JERUSALEM (inn) – Marie Nahmias hat eine ungewöhnliche Lebensgeschichte: Die heute 93-Jährige stammt aus Tunis. Dort entkam sie der Deportation in ein nationalsozialistisches Konzentrationslager, indem sie aus dem Haus geschmuggelt wurde. Nach der Staatsgründung im Jahr 1948 wanderte sie nach Israel ein. Dort bekam sie acht Kinder. Zusätzlich nahm sie 52 Jungen und Mädchen auf, viele von ihnen mit besonderen Bedürfnissen. Nun darf sie am 71. Unabhängigkeitstag eine der zwölf traditionellen Fackeln entzünden.
Diese Ehre wird auch der 36-jährigen paralympischen Sportlerin Moran Samuel zuteil. Die frühere Profi-Basketballerin erlitt 2006 einen seltenen Rückenmarksinfarkt und ist seither von der Taille abwärts gelähmt. Danach errang sie im Rudersport zahlreiche Medaillen für Israel. Ihre größten Erfolge sind der Weltmeistertitel 2015 in Italien und die Bronzemedaille bei den Paralympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro.
Ein weiterer Sportler unter den diesjährigen Fackelanzündern ist der Fußballspieler Menasche Salka vom Erstligisten Hapoel Hadera. Seinen Wehrdienst leistete der Israeli mit äthiopischen Wurzeln in einer Fallschirmjägereinheit. Er setzt sich für die äthiopisch-israelische Gemeinschaft ein.
Verschiedene medizinische Aspekte
Die Aktivistin Hila Hadas ist Vorsitzende der 1978 gegründeten Organisation „Enosch“. Diese sorgt dafür, dass Menschen mit geistiger Behinderung in die Gesellschaft und das Berufsleben integriert werden können. Wegen ihres besonderen Einsatzes bei „Enosch“ darf auch Hadas eine Fackel entzünden.
Hodaja Oliel wiederum hat gerade ihr Medizinstudium am Technion in Haifa abgeschlossen. Das Besondere: Die 28-Jährige ist von Geburt an durch eine zerebrale Lähmung eingeschränkt. Sie beginnt demnächst ihre praktische Ausbildung in einem Krankenhaus. Danach wird sie die erste israelische Ärztin mit einer solchen Behinderung sein.
Der Direktor des Siv-Krankenhauses im nordisraelischen Zefat (Safed), Salman Sarka, erhält die Auszeichnung für einen ungewöhnlichen Einsatz seiner Klinik: Diese hat binnen vier Jahren mehr als 1.000 syrische Patienten behandelt, die im Bürgerkrieg verwundet worden waren. Auch ihre seelischen und sozialen Bedürfnisse berücksichtigte das Krankenhaus. Deshalb hat das Kulturministerium den 55-Jährigen ausgewählt, eine Fackel zu entzünden. Der Druse hat zuvor auch das Feldkrankenhaus geleitet, das die Armee für die verletzten Syrer eingerichtet hatte.
Das Leben eines Patienten kennt Schai Siman-Tov gut. Der Soldat erlitt 2014 bei der Operation „Starker Fels“ gegen die Terrorinfrastruktur im Gazastreifen lebensgefährliche Verletzungen. Nach seiner Genesung kehrte er zur Armee zurück.
Eine Pfadfinderin und zwei Kulturschaffende
Der damalige Militäreinsatz richtete sich auch gegen Raketenangriffe auf Städte und Dörfer in Südisrael. Besonders hiervon betroffen ist immer wieder die Kleinstadt Sderot, die nur wenige Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt liegt. Dort lebt auch die 17-jährige Gil Schlomo. Die Jugendliche engagiert sich bei den Pfadfindern. Deshalb darf sie eine Fackel „zu Ehren der hebräischen Pfadfinder“ entzünden.
Auch Kulturschaffende hat das zuständige Komitee für die Zeremonie ausgewählt. Zu ihnen gehört der Sänger Jehuda Poliker. Er ist der Sohn von Holocaustüberlebenden aus der griechischen Stadt Saloniki – dort wurde ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung während der nationalsozialistischen Besatzung ausgelöscht. Kulturministerin Miri Regev bezeichnete Poliker als „Symbol für den Sieg des Geistes der kulturellen Auferstehung unseres Volkes nach der Scho’ah“.
Hinzu kommt der seit den 1970er Jahren erfolgreiche und mehrfach in Israel ausgezeichnete Filmemacher Avi Nescher. Vor einem Jahr verlor er seinen 17-jährigen Sohn bei einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht. Am Vortag hatte sein Film „Eine andere Geschichte“ Premiere beim Festival in Haifa gehabt.
Premiere: Drei Menschen für eine Fackel
Einen schweren Verlust haben auch die Mütter Iris Jifrach, Bat-Galim Scha’ar und Rachelle Frankel erlitten: Vor fünf Jahren entführten Terroristen der Hamas ihre drei Söhne und ermordeten sie brutal. Die Mütter werden gemeinsam eine Fackel entzünden. Es ist das erste Mal, dass drei Menschen sich eine Fackel teilen – und nach Angaben des Kulturministeriums eine absolute Ausnahme.
Das zuständige Komitee würdigt zudem den in letzter Minute gescheiterten Versuch, eine israelische Sonde kontrolliert auf dem Mond landen zu lassen. Zwei der zentralen Figuren hinter dem Projekt, der südafrikanische Geschäftsmann Morris Kahn und der Israeli Kfir Damari, dürfen zusammen eine Fackel entzünden.
Die zwölfte Fackel ist dem Diasporajudentum gewidmet. Dafür hat das Ministerium den Amerikaner Jeffrey Finkelstein ausgewählt. Er ist Präsident des Jüdischen Verbandes von Pittsburgh. Dort ermordete ein Attentäter im Oktober elf Juden.
Der 71. israelische Unabhängigkeitstag, Jom HaAtzma’ut, beginnt am Mittwochabend. Er steht unter dem Motto „Rak biglal HaRuach“. Dies kann entweder „Nur wegen des Geistes“ bedeuten oder „Nur wegen des Windes“. Die Zeile kommt im Lied „Biglal HaRuach“ vom israelischen Sänger Schlomo Schabbat vor, dort hat sie die zweite Bedeutung. Die Zahl der Fackeln leitet sich von den zwölf biblischen Stämmen ab.
Von: eh