JERUSALEM (inn) – Für die Wahlen des 9. April gibt es mit 47 angemeldeten Parteien eine Rekordzahl parlamentarischer Gruppierungen. Dabei ist es für die rund 5,8 Millionen Wahlberechtigten in Israel gar nicht so einfach zu erfahren, für was die nun eingetragenen Parteien stehen. Bei den Wahlen 2015 blieben von 25 angemeldeten Parteien nur zehn übrig, die mit mindesten vier Abgeordneten in die Knesset einzogen, während 15 Parteien mangels einer ausreichenden Stimmenzahl die Hürde von 3,25 Prozent nicht schafften und deshalb außen vor blieben.
Fantasievolle Namen
Bei der Erfindung neuer Parteinamen kennt die israelische Fantasie keine Grenzen: „Da‘am – Grenzenlose Solidarität“ ist eine angeblich 1995 gegründete sozialistische Arbeiterpartei, deren Ziel es ist, die Besatzung zu beenden. Angesprochen werden „Menschen mit Gewissen“, die Frieden, gesellschaftliche Gerechtigkeit und eine gesellschaftliche Revolution wünschen. „Gewiss doch – Gesellschaftliche Sicherheit unter der Führung von Semion Gerfmann“, heißt die nächste Partei, gefolgt vom „Weltbündnis“ – was immer das bedeuten mag.
Dann gibt es da „Gerechtigkeit für alle“, die „Gradlinige Partei“ und die „Piraten unter der Führung des Internets“. „Ende“, „Menschenehre“, „Du und ich“, „Einfach nur Liebe“ oder einfach nur „Blau-Weiß“, das neue Bündnis von Benny Gantz und Jair Lapid.
Bei vielen dieser Parteien lassen sich die Inhalte schlicht nicht ermitteln – bei manchen stehen wenigstens die in Israel bekannt gewordenen Aktivisten im Parteinamen, darunter Militärs wie Jom Tov Samia, Adina Bar Schalom oder Alon Giladi. Bei Mosche Feiglin und Avigdor Lieberman weiß der Wähler wenigstens, wo sie politisch einzuordnen sind.
Kritik an Generälen
Aktivisten beklagten sich im Rundfunk über einen „Rückfall um 20 Jahre“: Weil die Frauen auf die letzten Plätze auf den Kandidatenlisten abgedrängt worden seien, werde es bestenfalls noch 20 Frauen in der nächsten Knesset geben, während bisher über 30 Frauen im Parlament saßen. Vorgedrängt hätten sich vor allem Militärs. Die ehemaligen Generale könnten Krieg führen und ganze Divisionen befehligen, aber es mangele ihnen an Verständnis für die sozialen Probleme, Wirtschaftsfragen und andere Elemente. Um einen Staat zu lenken, dürften nicht nur Sicherheitsfragen eine Rolle spielen, obgleich die natürlich in Israel immer eine große Rolle spielen.
Das mag der Grund sein, weshalb neueste Umfragen keinen wesentlichen Wandel bei dem Endergebnis der Wahlen vorhersehen. Der rechte Block werde zusammen mit den Frommen insgesamt 63 Abgeordnete von insgesamt 120 erhalten. Die Linken könnten unter diesen Umständen keinesfalls einen Sperrblock erlangen und die Macht übernehmen.
Nach vielen Jahren gibt es sogar einen auferstandenen Toten: Die gute alte Arbeitspartei unter Avi Gabbai erscheint wieder unter ihrem alten Namen und versteckt sich nicht mehr im „Zionistischen Lager“. Zippi Livni, die die Partnerpartei HaTnua gegründet hat, ist mittlerweile aus der Politik ausgeschieden.
Wer sich als zweitklassig empfindet und diesen Status beibehalten will, sollte vielleicht „Für Bürger zweiter Klasse“ stimmen, ebenso wie Rentner oder Pensionäre der „Partei der alten Bürger“ ihre Stimme verleihen können.
Erkennungsfaktor inklusive
Bei „Meretz – Die Linke Israels“ oder beim „Bündnis der rechten Parteien“ ist die politische Positionierung klar, ebenso bei den frommen Parteien, die in ihrem Namen noch den „großartigen heiligen Rabbi XYZ“ erwähnen oder bei der „Sephardischen Vereinigung der Toratreuen“. Obskur bleiben jedoch die Ziele der „Volkspartei – Neuer Zionismus“, „Ganz Israel sind Brüder und handeln für Israel“ oder die „Staatliche Liste – erhebt das Haupt“.
Natürlich gibt es neben diesen kuriosen Neulingen auch die allgemein bekannten Parteien wie „Likud – unter der Führung von Benjamin Netanjahu für das Amt des Regierungschefs“, die arabischen Parteien, oder die schon erwähnte Arbeitspartei.
In Israel wird übrigens nicht mit Listen gewählt, auf denen man die gewünschte Partei ankreuzt, sondern mit kleinen Zetteln, mit aufgedruckten hebräischen Buchstaben. Das sind teils sinnlose Kombinationen wie etwa ZN, KP oder NZ. Manche Parteien verwenden klassische Worte wie „Emet“ (Wahrheit) für die Arbeitspartei, Meretz oder Machal (Likudpartei). Jeweils ein Zettel wird in einen Umschlag gesteckt, der versiegelt in die Wahlurne geworfen wird. Diese Zettel müssen dann die Wahlhelfer in der Wahlnacht aus den Umschlägen hervorholen und per Hand auszählen. Deshalb dauert es viele Stunden, bis ein endgültiges Wahlergebnis vorliegt. Immerhin kann es bei dieser sehr altmodischen Methode keine Wahlfälschungen durch Computerhacker geben.
Von: Ulrich W. Sahm