Es scheint eine Art Gretchenfrage des linken Lagers zu sein: „Wie hältst Du es mit Israel?“, steht auf einer orangefarbenen Infotafel in den Räumlichkeiten der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt am Main. An dieser Frage scheiden sich die linken Geister. Die Spaltungslinien laufen entlang von Zeitungen und Bands, von Getränkemarken und Kleidungsstilen.
Die orangene Stehwand ist Teil der Ausstellung „Das Gegenteil von gut“ über linken Antisemitismus, die seit Ende März bei der Bildungsstätte zu sehen ist. Dass die „Israelfrage“ gleich auf einer der ersten Wände zur Sprache kommt, ist kein Zufall: Ablehnung gegenüber dem jüdischen Staat ist – unter anderem neben der Vorstellung vom jüdischen Finanz- oder Immobilienspekulanten – ein zentrales Motiv linker Judenfeindlichkeit.
Wendejahr 1967
Die textlastige Ausstellung mit einführendem Charakter setzt Ende der 60er Jahre an. „Keine europäische Linke war vor dem sogenannten Sechs-Tage-Krieg 1967 so pro-israelisch und danach so anti-israelisch eingestellt wie die deutsche Linke“, charakterisiert eine Informationstafel diese Zeit als Wendezeit. „Juden haben sich plötzlich nicht mehr so verhalten, wie es dem linken Gefühlshaushalt entsprach“, ergänzt Kurator Tom Uhlig gegenüber Israelnetz. „Sie waren nicht mehr nur in einer Opferstellung, sondern haben sich zur Wehr gesetzt.“
Zwar legt die Ausstellung wie hier noch weitere zeitliche Bruchstellen offen, zeichnet die Problematik jedoch in erster Linie anhand verschiedener „Räume“ nach. Linker Antisemitismus stellt sich dabei in Zeitgeschichte und Gegenwart, von Entebbe 1976 bis Blockupy 2015, als wiederkehrendes Phänomen dar – ob in der Universität, auf der Bühne oder der Straße.
Vereinfachungen implizieren Vernichtungsphantasien
Problematisch wird es dabei stets bei Vereinfachungen, so eine übergeordnete Erkenntnis: „Antisemitismus ist eine emotional aufgeladene Art, sich die Welt zu erklären – ein Hass, der gegen die Zumutungen der Moderne wütet und dabei nach Schuldigen sucht“, stellen die Macher bereits einleitend fest. „Sich als links zu begreifen, ist keine Garantie, vor dieser Denkform geschützt zu sein.“ So impliziere etwa ein Teil der Linken, dass allein durch die „Entfernung“ einzelner „Schuldiger“ – ob in Form des Judenstaats oder angeblicher jüdischer Großkapitalisten – komplexe Probleme gelöst und zum Beispiel der Weltfrieden oder soziale Gerechtigkeit erreicht werden könnten. Eine Tafel spricht gar von implizierten „Vernichtungsphantasien“.
Umso erschütternder die Erkenntnis, dass linker Antisemitismus auch vor den etablierten Parteien nicht Halt macht. Dokumentiert ist unter anderem ein Flyer, der einen mit einem Hakenkreuz verschlungenen Davidstern zeigt, dazu die Einstufung Israels als „wahren Schurkenstaat und Kriegstreiber“. Verlinkt wurde das Pamphlet seinerzeit von der Duisburger Linkspartei. Aber nicht immer ist der Bezug zu Juden oder Israel so direkt gegeben wie in diesem Fall. Zum Teil sind schlichte Parolen, etwa gegen „die Macht der Banken und Konzerne“, auch einfach nur gefährlich „anschlussfähig“ für Antisemitismus.
Was genau ist daran antisemitisch?
Als ebenso bekanntes wie aktuelles Beispiel kann der Hinweis auf die BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) gelten, die sich für einen wirtschaftlichen und kulturellen Boykott des jüdischen Staates stark macht. Derzeit mobilisiert die Bewegung gegen den Eurovision Song Contest (ESC) in Tel Aviv. Erklärend und im Stil einer Argumentationshilfe liefert eine lilafarbene Wand sechs Gründe, warum BDS die Grenze zum Antisemitismus überschreitet, etwa weil sie einseitig argumentiere, bisweilen dämonisiere und Doppelstandards anlege.
Auch an anderen Stellen der Ausstellung tauchen immer wieder kurze Definitionen und Problemanalysen auf. So erklärt eine weitere Tafel, warum Nazi-Vergleiche im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung der 60er-Jahre weniger problematisch gewesen seien als im Zusammenhang mit Israel: Damals habe es einen tatsächlichen Anknüpfungspunkt gegeben, es sei darum gegangen, „reale personelle Kontinuitäten und Bezüge zur NS-Geschichte transparent zu machen“.
„Zur Reflexion einladen“
Auf diese Weise legt die Ausstellung immer wieder den jeweils problematischen Kern verschiedener Argumentationen offen. Hier tritt die Motivation der Aussteller deutlich zutage: „Wir wollen linksorientierte, junge Menschen zur Reflexion und zur Auseinandersetzung mit problematischen Argumentationsformen einladen“, erläutert Kurator Uhlig das Konzept. Dabei geht die Ausstellung erkennbar auf die Zielgruppe zu, nimmt einen grundsätzlich kapitalismus- und gesellschaftskritischen Standpunkt ein. „Nur so können wir die Zielgruppe erreichen“, erklärt Uhlig, der sich ausdrücklich auch kontroverse Auseinandersetzungen zum Thema wünscht. Er will verhindern, dass sich das linke Lager Deutschlands dem in Großbritannien annähert. Dort sei Anti-Israelismus inzwischen ein „Grundkonsens“, spielt er auf die seit Jahren anhaltende Kontroverse um Labour-Chef Jeremy Corbyn an.
Uhlig schätzt, dass bisher einige hundert überwiegend junge Menschen die Ausstellung angesehen haben, darunter viele Studenten. Ein Campus der Goethe-Universität liegt nicht weit entfernt vom Gebäude der Bildungsstätte. „Negative Reaktionen halten sich bisher in Grenzen“, blickt der Kurator zufrieden auf die ersten Wochen zurück. Nach seiner eigenen Einschätzung könnte sich das jedoch ändern, wenn die Ausstellung weiterzieht – zum Beispiel nach Berlin.
„Das Gegenteil von gut“. Antisemitismus in der deutschen Linken seit 1968. Bildungsstätte Anne Frank, Hansa-Allee 150, 60320 Frankfurt. Öffnungszeiten: montags bis freitags 14 bis 17 Uhr; sonntags 12 bis 18 Uhr; bis 27. September.
Von: Sandro Serafin