Den ganzen Montag wurde in Israel über die großangekündigte Rede von Premierminister Benjamin Netanjahu diskutiert und spekuliert. Erst nach Stunden sickerte durch, dass er sich zum iranischen Atomprogramm äußern wolle. Der unmittelbare Anlass war die bevorstehende Entscheidung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, den Atomvertrag mit dem Iran zu annullieren oder zu bestätigen.
Netanjahus Pressekonferenz fand im Verteidigungsministerium in Tel Aviv statt. Auf der Bühne stand neben einer großen Leinwand auch ein Bücherschrank mit fast 100 Aktenordnern. Nach Problemen mit dem quietschenden Mikrophon hielt Netanjahu seine Rede auf Englisch zur besten Sendezeit im Fernsehen.
Eine halbe Tonne Archivmaterial
Er sprach von „Informationen, die noch niemals bekannt gegeben wurden“. „Es handelt sich um einen der größten geheimdienstlichen Erfolge der Weltgeschichte. Das ist etwas, was die Welt noch nie gesehen hat.“ Dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad sei es gelungen, eines Archivs der iranischen Atombehörde habhaft zu werden: eine halbe Tonne Materialien mit 55.000 Seiten Papier und 183 gebrannten CDs mit Tabellen, Fotos, Präsentationen und anderen Dokumenten. Das Archiv sei an einen geheimen Ort in der Schurabat-Gegend südlich von Teheran gebracht worden. Er verriet nicht, wie der Mossad das Material kopieren konnte.
Der Regierungschef zeigte dann auf der Leinwand einige Dokumente und Fotos. Zwischendurch blendete er Sprüche iranischer Politiker ein, die er als „Lügen“ entlarvte, wenn sie behaupteten, dass Teheran niemals den Bau einer Atombombe geplant oder simuliert habe.
Anhand der Dokumente wollte Netanjahu zeigen, dass der Iran nicht nur Pläne zur Produktion von hochgradigem Uran und dem Bau einer Atombombe besaß, sondern sich auch um Raketen bemühte, die „Riad und Tel Aviv“ treffen könnten.
Wie israelische Experten und Reporter nach der Präsentation anmerkten, hatte Netanjahu nicht behauptet, dass der Iran heute gegen den Atomsperrvertrag verstoße. Vielmehr sei Teheran bemüht, sein Wissen zu konservieren und den Bau einer Atombombe in Angriff zu nehmen, sowie der Atomvertrag in 14 Jahren ausgelaufen sei.
Iran: Netanjahu ist unglaubwürdig
Während Netanjahu noch in Tel Aviv sprach, twitterte der iranische Außenminister Sarif, dass Netanjahu wie ein kleiner Junge sei, der ständig „Wolf, Wolf“ rufe, und deshalb unglaubwürdig sei.
Israelische Kommentatoren hegten Zweifel, ob Netanjahus „Entdeckungen“ die deutsche Kanzlerin Angela Merkel oder den französischen Präsidenten Emmanuel Macron überzeugen könnten. Doch vielleicht sei Trump jetzt eher geneigt, den Atomvertrag mit dem Iran zu annullieren.
Von: Ulrich W. Sahm