Es war eine der abenteuerlichsten und aufregendsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben machen durfte: Im November vergangenen Jahres konnte ich den israelischen Minister für Verkehrswesen, Nachrichtendienste und seit Februar dieses Jahres amtierenden Außenminister, Israel Katz, in den Wüstenstaat Oman begleiten. Am Abend vor dem Abflug sagte ein guter Freund zu mir: „Arye, ich bin stolz auf dich, du schreibst Geschichte“. Und so fühlte es sich vom ersten Moment an, als ich als Teil einer achtköpfigen israelischen Delegation in Muskat aus dem Flugzeug stieg.
Bis zu jenem Zeitpunkt war die sogenannte „Annäherung“ zwischen Israel und der arabischen Welt für mich eine eher theoretische, sporadische und nicht ganz stabile Angelegenheit. Eine, die durch Teile der Medienlandschaft eventuell übertrieben und größtenteils vom Hören-Sagen durch bestimmte Sicherheits- und Wirtschaftskreise veranschaulicht wurde. In meinen Augen war sie eine Sache, wenn nicht gar nur eine Wunschvorstellung, die fast vollständig unter dem Teppich ablief. Sie hätte sich auch genau so schnell wieder in Luft auflösen können, wie sie in unser Bewusstsein gekommen war.
Doch vier Tage Oman änderten meine Sichtweise. Plötzlich fühlte ich, dass es keine übertriebenen Darstellungen meiner Kollegen in der Regierung waren, dass Israel und die arabische Welt tatsächlich in eine neue Phase eingetreten sind. Eine Phase, die dazu führen kann, dass sich der Staat Israel und die muslimischarabisch dominierte Region des Nahen und Mittleren Ostens so nahe kommen, dass wir über 70 Jahre Konflikt hinter uns lassen können.
„Der Feind meines Feindes ist mein Freund“
Ich will nicht zu euphorisch und ganz bestimmt nicht naiv klingen. Mir ist klar, dass es sich hierbei nicht um eine „Liebesbeziehung“ handelt. Es entwickelt sich vielmehr eine Interessengemeinschaft zwischen dem jüdischen Staat und den sunnitisch-arabischen Staaten der Golfregion. Dabei stehen wir alle einem gemeinsamen Feind gegenüber: dem persisch-schiitischen Ajatollah-Regime in Teheran.
Es scheint ganz so, als ob das Sprichwort „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ in diesem Fall den Nagel auf den Kopf trifft. Denn so wie Israel eine existenzielle Bedrohung in Bezug auf die Machenschaften des Iran wahrnimmt, so tun dies auch die arabischen Staaten: Unter anderen sehen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain die radikale Expansionspolitik der schiitisch-islamischen Republik nicht nur als eine existenzielle Gefahr für ihre eigene Herrschaft, sondern auch für die Vormachtstellung der sunnitischen Ausrichtung des Islam über die muslimische Weltgemeinschaft.
Es geht um sehr viel mehr, als manchem Beobachter in Europa bewusst ist. In Worten ist kaum zu beschreiben, wie dramatisch sich die Realität bestimmter Länder der Region auf einen Schlag verändern würde, wenn sie nicht jetzt und sofort alle Verteidigungsmaßnahmen ergriffen, um sich vor einem durch den Iran initiierten zukünftigen Umsturz im eigenen Haus zu wappnen.
Schiitischer Iran unterstützt sunnitische Terrorgruppen
Ein Blick in die Geschichte der Konflikte seit der Entstehung des Islam vor etwa 1.400 Jahren lässt keinen Zweifel daran übrig, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist: Da gibt es zunächst eine nach wie vor heftige und blutige Rivalität zwischen Arabern, Persern, Türken und Kurden einerseits sowie Sunniten und Schiiten andererseits. Es genügt ein Blick nach Syrien, wo mehr als 500.000 Muslime durch andere Muslime ermordet wurden. Rund zwölf Millionen Menschen wurden wegen des in erster Linie internen muslimischen Machtkampfes um Syrien entwurzelt. Auch ein Blick in den Jemen, dem kaum beachteten Hinterhof der Arabischen Halbinsel, veranschaulicht deutlich, dass Krieg herrscht zwischen Muslimen – zwischen Persern, Arabern, Türken und Kurden, zwischen Sunniten und Schiiten.
Die regionale Entfaltung des schiitischen Iran tritt immer aggressiver zum Vorschein: durch seine Islamischen Revolutionsgarden, seine Al-Quds-Brigaden, durch schiitische Milizen und Söldner, durch die Hisbollah im Libanon und durch die Huthis im Jemen. Zudem unterstützt Teheran auch sunnitische Terror-Organisationen wie die Taliban, Al-Qaida, die Hamas und den palästinensischen Islamischen Dschihad im Gazastreifen. Es wurde etwas in Bewegung gesetzt, das bis vor wenigen Jahren unvorstellbar schien.
Israel ist höchstwahrscheinlich der einzige Staat in der Region, der in der Lage ist, dem Iran militärisch auf Augenhöhe zu begegnen.
Der Hauptgrund für die Annäherung zwischen den Golfstaaten und Israel ist somit ganz klar der Iran, der sowohl eine nukleare und ballistische Bedrohung als auch eine Terrorbedrohung von außen und von innen darstellt. Israel ist höchstwahrscheinlich der einzige Staat in der Region, der in der Lage ist, dem Iran militärisch auf Augenhöhe zu begegnen und der sich zu verteidigen weiß.
Die Golfstaaten hingegen sind weiterhin schlecht ausgerüstet beziehungsweise schlecht vorbereitet auf einen Krieg mit dem um einiges mächtigeren Iran. Es ist unter anderen den Amerikanern zu verdanken, dass sich der Iran den Golfstaaten gegenüber noch relativ zurückhält und eine direkte Konfrontation meidet. Dies heißt jedoch nicht, dass er nicht seine Stellvertreter unter anderem in Syrien, im Libanon, im Irak, dem Gazastreifen, in Afghanistan und im Jemen einsetzt, um diese Länder und Gebiete intern zu schwächen und letztendlich dem schiitischen Machtbereich unterzuordnen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass allein Saudi-Arabien zwischen den Jahren 2014 und 2018 zum Importeur Nummer 1 moderner Waffen aus den USA, aus England, der Schweiz, Schweden und Kanada aufgestiegen ist. Mittlerweile haben alle „Spieler“ verstanden, dass nicht Israel das Problem der Region ist und dass nicht „die palästinensische Sache“ an erster Stelle der Agenden der arabischen Staaten stehen sollte, sondern die iranische Bedrohung.
Israel ist seit dem ersten Tag der Staatsgründung (und davor) in einer Situation des Dauerkonfliktes, mal gegen mehrere Armeen gleichzeitig, mal gegen eine Terror-Organisation im Libanon oder Gaza, mal konfrontiert mit einer Welle von Selbstmordanschlägen. Doch das Land hat sich im Laufe der Zeit zu einem Zentrum für Innovation der Sicherheitsindustrie entwickelt.
Dies ist einfach zu erklären: Wer ständig unter Bedrohung steht und Angst um seine Existenz hat, entwickelt Fähigkeiten und Know-How, insbesondere im Bereich der Verteidigung, aber auch des Angriffes. Die Golfstaaten haben diese Wehrhaftigkeit des kleinen jüdischen Staates zur Kenntnis genommen und so führt das eine zum anderen
Kalkulierte Win-win-Situation
Mittlerweile tritt immer öfter ans Licht, dass sowohl israelische Sport- als auch Politikerdelegationen in den Golfstaaten sowie arabische Delegationen in Jerusalem und Tel Aviv zu Besuch sind. Der Sicherheitsaspekt hat auch sehr viel mit wirtschaftlicher Kooperation zu tun und ist eine ganz klare Win-win-Situation, für Israel, und auch für die Golfstaaten. Jetzt gilt es, geduldig abzuwarten, ob der noch größtenteils verdeckte Kontakt langsam immer offener stattfinden wird. Vielleicht führt er sogar dazu, dass offizielle Gesandte benannt werden.
Während unseres Aufenthaltes im Oman wurden wir rund um die Uhr von omanischen Sicherheitsmännern beschützt. Es ist nun einmal nicht alltäglich, dass Vertreter des Staates Israel dort unterwegs sind und es war mir somit kein Dorn im Auge. Jedoch wünschte ich, dass dies nicht nötig wäre und wir uns gegenseitig besuchen könnten, ohne Sorge vor Angriffen von radikalisierten Fanatikern haben zu müssen.
Doch an einem Abend, an dem ich mit drei Kollegen von einem Sicherheitsmann durch Muskat gefahren wurde, bat ich den Fahrer, bei McDonald‘s anzuhalten. Zu meinem Erstaunen tat er das und so saßen wir vier Israelis kurze Zeit darauf um einen Tisch, mitten im Restaurant. Wir aßen und tranken und sprachen laut auf Hebräisch. Es gab teils verstörte Blicke, teilweise lächelte man uns an. Wir wussten nicht, ob irgendjemand uns als Israelis einordnen konnte, deshalb fällt es mir schwer, die Situation konkret einzuschätzen. Jedoch berührte mich diese eine Stunde im McDonald‘s am meisten an unserem Besuch im Oman, denn er hatte etwas von Freundschaft, von Gleichheit, von Vernunft, von Freiheit. Ja, und von Frieden.
Arye Sharuz Shalicar ist ein deutsch-iranisch-israelischer Publizist. Der in Berlin aufgewachsene ehemalige Sprecher der israelischen Armee ist Abteilungsleiter für Auswärtige Angelegenheiten im Nachrichtendienstministerium im Büro des israelischen Premierministers. Im September erschien sein Buch „Der neu-deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse“.
Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 2/2019 des Israelnetz Magazins. Diese besondere Themenausgabe befasst sich mit den Beziehungen Israels zu arabischen Staaten und dem Iran. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915152, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.