und gilt als die zweite ultra-orthodoxe Knesset-Abgeordnete überhaupt. Sie soll laut einer geheimen Tonaufnahme ihren Partei-Chef Benny Gantz als „dummen Verlierer“ bezeichnet haben, der nicht fit sei, Regierungschef zu werden. Die Likudpartei hat ihr laut Medienberichten schon mit der Veröffentlichung weiterer Tonaufnahmen zu privaten Angelegenheiten gedroht, um sie zum Übertritt zu bewegen.

Orly Fruman pflegt nach Ansicht der „Jerusalem Post“ „rechte Ansichten“. Sie habe Benny Gantz aufgerufen, eine große Koalition mit Netanjahu einzugehen. Das erregte Unmut in ihrer derzeitigen Blau-Weiß-Partei. Als letztes wurde sogar Amir Peretz genannt, der Chef der Arbeitspartei. Um zu zeigen, dass er sich „niemals“ einer Regierung unter Netanjahu anschließen würde, hatte sich der 68-Jährige sein Markenzeichen abrasiert: den mächtigen Schnurrbart. Doch bekanntlich kann man einen Bart schnell wieder nachwachsen lassen. Er war mal unter Netanjahu Verteidigungsminister und würde diesen Posten wohl gerne wieder übernehmen.

Neue Vorstöße denkbar

Der linksliberale Block hinter Benny Gantz ist im Vergleich zu den beiden Wahlen im vergangenen Jahr noch weiter zurückgefallen. Er kommt auf nur noch 52 Mandate. Niemand kann unter diesen Umständen mit der notwendigen Mehrheit von einer einzigen Stimme im Parlament mit 120 Sitzen eine Regierung bilden.

Unter der aktuellen Stimmenverteilung kann niemand eine Regierung bilden. In den Medien wird nun spekuliert, dass Staatspräsident Reuven Rivlin keinen Politiker beauftragt, eine Regierung zu bilden, sondern das Mandat an die Knesset übergibt. Erstmals in der Geschichte des Staates Israel hätten die Abgeordneten dann den Auftrag, einen Kandidaten aus ihren Reihen zu finden, der nächster Premierminister werden soll.

Das Wahlergebnis hat bei Anhängern der arabischen Parteien Euphorie ausgelöst. Sie feierten „den größten Erfolg“ seit der Staatsgründung 1948. Nach derzeitigem Stand wird die „Vereinigte Liste“ 15 Abgeordnete entsenden. Die „Liste“ besteht aus Kommunisten, Nationalisten und Islamisten, die teilweise palästinensischen Terror gutheißen. Einer ihrer Abgeordneten, ein Beduine, ist mit zwei Frauen verheiratet. Dieses Sammelsurium gilt den „zionistischen“ Parteien als regierungsunfähig. Niemand will mit ihnen eine Koalition eingehen, zumal es heißt, dass sie von der palästinensischen Regierung in Ramallah „gesteuert“ würden.

Ein langer Niedergang

Auf der anderen Seite ist die israelische Sozialdemokratie mit den Befürwortern einer „Zwei-Staaten-Lösung“ de facto abgeschafft. Das linke Parteienbündnis besteht aus der ehemals mächtigen Arbeitspartei, der linksextremen Meretz-Partei und der bereits erwähnten Gescher-Partei („Brücke“). Dieser Verbund erhielt gemeinsam nur noch sieben Mandate. Das ist ein historisches Tief für die „Linke“, der einst Staatsgründer David Ben-Gurion, der zweimalige Premier Jitzchak Rabin und der frühere Staatspräsident Schimon Peres angehörten.

Vertreter der Arbeitspartei hatten in den 1990er Jahren die Osloer Verträger ausgehandelt. Ihr dramatischer Niedergang wurde mit den zahlreichen Terroranschlägen gegen Israelis besiegelt, die Jasser Arafat nach seiner „Rückkehr“ auf den Straßen Israels ausgelöst hatte. Diesem Blutbad folgte dann der Mord an Rabin durch den israelischen Rechtsextremisten Jigal Amir. Von diesen Ereignissen haben sich die Linken bis heute nicht erholt.

Von: Ulrich W. Sahm

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